Pfarrer auf der Wiesn:Die Bedienung des Herrn

Weil er zu den Menschen will, kellnert ein Münchner Priester beim Oktoberfest. Die Kirche ist von seinem Nebenjob alles andere als begeistert.

Rudolf Neumaier

In Kana hat Jesus bei einer Hochzeitsfeier sechs Hektoliter Wasser in Wein verwandelt, was für damalige Verhältnisse eine beträchtliche Menge gewesen sein muss. Sechs Hektoliter, das sind umgerechnet auf Bier 600Maß. So viel trinken kaum einmal die Kunden von Rainer Maria Schießler an einem guten Tag. Und Schießler bedient nicht auf einem privaten Hochzeitsfest in Galiläa, sondern auf dem Oktoberfest in München, wo das Bierfass nie versiegt.

Wenn nun Jesus auf die Schnelle 600 Liter Wein hergestellt hat, dann kann Schießler locker 15 Maß Bier von der Schänke zu seinen Gästen wuchten. Schließlich ist er Pfarrer!

Es handelt sich um einen schweißtreibenden Job, den er sich für seinen Urlaub ausgesucht hat. Sonne, 25 Grad - die Leute haben Durst. Rainer Maria Schießler, 46, bedient jetzt im zweiten Jahr auf der Wiesn - 16 Tage lang, von früh bis spät. Er hat sich ein Baumwolltuch um den Hals gewickelt, mit dem er sich das Wasser von der Stirn tupft.

Der Pfarrer arbeitet für die Schottenhamel-Festhalle, er hat acht Tische im Außenbereich. Seine Dienstmarke, Nummer 162, hängt auf der Brust neben einer hölzernen Wäscheklammer, in die sein Name gebrannt ist: Rainer. Alle rufen ihn Rainer. Kein Mensch käme auf die Idee, ihn zu siezen. "Herr Pfarrer, no a Maß" - das würde dämlich klingen.

Vor diesem Hintergrund hat ihn ein Prälat im vergangenen Jahr ins Erzbischöfliche Ordinariat geladen. Weil es sich nicht gehöre für einen Geistlichen, dass er kellnert. Der Prälat habe ihm das zu verstehen gegeben.

Am Ende eine Spende

"Ja mei", sagt Schießler, denn er spricht Mundart, "ich erwarte nicht, dass meine Vorgesetzten und ich immer einer Meinung sind." Dass eine solche Tätigkeit unziemlich sei, findet er ganz und gar nicht. Sein Umkehrschluss: "Wenn der Job eines Pfarrers nicht würdig wäre, sind denn dann die anderen, die auf der Wiesn bedienen, weniger wert als ich?"

In dem Gespräch im Ordinariat hatte er dann noch eine Attacke zu parieren, wonach er sich zu einem neuen Don Camillo entwickle. Nun, so schrullig wie Don Camillo wirkt Schießler nicht. Er ist viel radikaler.

Die Wiesn-Bedienungen arbeiten als Subunternehmer der Wiesn-Wirte. Sie kaufen und verkaufen, sie müssen kalkulieren: Wie viele Biermarken brauchen sie, wie viele Hendlmarken, und können sie es sich gerade leisten, einem Gast eine Leberknödelsuppe aus der Küche am anderen Ende des Zeltes zu holen und andere warten zu lassen?

"Ich würde da jeden Pfarrer rausschicken, zum Praktikum", sagt Schießler. Er habe einen ganz neuen Wert des Begriffs dienen erfahren. Während er Bestellungen notiert, lässt er etwas Lateinisches fallen. "Servus servorum dei - Diener aller Diener Gottes, das ist doch der schönste Ehrentitel für uns Kirchenleute." Papst Gregor der Große hat sich so bezeichnet. Schießler nimmt das wörtlich. Seine Einnahmen spendet er an das Aidswaisen-Projekt der Schweizerin Lotti Latrous im Senegal. Wie viel zusammenkommt, sagt er nicht. Gib niemals deine Gage preis - ein ungeschriebenes Gesetz unter Wiesn-Bedienungen.

Die Gäste wissen nicht, dass der Rainer ein Pfarrer auf Urlaub ist. Ein junger Mann in Lederhose, der Bier bestellen will, sagt seiner Freundin: "Ruf ihm doch mal zu: Rainer, ich will ein Kind von Dir, damit der kommt." Die jungen Leute hätten Schießler eher für einen Busfahrer gehalten, sagen sie, oder für einen Handwerker. Priester haben keine so fleischigen Finger von der Arbeit.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Schießlers Pfarrei von seinem Nebenjob hält.

Die Bedienung des Herrn

Rainer Maria Schießler macht in seiner Pfarrei fast alles selbst. Er mäht den Rasen, schneidet Hecken, stellt den Christbaum auf und bastelt im Frühjahr einen Maibaum daraus. In letzter Zeit putzt er auch die Treppen im vierstöckigen Pfarrhaus, weil der Frau, die dafür beschäftigt ist, das Alter übel mitspielt, sie aber das Geld braucht. "Beim Putzen", sagt er, "kommen mir oft die besten Gedanken."

