Plan W:Pech kann sie akzeptieren, Ungleichheit nicht

Claudia Kessler

Als Claudia Kessler Maschinenbau studierte, war sie die einzige Frau im Hörsaal. Das hat sich mittlerweile geändert, auch dank ihr.

(Foto: Astrid Schulz Fotografie)

Die Raumfahrt ist seit jeher eine Männerbranche. Claudia Kessler, Ingenieurin und Recruiterin, will das ändern.

Von Larissa Holzki, Bremen

Für ihr erstes Bewerbungsgespräch zog sich Claudia Kessler eine Lederjacke an und stieg aufs Motorrad. Das Münchner Raumfahrtunternehmen Kayser-Threde suchte damals einen Studenten, der Höhenforschungsraketen zusammenschraubt, einen der zupacken kann. Claudia Kessler, 1,61 Meter, plusterte sich auf: "Ich bin groß und stark", sagte sie zu ihrer Eignung. Die Männer bei Kayser-Threde waren amüsiert. Wenig später durfte Claudia Kessler erstmals den Schraubschlüssel an eine Rakete setzen, die ins All geschossen wurde.

Heute hebt in der europäischen Raumfahrt fast nichts mehr ohne Claudia Kesslers Zutun ab. Denn kaum jemand ist in der Branche so gut vernetzt wie sie - ein Trumpf, wenn es an Fachkräften mangelt. Als Geschäftsführerin der Zeitarbeitsfirma HE Space in Bremen rekrutiert die 53-Jährige für Raumfahrtunternehmen in Europa hochspezialisierte Ingenieure weltweit, aktuell etwa 200 Menschen aus 30 Nationen.

Bekannt ist Kessler auch deshalb, weil sie schon als Studentin auf jedem Podium saß, auf dem über Frauen in Raumfahrt und Spitzentechnologie diskutiert wurde. An der Technischen Universität München war sie damals die einzige Studentin im Hörsaal mit tausend Männern. Kam sie zu spät in die Vorlesung, hielten die Professoren inne und begrüßten sie persönlich. "Das war schon eine Show", sagt Kessler. Eine, die sie endlich beenden will.

20 Jahre lang hat sie im Auftrag von Verbänden und Ministerien Frauen für Raketen und Satelliten begeistert. Immer wieder saß sie als einzige Frau auf dem Podium, obwohl der Frauenanteil in Raumfahrt-affinen Studiengängen auf mehr als ein Fünftel kletterte. Aber: "Wenn in einem Meeting der Frauenanteil unter 30 Prozent liegt, sagen die Herren am Ende ,thank you gentleman", sagt Kessler. Gemeinsam mit einer Kollegin hat sie 2009 deshalb Woman in Aerospace gegründet. 500 Mitglieder hat das Netzwerk mittlerweile.

Kessler wollte Astronautin werden, seit sie mit vier Jahren die Mondlandung im Fernsehen verfolgte. Was für Steine gibt es dort aufzusammeln? Wie fühlt es sich an, über den Mond zu hüpfen? Um diese Fragen irgendwann beantworten zu können, übte sie Mathe bis zum Leistungskurs.

Kessler will die erste Deutsche ins All schicken

Dass sie als Frau Nachteile in der Ingenieurskarriere haben würde, merkte sie erstmals im Praktikum bei einem metallverarbeitenden Betrieb: Fräsen sei für Frauen zu gefährlich, sagte man der Maschinenbaustudentin. Und die dachte: Jetzt erst recht. Ihre Bewerbung als Astronautin für die D2-Mission scheiterte am Timing. Sie hatte noch keinen Abschluss. Kessler ist dann in Management und Marketing für die Raumfahrt glücklich geworden.

Pech kann Kessler akzeptieren. Strukturelle Ungleichheit nicht. Doch die stellt sich für sie dar, wenn elf deutsche Männer bisher ins All fliegen durften, aber keine deutsche Frau. Seit zwei Jahren hat sie deshalb eine neue Mission: Kessler will die erste Deutsche ins All schicken. Weil sie nicht darauf vertraut, dass die Europäische Weltraumorganisation sich bald darum kümmert, hat sie eine private Initiative gestartet. Gecastet sind die zwei Kandidatinnen schon.

Die 50 Millionen Euro, die sie jetzt noch brauchen, sollen von Ministerien und Unternehmen bereit gestellt werden, die dafür auch mitbestimmen dürfen, was in der Schwerelosigkeit erforscht wird. Interesse daran haben könnte die Medizin, die noch nicht weiß, wie der weibliche Körper auf Schwerelosigkeit reagiert. Wirkstoffe gegen Osteoporose beispielsweise lassen sich im Weltraum besonders gut testen, auch für die Materialforschung an Metalllegierungen bieten sich Möglichkeiten.

Plan W

"Frauen verändern Wirtschaft" ist das Motto des Frauenwirtschaftsmagazins Plan W. Die nächste Ausgabe erscheint am 25. November, Schwerpunkt Mobilität.

Es ist wichtig, dass Menschen ins Weltall fliegen, ist Kesslers Botschaft. Klimawandel, Krebs, Navigation - für all das könnten dort oben vielleicht Lösungen gefunden werden. Sie will, dass Mädchen und ihre Müttern das endlich auch als ihre Chance und Herausforderung begreifen. Ob ihre private Kampagne das leisten kann?

Frauen ziehen Frauen an, ist sich Kessler sicher. Bestätigung findet sie auch bei ihrer Firma HE Space. Dort hat sie das Management zur Hälfte mit Frauen besetzt - und ohne Quote das gleiche Geschlechterverhältnis unter den Mitarbeitern erreicht. Führungskräfte würde sich tendenziell für Bewerber entscheiden, die ihnen ähnlich seien, sagt sie. Weil viele Eigenschaften geschlechtertypisch verteilt sind, rekrutieren Männer also eher Männer.

So eine hohe Frauenquote in einer Männerbranche macht auch auf das Konzept zur Vereinbarkeit von Spitzentechnologie und Nuckelflasche neugierig. Claudia Kessler verweist stolz auf 50 Neugeborenen in fünf Jahren. Aber: "Man muss enge Verbindungen halten, wenn man sich drei Jahre auf Milch und Windeln konzentrieren will, ist das schwer", sagt Kessler. Die meisten ihrer angestellten Mütter sind Niederländerinnen, die nach sechs Wochen wieder einsteigen. Dafür organisiert das Unternehmen überall auf der Welt die Kinderbetreuung. Bei Familie Kessler hat eine Bewertungsmatrix seinerzeit ergeben, dass ihre Karriere bessere Aussichten bietet, ihr die Karriere wichtiger war als ihrem Mann, der Software für die Raumfahrt entwickelt. Dann war klar, wer die Tochter vom Kindergarten abholt.

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