Personaler:Autonom und akzeptiert

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Der Betriebswirt Chris Vinck ist bei der Siemens Schweiz AG für das Recruiting zuständig. (Foto: Privat)

Was ist dran am Klischee vom schwulen Friseur und der lesbischen Polizistin? Beeinflusst die sexuelle Orientierung die Berufswahl?

Interview von M. Hoffmeyer

Friseur, Flugbegleiter, Maskenbildner - auf Partys oder in Internetforen wird gern diskutiert, ob es typische Berufe für Schwule gibt. Chris Vinck, 47, hält bei der Jobmesse "Sticks & Stones" einen Vortrag zur Frage "Gibt es Regenbogenberufe?". Der Personaler bei Siemens Schweiz ist überzeugt: alles nur Vorurteile.

SZ: Es gibt schon auffällig viele schwule Friseure, oder?

Chris Vinck: Wenn ein Klischee erst mal existiert, wird alles, was es bestätigt, besonders intensiv wahrgenommen. Es fällt den Leuten einfach mehr auf, wenn sich ein Friseur auffällig schwul gibt. Wenn nicht, gilt er als Ausnahme, obwohl er gar keine ist. Ich bin sicher, dass die Mehrheit der Friseure heterosexuell ist.

Beliebt bei Schwulen sind angeblich auch Jobs beim Theater, beim Film, in der Werbung oder im sozialen Bereich.

Auch hier wird die Wirklichkeit überzeichnet, man sieht das, was man erwartet. In allen Berufen arbeiten Schwule, bei einem Anteil in der Gesellschaft von mindestens drei Prozent kann das gar nicht anders sein. Künstlerische Berufe bieten aber viel Autonomie und eine Umgebung, in der Schwule akzeptiert werden. Jeder hat gern einen schwulen Freund in der Theaterbranche, da fällt das Outing nicht so schwer. Unter Profi-Fußballern oder im hohen Management scheint es dagegen überhaupt keine Schwulen zu geben . . .

Weil die Scheu vor dem Outing in diesen Berufen besonders hoch ist?

Natürlich. Die Fußballer-Debatte ist ja sattsam bekannt. Und Manager, die offen schwul leben, müssen fürchten, bei Geschäften mit dem Ausland Schwierigkeiten zu bekommen. In anderen Branchen sind schwulenfeindliche Haltungen immer noch verbreitet, etwa im Handwerk oder auf dem Bau. Da ist es schwer, dazu zu stehen, was man ist.

Gibt es eigentlich wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema?

Ich habe nur eine amerikanische Studie aus den Fünfzigerjahren gefunden - das ist eher eine Kuriosität. Sie basiert noch auf dem Glauben, dass Homosexualität eine heilbare Krankheit wäre. Der Autor hat gar keine Zweifel, dass es schwule Berufe gibt. Er rät Schulabgängern dringend davon ab, zum Beispiel Krankenpfleger oder Kindergärtner zu werden, und warnt davor, dass diese Berufe verweichlichend seien und für normale Männer nicht geeignet.

Das sind Berufe, für die sich auch heute noch viel weniger Männer als Frauen entscheiden.

Ein Grund dafür könnte tatsächlich die Angst sein, für schwul gehalten zu werden. Dadurch werden die Klischees natürlich weiter gefestigt. Wer aus einem Milieu kommt, in dem Homosexualität verpönt ist, ergreift vielleicht extra einen als besonders männlich geltenden Beruf, damit er gar nicht erst in Verdacht kommt. Das trifft übrigens auf viele Migranten zu, da ist der Anteil der verkappten Schwulen größer als in der restlichen Bevölkerung.

Gibt es auch Berufe, die als typisch für Lesben gelten?

Die Klischees über mannhafte Polizistinnen oder burschikose Gärtnerinnen gibt es, sie wirken aber nicht so stark. Frauen in typischen Männerberufen haben allgemein mit Vorurteilen zu kämpfen, da steht Homosexualität nicht so im Vordergrund. Vielleicht fallen Lesben auch einfach weniger auf.

Wie lange wird sich das Friseur-Klischee wohl noch halten?

Die Gesellschaft ist liberaler geworden, auch in vielen Unternehmen hat sich etwas geändert. Ich hoffe, dass immer mehr Schwule den Mut haben werden, auch im Beruf zu ihrer Identität zu stehen. Für die junge Generation ist das viel leichter geworden. Trotzdem wird es sicher noch lange dauern, bis Homosexualität so allgemein akzeptiert ist, dass man gar nicht mehr groß darüber reden muss.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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