Als Prediger nimmt er, buchstäblich, kein Blatt vor den Mund. Er spricht frei. Wie Don Camillo, die Kunstfigur. Die Pfarrei von Rainer Maria Schießler liegt im Münchner Glockenbachviertel. Sie heißt St.Maximilian. Schießler sagt, der Anteil an Gottesdienstbesuchern unter den 5000 gemeldeten katholischen Kirchensteuerzahlern seiner Pfarrei liege bei 4,5 Prozent.

"Die Kirchen sind dafür da, dass die Menschen darin beten"

Das Glockenbachviertel ist so ziemlich der trendigste Stadtteil Münchens. Der typische Bewohner sieht nicht aus wie ein frommer Katholik. Nirgendwo sonst im Süden Deutschlands gibt es so viele Schwulen-Lokale wie hier. Schießler macht kein Hehl daraus, dass in St. Maximilian, als Firmhelfer zum Beispiel, Schwule und Lesben mitarbeiten, die ihre Sexualität offen leben. Im Gegenteil, er wendet sich gegen die Homophobie des Vatikans: "Die Kirchen sind dafür da, dass die Menschen darin beten - und zwar alle!"

Er erzählt von Jesus Christus, der immer die Ausgestoßenen gesucht habe. "Und was tun wir? Sacken Kirchensteuer ein und schließen Wiederverheiratete und Geschiedene von den Sakramenten aus. Ich finde, das ist alles andere als fair."

Die Leute, die er als seine Gegner bezeichnet, werfen ihm Selbstdarstellungsdrang vor. Das mag daran liegen, wie er sich verkauft. Häufig benutzt er Vokabeln wie cool und geil, wobei er geil mit derselben Emphase ausspricht wie der Fußball-Fernsehkommentator Jürgen Klopp. Bei beiden klingt es authentisch, aber Schießler ist Pfarrer. "Ich habe noch nie eine Zeitung gerufen, die kommen auf mich zu", sagt er. Wenn er das Spiel mitspiele, gehe es ihm allein darum, "ein Gegengewicht herzustellen zu Schlagzeilen wie aus Regensburg. Ich will für die Kirche gute Schlagzeilen machen. Die Leute sollen sagen: Das gibt's doch gar nicht, so ist die Kirche auch."

Wie kein anderer Geistlicher protestiert er offen gegen den Bischof von Regensburg. In dessen Bistum wurde ein Pfarrer festgenommen, der sich wiederholt an Ministranten vergangen haben soll.

Tom Gröning, 43, Schottenhamel-Bedienung Nr. 161, sagt, so einen weltoffenen Priester wie Schießler habe er kaum zuvor erlebt: "Er verkörpert Kirche, wie ich sie mir vorstelle." Es herrscht ein gewaltiger Trubel zwischen den Tischen, und man kann sich nicht vorstellen, dass die Kellner ernsthaft konversieren können. Aber es klappt offenbar.

"Der Rainer", sagt Gröning, der im normalen Leben als Key-Account-Manager bei der Lufthansa beschäftigt ist, "der Rainer hat hier schon eingefleischte Atheisten davon überzeugt, dass es nichts ist mit ihrem Atheismus." Ihn selbst habe der Kollege mit der Kirche versöhnt.

Die einfachen Leute stinken nach Fischsemmeln und Bier

Viel von dem, was Schießler von sich gibt, klingt nach einem Credo, welches das apostolische Glaubensbekenntnis an Aussagekraft übertrifft und bei standesbewussten Klerikern Naserümpfen hervorruft. "Wir sind nicht Schüler von Philosophen oder Dogmatik-Professoren2, sagt er, "sondern Nachkommen von Fischern vom See Genezareth. Von einfachen Leuten, die nach Fisch gestunken haben."

Die einfachen Leute auf dem Oktoberfest stinken nach Fischsemmeln und Bier. Unter ihnen fühlt sich Pfarrer Schießler wohler als unter Klerikern. Das Ordinariat betrachtet er als administrative Einrichtung zur Unterstützung der Seelsorger. Mit dieser Einstellung wird er keine Karriere machen in der Kirche. Das habe ihm der Prälat vor einem Jahr mitgeteilt, erzählt Schießler. Er habe erwidert, er hege keine weiteren Ambitionen, als eines Tages, kurz vor dem Tod, sagen zu können: "Es hat alles gepasst." Dafür riskiert er seinen Arbeitsplatz.

Schießler hält es für möglich, dass "man im Ordinariat zur Überzeugung gelangt, dass ich fürs Betriebsklima untragbar bin. Warum soll es mir dann anders gehen als jedem anderen in einer Firma?" Auf jeden Fall hat er alle fünf Jahre seinen Taxischein erneuert. Mit dem Taxifahren hat er schon sein Theologie-Studium finanziert. Zur Oktoberfest-Zeit verdiente er am besten.

(SZ vom 25.9.2007)

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