Plan W:Erbgut wird veränderbar und der BH bequem

Frauen revolutionieren die Gesundheitsbranche. Auch, weil sie viele Probleme aus einem anderen Blickwinkel betrachten: fünf erstaunliche Erfindungen.

Von K. Zinkant, K. B. Becker, J. Braun, J. Klaus

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Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna:Erbkrankheiten heilen mit der Gen-Schere

Einfache Darstellung der DNA: die gelben und grünen Stellen stehen für eine revolutionäre Methode - die Gen-Schere CRISPR/Cas.

Quelle: Sorin Morar

Das ist DNA. Zugegeben: gänzlich vereinfacht dargestellt. Aber es geht hier um die gelben und grünen Stellen. Diese nämlich stehen für eine revolutionäre neue Methode im Bereich der Gentechnik: die Gen-Schere CRISPR/Cas.

Es ist kaum zu glauben, aber auch Bakterien haben ein Immunsystem. Damit wehren sie sich gegen Viren, die sich in ihrem Erbgut einnisten. Die französische Biologin Emmanuelle Charpentier (48) hat herausgefunden, wie Bakterien diese Viren ganz gezielt wieder aus der DNA herausschneiden, nämlich mit besagter Gen-Schere CRISPR/Cas. Zusammen mit der amerikanischen Chemikerin Jennifer Doudna (53) entwickelte sie die Technik so weiter, dass man sie nun auch in allen anderen Lebewesen als Werkzeug benutzen kann.

Schon vor der CRISPR/Cas-Methode konnten Wissenschaftler das Erbgut von Lebewesen verändern. Doch die ­alten Verfahren waren weder so präzise noch so flexibel und billig wie die neue Super-Gen-Schere. Mit CRISPR/Cas lässt sich jeder beliebige Ort im Erbgut verändern, löschen oder umdichten. Dafür braucht man eine Kopie der Gensequenz, hier gelb oder grün. Mit ihrer Hilfe findet CRISPR/Cas exakt ihr Ziel. Die Gen-Schere ist also wie Bleistift und Radiergummi für die DNA, und sie lässt sich in der Pflanzenzüchtung genauso einsetzen wie in der Medizin. Diese Art der genetischen Therapie wird bereits bei Patienten getestet - und Emmanuelle Charpentier galt schon als heiße Anwärterin auf einen Nobelpreis.

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Özlem Türeci:IMAB362 bekämpft mehrere schwere Arten von Krebs

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Quelle: Sorin Morar

Mediziner nennen Arzneien wie IMAB362 (hier in Lila) Antikörper. Der menschliche Körper produziert selbst auch Antikörper, um Krankheiten abzuwehren, aber einen wie IMAB362 leider nicht. Entwickelt wurde er von dem Forscherpaar Özlem Türeci und Uğur Şahin von der Universität in Mainz. "Wir sind nicht nur Forscher, sondern auch Mediziner", sagt Türeci (50). Als Ärztin erlebte sie, dass sogar moderne Krebsmittel drastische Nebenwirkungen hervorrufen, weil sie auch gesundes Gewebe angreifen.

Die Arzneien unterscheiden nicht genug zwischen krank und normal. Also suchte Türeci nach einem Mittel, das dem Körper hilft, den Krebs gezielter zu bekämpfen. Dazu braucht man ein Merkmal, das exklusiv in Krebszellen vorkommt. Und man braucht einen Antikörper, der sich genau an dieses Merkmal heftet und dem Immunsystem sagt: "Hier!" Türeci fand eine Struktur, die auf den Tumorzellen einiger Patienten extrem häufig ist. IMAB362 erkennt diese Struktur, heftet sich an den Erreger und sendet Signale an das Immunsystem. "Wie ein Leuchtturm, der Immunzellen den Weg weist", sagt Türeci. Diese stürzen sich dann auf den Krebs - der Patient bekämpft den Tumor also selbst.

Und es funktioniert: IMAB362 heilt Krebs zwar nicht, aber er verlängert das Leben einiger Patienten deutlich. Ohne drastische Nebenwirkungen. Für die Entwicklung von IMAB362 gründete Türeci das Start-up Ganymed, das sie 2016 an die Pharmafirma Astellas verkaufte. Und wie! Der Deal ist der zweitgrößte der deutschen Biotech-Geschichte.

