Plagiate an Hochschulen:Fußnoten sind nicht nur akademischer Zierrat

Karl-Theodor zu Guttenberg und das Phänomen der Plagiate: Falsches Zitieren ist mehr als eine lässliche Sünde.

Gregor Walter-Drop

Es besteht kein Zweifel daran, dass Plagiatselementen in einer Dissertation niemals eine solche Aufmerksamkeit geschenkt würde, wenn es nicht um eine Arbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg ginge. Gerade weil diese Diskussion aber so breit und öffentlich geführt wird, ist es wichtig, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass es keineswegs nur um die Person des Verteidigungsministers geht. Es geht um etwas, was in der Öffentlichkeit weit weniger prominent, aber für das Funktionieren der Wissenschaft von zentraler Bedeutung ist: das Prinzip der akademischen Integrität.

Plagiatsvorwuerfe gegen Guttenberg

Bei den Plagiatsvorwürfen gegen Karl-Theodor zu Guttenberg geht es um die Prinzipien der Wissenschaft. Und um eine der zentralen Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens.

(Foto: dapd)

Lehrende an allen Hochschulen kämpfen seit der Omnipräsenz des Internets einen steten und harten Kampf um die Aufrechterhaltung dieses Prinzips. Plagiate sind ebenso wenig ein neues Phänomen wie komplette Fälschungen. Die Leichtigkeit aber, mit der dies auf allen Ebenen von akademischen Arbeiten - angefangen von einfachen Seminararbeiten bis zu Habilitationen - geschehen kann, hat eine vollkommen neue Qualität. Und der Kampf ist mühsam. Google findet viel, Spezialsoftware mehr, aber auch damit wird längst nicht alles aufgedeckt. Es ist leicht auszumalen, dass jetzt in diversen Zeitungsredaktionen für die Aufarbeitung einer einzelnen Arbeit eine Akribie an den Tag gelegt wird, wie sie Lehrende im Tagesgeschäft niemals praktizieren können.

Ohne akademische Integrität ist Wissenschaft kaum zu machen, weil Quellen und Ergebnisse nicht mehr zugeordnet werden könnten und weil es gänzlich unmöglich ist, tatsächlich alle Forschung zu kontrollieren. Ohne die Einhaltung dieser Regeln würde das für das Gemeinschaftswerk "Wissenschaft" so zentrale Vertrauen der Beteiligten untereinander sehr schnell schwinden. Akademische Integrität oder die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis beziehen sich nicht nur auf Plagiate, aber diese sind ganz besonders ärgerlich.

Die Regeln sind nicht erst dann verletzt, wenn ein ganzes Werk aus fremder Feder unter eigenem Namen eingereicht wird. Schon die absichtsvolle Übernahme eines einzigen Textteiles ohne adäquate Kennzeichnung verletzt die Norm, beleidigt die Intelligenz und das Wissen der Gutachter wie der Leser und auch die anderen Träger des entsprechenden akademischen Titels, die sich diesen mühsam erarbeitet haben.

Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich jetzt bei seiner kurzen Verteidigung am Freitag darauf berufen, dass nur ein kleiner Teil unter Hunderten Fußnoten seiner Arbeit strittig sei. Fußnoten sind aber kein akademischer Zierrat, ihr "Vergessen" ist keine lässliche Sünde, ihr Einfordern keine Beckmesserei. Fußnoten sind Ausweis für sorgfältige wissenschaftliche Arbeit, die es dem Leser ermöglichen sollen, die aufgestellten Behauptungen selbst nachzuvollziehen, zu überprüfen und die Qualität des Vorgehens, der Argumentation und der Ergebnisse zu bewerten.

Wie bei praktisch allen gesellschaftlichen Normen, kann auch die akademische Integrität nur bestehen, wenn ihre Grundprinzipien tief ins Selbstverständnis der wissenschaftlich Arbeitenden eingesunken ist, denn Kontrolle kann immer nur stichprobenartig sein. Genau deshalb werden diese Regeln so ernst genommen, deshalb müssen bereits Erstsemester mit Sanktionen rechnen, wenn sie diese verletzen.

