Plagiate im Studium:Im Dickicht der Fußnoten

Geht es um studentische Plagiate, handelt es sich oft weniger um gezielten Unterschleif als um pures Unvermögen. Die Folgen für Studenten sind manchmal verheerend. Aber auch Professoren machen Fehler.

Aus ihrer Sicht war es kein Plagiat, darauf besteht Sabine M. bis heute. Es war vor ein paar Jahren, an einer Uni in Nordrhein-Westfalen, die Studentin musste ein Referat halten in Soziologie. Sie bediente sich dafür inhaltlich aus einem Vortrag, den sie im Internet gefunden hatte. Sie gab die Quelle sogar an, auf dem Paper zum Referat, das sie im Seminar austeilte. "Ich habe das bloß nicht in einer Fußnote angegeben, so etwas macht man doch nicht bei einem Referat."

Ihr Dozent sah das anders, sprach von "Täuschungsabsicht" und brummte ihr eine Strafe auf: M. musste das Referat zusätzlich schriftlich ausarbeiten. Sonst wäre sie durchgefallen. "Das ärgert mich noch heute", sagt sie. Bald steht die Abschlussprüfung an, weshalb sie ungern ihren vollen Namen in der Presse lesen will.

Der Fall Guttenberg wirft nun ein Schlaglicht auf die Praxis des Zitierens und Nicht-Zitierens in der Wissenschaft. Der Rostocker Jura-Professor Felix Ekardt sieht in dem Vorgehen, das dem Verteidigungsminister angekreidet wird, keine Ausnahme. "Bedienen bei anderen und besonders im Internet ist leider zur Massenerscheinung geworden." Und bei vorhandenen Fußnoten dürfte "nur etwa die Hälfte davon wirklich richtig sein", meint er. Hinzu kämen "Tricksereien" wie das Übergehen von Leuten, die nicht der eigenen Lehrmeinung entsprächen.

Geht es um studentische Plagiate, handelt es sich oft weniger um gezielten Unterschleif als um Unvermögen. Die Regeln für korrektes Arbeiten bekommen Studenten aber eigentlich in den ersten Semestern beigebracht - in Tutorien und Propädeutika, wo ältere Kommilitonen den Neulingen beibringen, wie man richtig recherchiert und zitiert. Grundprinzip: Was wörtlich zitiert wird, muss auch mit einem Beleg versehen sein. Sinngemäße Entlehnungen sind ebenso auszuzeichnen, Internetquellen mit Fundstelle und Datum oder gar als angehängter Ausdruck - denn in dem flüchtigen Medium könnte der Link bei der Korrektur längst tot sein.

Einheitlich geregelt ist die Ahndung von Verstößen kaum. Je nach Schwere des Plagiats liegt sie meist im Ermessensspielraum des Dozenten. Die Prüfungsordnungen zwingen pro forma zur Korrektheit; einer Abschlussarbeit muss normalerweise eine Erklärung beigefügt werden, dass die Arbeit selbständig erstellt und korrekt mit Belegen versehen wurde. Einige Landeshochschulgesetze drohen die Exmatrikulation an. So weit kommt es aber nur in Einzelfällen - wie bei einem BWL-Studenten an der Uni Münster. Weil ihm das Kopieren fremder Texte für seine Diplomarbeit nachgewiesen wurde, musste er ohne Abschluss die Hochschule verlassen. Seine Klage dagegen wurde vom Verwaltungsgericht Münster im Frühjahr 2009 abgewiesen (Az: 10 K 1212/07). Der Student habe "gegen das Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit verstoßen", urteilten die Richter.

Fliegt jemand aus dem Studium, kann das weitreichende Folgen haben: Bei einem "endgültig nicht bestandenen" Abschluss, wie es amtlich heißt, ist die Bewerbung im selben Fach an einer anderen Uni meist untersagt. Im schlimmsten Fall hätte ein Betrüger viele Semester pro nihilo studiert.

In besagtem Fall von Münster war man dem Studenten mit einer Plagiatssoftware auf die Schliche gekommen. Wenn solche Programme an Unis eingeführt werden, kommen von Studenten zuweilen Beschwerden: wegen der Summen für die Anschaffung, die lieber in bessere Lehre zu investieren seien; wegen des Generalverdachts, der das Vertrauen zwischen Dozenten und Studenten zerstöre; und wegen der Mängel der Software. Die Berliner Medieninformatikerin Debora Weber-Wulff und ihr Team haben ermittelt: Selbst die besten Systeme finden allenfalls 70 Prozent der plagiierten Stellen. Und abgeglichen werden kann nur, was digital vorliegt.

Stille Wasser sind nicht immer tief

"Mit der Software versucht man nur Symptome zu bekämpfen. Studierende brauchen Prüfer, die ihre Arbeiten aufmerksam lesen", argumentiert der AStA in Bielefeld und fordert kleinere Seminare. Bernd Blöbaum, Professor für Kommunikationswissenschaft in Münster, muss im Jahr etwa 120 Arbeiten korrigieren. Blöbaum hat pro Jahr einige tausend Seiten zu lesen; trotzdem, sagt er, kämen ihm nur etwa fünf Prozent aller abgegebenen Texte verdächtig vor. "Und nur ein bis zwei Texte pro Jahr sind dann tatsächlich Plagiate."