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Eva Deutsch:Watson kann Millionen von medizinischen Daten analysieren

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Quelle: Sorin Morar

Jeden Tag füllen Ärzte Formulare aus, machen Röntgenbilder, veröffentlichen Artikel. So verdoppelt sich das medizinische Wissen schätzungsweise alle drei Jahre. Wer soll da den Überblick behalten? Erst recht individuell für jeden Patienten? Watson kann das. Denn der Supercomputer von IBM ­vergisst nie.

Eva Deutsch (46), Leiterin des Bereichs Life Sciences, ist für seine Weiterentwicklung zuständig. Ihr Name ist passend, denn medizinisches Deutsch hat Watson von der Medizininformatikerin und ihrem Team gelernt. Damit beherrscht er nun neun Sprachen. Für Watson müssen Informationen nämlich nicht als Zahlen oder Statistiken aufbereitet sein. Er erfasst auch Text, Fotos und sogar gesprochenes Wort, versteht Mehrdeutigkeiten und komplexe Zusammenhänge. So kann er Ärzten all die brachliegenden Informationen zugänglich machen.

In der US-Quizshow Jeopardy! schlug Watson bereits 2011 die menschlichen Kandidaten. Wenn es darum geht, auf einem radiologischen Bild zwischen Lungenentzündung und Lungentumor zu unterscheiden, liegt er vorn. Und er kann sämtliche Diagnosen eines Patienten problemlos verknüpfen - auch klinikübergreifend. "Bei den emotionalen und sozialen Komponenten ist der Mensch nicht zu ersetzen", sagt Eva Deutsch. "Aber Systeme wie Watson sind heute schon besser in der Mustererkennung und beim Bewerten von Fakten."

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Michelle Norris:Keine Schmerzen beim Sprinten und Reiten? Ein Busenwunder

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Quelle: Sorin Morar

Sportschuhe sind heute Hightech-Wunder, dagegen hinkt die BH-Entwicklung zwanzig Jahre hinterher. Das ändert sich jetzt. "Als ich las, wie viele Frauen sich beim Sport von ihren Brüsten gestört fühlen oder deshalb Schmerzen haben, wollte ich helfen", sagt Michelle Norris (28). Die Biomechanikerin und ihre Kolleginnen vom Labor für Brustgesundheit der Universität in Portsmouth, England, analysierten daher mithilfe von Sensoren verschiedene Bewegungsmuster. Eine Brust schwingt nämlich nicht einfach nur auf und ab. Sie bewegt sich ­elliptisch, wie eine Acht.

"Wir versuchen, Materialien zu finden, die abhängig von der Sportart den optimalen Halt geben", sagt Norris, deren Forschung unter anderem in die Produkte von Adidas oder Triumph einfließt. Rennen, Reiten oder Schwimmen unterscheiden sich maßgeblich, und entsprechend muss ein BH stützen, aber auch Raum geben. Weil die Biomechanik, die Lehre vom Bewegungsapparat, lange eine Männerdomäne war, ist die Bewegung der weiblichen Brust bisher wenig erforscht. In Zukunft könnten nun sogar eingearbeitete Sensoren die Belastung während der Bewegung individuell erfassen und den BH automatisch straffen oder lockern - zum Beispiel beim Sprint zum Bus.

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Greta Kreuzer:Achtung, Eltern! Das Baby fiebert

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Quelle: Sorin Morar

Die Idee kam Greta Kreuzer und ihrem Mann Johannes, nachdem ihre drei­jährige Tochter einen heftigen Fieberkrampf ­erlitt, obwohl sie bei ihr stündlich die Temperatur überprüft hatten. Herkömmliche Fieberthermometer messen nur während der Anwendung, ­"degree°" hingegen durchgehend. "Man setzt es ein, wenn man glaubt oder weiß, dass das Kind Fieber hat", sagt Greta Kreuzer (32).

Die filigrane Schnecke wiegt nur 5,4 Gramm und bleibt im Ohr. Sie schickt ­eine Warnung an das Smartphone der Eltern, wenn der Schützling fiebert. Damit das Gerät nicht zum Sendemast mutiert, macht es erst Meldung, wenn die Temperatur schnell ansteigt oder zu hoch ist. Die Messung im Gehörgang sei genauer als beispielsweise unter dem Arm, das Tragen komfortabel, sagt Greta Kreuzer. "Meine Kinder bemerken es gar nicht." 2011 gründeten die Münchner Betriebswirtin und der Medizintechniker ihr Start-up Cosinuss, die ersten Geräte sollen im Dezember 2017 ausgeliefert werden. Dann sind auch kindliche Designs für die Zielgruppe geplant: Giraffe, Drache und Elefant sind schon entworfen.

© SZ.de/lho
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