Die Ausnahmestellung Deutschlands

Auf der Ebene von Doktorandinnen und Doktoranden kann niemand behaupten, diese Regeln nicht zu kennen. Trotzdem kommen Verstöße immer wieder vor - keineswegs nur auf der Ebene von Seminararbeiten. Die Reaktion von Hochschulen und Wissenschaft in Reaktion darauf wirkt häufig fast hilflos: zu wenig, zu spät, zu zögerlich. Am Ende steht oftmals wenig mehr als ein wachsweicher Verweis einer Ethik-Kommission.

Der Grund dafür sind nicht nur rechtliche Hürden und Verfahren im Dschungel des Kulturföderalismus - der tiefere Grund liegt darin, dass die Normen akademischer Integrität für die Gemeinschaft der Wissenschaftler so sakrosankt sind, dass ein Tabu schon dann berührt wird, wenn man über die Regelung der Verfahren der Normverletzung systematisch nachdenkt.

In der internationalen Wissenschaftslandschaft sind Doktorarbeiten in der Regel der Auftakt zu einer wissenschaftlichen Karriere. Ein Plagiat oder auch nur Plagiatselemente sind sehr riskant, denn die Arbeiten, die zu diesem Zweck entstehen, sollen von der wissenschaftlichen Gemeinschaft doch möglichst genau zur Kenntnis genommen werden. Ganz wortwörtlich ist der Ruf schnell ruiniert. Deutschland hat hier eine möglicherweise ungute Ausnahmestellung, denn hierzulande gereicht es selbst Herstellern von Puddingpulver zur Ehre, wenn der Firmenname einen Doktortitel aufweist - etwas, was in anderen Ländern kaum verständlich zu machen ist.

Gleichwohl muss auch für diejenigen, die aufgrund des in Deutschland noch immer üblichen Karrierebonus primär am Titel und nur sekundär an der Wissenschaft interessiert sind, gelten, dass sie auf dem Niveau einer eigenen wissenschaftlichen Leistung die Prinzipien der akademischen Integrität so weit verinnerlicht haben, dass so etwas eigentlich nicht vorkommen kann. Das Problem am Fall der Dissertation von Herrn zu Guttenberg ist, dass sich in den nächsten Tagen und Wochen in aller Öffentlichkeit entscheiden wird, wie wir es mit der wissenschaftlichen Integrität halten wollen. Die Hilflosigkeit der Wissenschaft im Umgang mit etwas, was nicht vorkommen darf, würde in einem Fall offenbar, der obendrein hochgradig politisch aufgeladen ist.

Man stelle sich die möglichen Konsequenzen vor: Kaum ein Hochschullehrer wird widersprechen, dass eine Seminararbeit mit nur einem Bruchteil dieser vielen Plagiatselemente auf jeden Fall eine Fünf wäre und vermutlich weitere Folgen hätte. Was aber sollen wir Studierenden und Doktoranden sagen, wenn die im vorliegenden Fall offensichtlichen, systematischen und vielfach vorkommenden Plagiatselemente keine nachhaltigen Konsequenzen haben? Mit welchem Argument sollen wir sie von der zentralen Bedeutung der Kernprinzipien wissenschaftlichen Arbeitens überzeugen?

Nein, es geht nicht allein um Herrn zu Guttenberg - auch wenn er für die Öffentlichkeit viel unterhaltsamer ist als die Prinzipien der Wissenschaft. Es geht um nichts weniger als eine der zentralen Grundlagen unseres Arbeitens.

Gregor Walter-Drop, Jahrgang 1969, lehrt Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und ist Wissenschaftlicher Geschäftsführer eines Sonderforschungsbereichs über Governance.

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