Übergabe der Universitätsbibliothek Ilmenau

Bücher wälzen für die Seminararbeit: Mit dem korrekten Zitieren von Fachliteratur haben viele Studenten Probleme.

(Foto: Michael Reichel/dpa)

Zweifel erregen Arbeiten, in denen der Stil abrupt wechselt und in denen urplötzlich Quellen genannt werden, die nicht im Kontext des Seminars vorkamen. "Und wenn einer im Seminar nie den Mund aufgemacht hat und dann eine brillante Arbeit abliefert, schaue ich sie mir auch genauer an." Erhärtet sich ein Verdacht, bittet er den Studenten zum Gespräch. Klassiker unter den Ausreden seien Sätze wie: "Ich habe nicht gewusst, dass ich das nicht darf" oder "Ich stand so unter Zeitdruck".

Blöbaum lässt sich aber nicht erweichen: "Kommt so etwas vor, muss der Student noch einmal eine Arbeit schreiben. Ohne Ausnahme." Von drakonischen Strafen hält er allerdings im Falle studentischer Hausarbeiten wenig: "Man muss nicht immer gleich mit den größten Waffen schießen."

Studenten wissen um die Grauzonen, und so gehören Plagiate - geringfügige und großflächige, beabsichtigte und fahrlässige, plumpe und ausgeklügelte - zum Alltag an den Unis. Einige Studien, so sagt es der Soziologe Sebastian Sattler, vermuten hinter jeder fünften Arbeit ein (Teil-) Plagiat. Systematisch erforscht worden ist das Ausmaß bisher nicht. Sattler befragte vor vier Jahren 226 Studenten der Uni Bielefeld. Nur 13 Prozent werteten die Übernahme fremder Gedanken, ohne sie kenntlich zu machen, als in höchstem Maße bedenklich. Sattler fragte außerdem, bei welchen Veranstaltungen die Studenten Angst hätten, entdeckt zu werden. Ergebnis: je kleiner der Kurs, desto größer die Vorsicht. Anonyme Massen-Seminare verleiten eher zum Betrügen als ein kleiner Kurs mit guter Betreuung.

Aus diesem Grund plädieren manche Wissenschaftler auch dafür, Promotionen von Externen nicht mehr zuzulassen. In den USA beispielsweise ist es nicht möglich, eine Doktorarbeit zu schreiben, wenn man nicht an der Uni tätig ist und dort studiert. In Deutschland dagegen kann man monatelang nicht im Seminar auftauchen und dennoch irgendwann seine Dissertation einreichen.

Der Deutsche Hochschulverband (DHV) hat 2010 eine Resolution verabschiedet. "Universitätslehrer gehen davon aus, dass die überwältigende Mehrheit der Studierenden ihre Arbeiten redlich verfasst", heißt es darin. "Sie sollten sich aber auch darüber im Klaren sein, dass es durch die Digitalisierung von Texten leichter geworden ist, mittels Copy&Paste-Befehl Plagiate zu erstellen und Texte ganz oder teilweise als eigene Leistung auszugeben."

Navigieren in der Grauzone

Allen Fakultäten empfiehlt der DHV, einen Verhaltenskodex zu erlassen, der Studenten bei der Einschreibung überreicht wird - als eine Art Symbol der Abschreckung. "Wenn jemand betrügen will, wird man ihn nicht davon abhalten können, aber die Hemmschwelle wird vielleicht größer", sagt DHV-Sprecher Matthias Jaroch.

'Fussnoten von Karl Theodor zu Guttenberg

Mit Fußnoten haben nicht nur Studenten mitunter ihre Schwierigkeiten - auch Professoren werden immer wieder einmal gerügt.

(Foto: dapd)

Bei Studenten seien Sanktion aber immer "eine Frage des Fingerspitzengefühls", zumal mit Blick auf den Umfang des Plagiats. "Da ist ein Ermessensspielraum für die Dozenten sinnvoll, manche Studenten sind einfach nicht für das Thema sensibilisiert und sich kaum bewusst, dass sie etwas falsch machen." Gleichwohl müssten aber Entscheidungen gefällt werden, wenn etwas "sanktionswürdig" sei. Im Idealfall trete ein "Lerneffekt" für das weitere Studium ein.

Dass der leichtfertige Umgang mit Quellen auch in der Professorenschaft vorkommt, hat man bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erst vor zwei Wochen wieder einmal registriert. Sie musste - wieder einmal - zwei Professoren eine Rüge erteilen. Diese hatten in einem Antrag auf finanzielle Förderung ihres Forschungsvorhabens umfangreiche Passagen aus einer anderen Arbeit abgeschrieben, ohne zu zitieren. "Beide hätten als erfahrene Wissenschaftler auf Fremdzitate hinweisen müssen. Dies ist ein elementarer Grundsatz in der Wissenschaft und gilt umso mehr, als mit dem Antrag Fördermittel eingeworben werden sollten", sagt DFG-Generalsekretärin Dorothee Dzwonnek.

Der Rostocker Jurist Ekardt warnt auch vor den inhaltlichen Folgen des Plagiierens. Es sei "ineffizient, weil wissenschaftliche Scheinergebnisse produziert werden" - und das sei auch ein gesellschaftliches Problem.

Von Johann Osel, Florian Fuchs, Roland Preuß und Tanjev Schultz

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