Perfektionismus im Job:"Schwätzer haben die besseren Karten"

Wer im Job immer 110 Prozent gibt, wird nicht befördert, sagt die Autorin Simone Janson. Ein Gespräch über Perfektionismus, Burn-out und Selbstdarsteller.

J. Bönisch

sueddeutsche.de: Frau Janson, jeder fünfte Deutsche hält sich selbst für einen Perfektionisten. Sind wir wirklich ein Volk der Überkorrekten?

Perfektionismus im Job: Alles muss korrekt sein: Mit einem Perfektionisten im Team können es die übrigen Kollegen etwas ruhiger angehen lassen.

Alles muss korrekt sein: Mit einem Perfektionisten im Team können es die übrigen Kollegen etwas ruhiger angehen lassen.

(Foto: Foto: iStock)

Simone Janson: Die Zahl halte ich für realistisch. Natürlich leidet nicht jeder dieser Menschen unter einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung, die Perfektionismus im schlimmsten Falle sein kann, es gibt verschiedene Ausprägungen. Aber auch wenn der Perfektionismus nicht so stark entwickelt ist, kann er für die Betroffenen sehr belastend sein.

sueddeutsche.de: Perfektion gilt doch im Allgemeinen als erstrebenswert: Wer Dinge nur halbherzig erledigt, hat in seiner Firma keinen besonders guten Ruf, oder?

Janson: Eine positive Leistungsbereitschaft ist natürlich wichtig. Aber Perfektionisten nehmen es zu genau: Nichts ist ihnen gut genug. Das gilt nicht nur für die eigene Leistung, sondern auch für die anderer. Sie sind Kontrollfreaks, ärgern sich maßlos über Fehler und sind oft nicht besonders kritikfähig. Außerdem grübeln sie endlos über Probleme. All das führt dazu, dass diese Menschen häufig sehr gestresst sind.

sueddeutsche.de: Das klingt, als wären Perfektionisten nicht gerade angenehme Gesellschaft.

Janson: Das stimmt. Häufig haben sie Ärger mit Kollegen und Vorgesetzten und sind unbeliebt. Kein Wunder: Wer rechthaberisch ist und seine Kritik wenig subtil äußert, tritt anderen Menschen schnell auf die Füße. Trotzdem wundern sich viele Perfektionisten, warum sie für ihren hohen Arbeitseinsatz nicht belohnt werden. Sie arbeiten Tag und Nacht, um ihre Aufgaben bis ins kleinste Detail vollkommen zu erledigen - und stehen dennoch irgendwann auf der Abschussliste. Sie sehen nicht, dass sie ihre Umgebung nerven.

sueddeutsche.de: Viele Chefs vermitteln aber einen anderen Eindruck. Sie wollen lieber einen Perfektionisten im Team haben als jemanden, der es vielleicht nicht allzu genau nimmt.

Janson: Weil Perfektionisten eine Zeit lang unglaublich bequem für eine Firma sind. Wer solch einen Menschen im Team hat, weiß: Es ist immer jemand da, der alles wegschafft, die Fehler korrigiert und darauf achtet, dass Deadlines eingehalten werden. Insofern ist ein Perfektionist auch ein dankbarer Kollege, weil andere ihre Arbeit auf ihn abschieben können. Zudem kritisiert sich der Perfektionist permanent selbst: "Projekt A hätte ich lieber so erledigen sollen, Projekt B wäre ich besser auf diese Weise angegangen ..." Da freut sich jeder Chef, dass er selbst kein Feedback geben muss.

sueddeutsche.de: Und trotzdem übergeht er Perfektionisten bei der nächsten Beförderung?

Perfektionismus und Burn-out

Janson: Ja, denn auf lange Sicht kommt es nicht auf die Leistung an. Ob wir Karriere machen, hängt nur zu zehn Prozent davon ab. Welches Image wir haben, beeinflusst unseren Erfolg viel mehr. Noch wichtiger ist, welchen Bekanntheitsgrad wir im Unternehmen haben. Plakativ gesagt: Schwätzer haben die besseren Karten. Man muss nicht perfekt sein - gut zu sein, reicht schon. Perfektionisten sollten weniger Mühe in ihre Arbeit stecken und mehr Wert auf Selbstdarstellung legen.

sueddeutsche.de: Das klingt auch nicht sehr sympathisch.

Janson: Man muss sich ja nicht auf Kosten anderer profilieren. Wir sollten uns aber darüber im Klaren sein, dass im Job bestimmte Spielregeln gelten. Jeder hat doch schon mal die Erfahrung gemacht, dass nicht der Bessere das Lob einheimst, sondern derjenige, der gut mit dem Vorgesetzten kann. Das ist kein Appell zu schleimen. Ich möchte nur sagen: Wer immer 110 Prozent gibt, hat nichts davon - höchstens Burn-out.

sueddeutsche.de: Sind Perfektionisten dafür besonders anfällig?

Janson: Natürlich, denn sie sind Menschen mit hohen Idealen. Ihre große Arbeitseuphorie hat ein ebenso großes Frustrationspotential. Wer sich permanent selbst überfordert, kann nie richtig entspannen. Ein Perfektionist treibt sich immer weiter an, sein Körper ist in ständiger Alarmbereitschaft, er kann den Stress nicht abbauen. Niemand hält auf Dauer ein so hohes Arbeitstempo durch. Wer seinen Arbeitseinsatz von 110 auf 80 Prozent herunterschraubt, der wird nicht nur mehr erreichen - es wird ihm auch gesundheitlich besser gehen.

sueddeutsche.de: Wie kann ein Perfektionist lernen, es bei 80 Prozent gut sein zu lassen?

Janson: Erstens muss er das Neinsagen trainieren - auch dann, wenn Chef und Kollegen ihn zu manipulieren versuchen und an seinen perfektionistischen Anspruch appellieren. Zweitens muss er die eigenen Ansprüche herunterschrauben. Wer sich vor Augen führt, dass ein Ergebnis nach zwölf Stunden Arbeit nur minimal besser ist als das nach acht Stunden Arbeit, befindet sich auf einem guten Weg.

sueddeutsche.de: Ein Perfektionist, der etwas auf sich hält, wird das bestimmt so lange probieren, bis er es kann. Wie lange dauert es, um sich zu ändern?

Janson: Mehrere Jahre, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Zum Beispiel musste ich auch erst lernen, meine Ansprüche an mich selbst herunterzuschrauben, weniger Überstunden zu machen und bei manchen Kundenwünschen "Nein" zu sagen. Aber ich merke, dass es sich lohnt. Meine Arbeit macht mir mehr Spaß, ich bin nicht mehr so gestresst, arbeite motivierter und in vielen Dingen effizienter als früher.

Simone Janson: Die 110%-Lüge. Wie Sie mit weniger Perfektion mehr erreichen. Redline Verlag 2009

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