Online-Klausuren:Prüfung auf dem Sofa

Klausuren kann man auch zu Hause via Notebook ablegen.  Die Datensicherheit betrachten viele Hochschulen aber bei diesem Thema noch als zu große Hürde.

Von Christiane Bertelsmann

Wenn BWL-Studentin Jessica Onken eine Klausur schreiben möchte, räumt sie erst mal den Küchentisch frei. Dort platziert sie danach Notebook und Tablet. Über das Verwaltungsportal ihrer Hochschule loggt sich Onken ein, um sich für die Klausur anzumelden. Keine zehn Minuten später meldet sich der Proctor, der Aufpasser, bei ihr. Er überwacht online über die Kameras ihres Notebooks und ihres Tablets, dass sie nicht schummelt. Für ihr Notebook muss die Studentin dem Überwacher den Zugriff per Fernsteuerungsapp erlauben. Bevor es losgeht, hält sie ihren Personalausweis in die Kamera. Dann filmt sie mit dem Tablet den Raum ab. So ist sichergestellt, dass keine Spickzettel an den Wänden hängen. Sobald das Tablet so positioniert ist, dass die Kamera Onkens Hände und ihr Gesicht im Profil filmen kann, beginnt die Prüfung.

Die Fernstudentin ist 23 Jahre alt und arbeitet als Bankkauffrau im westfälischen Siegen. An der Internationalen Fachhochschule Bad Honnef - Bonn (IUBH) hat sie neben ihrer Arbeit ein BWL-Fernstudium aufgenommen, Abschlussziel Bachelor. "So wie die meisten meiner Kollegen nutze ich zur Weiterbildung auch die Lehrgänge, die unsere Bank anbietet. Das BWL-Studium ergänzt das", sagt sie. Dass die IUBH auch Online-Klausuren anbietet, war ihr zunächst nicht bewusst. "Mir ging es vor allem um die größtmögliche Flexibilität, und die sah ich bei einer Fernuni gewährleistet." Die Möglichkeit, ihr Wissen online prüfen zu lassen, kommt der jungen Frau entgegen. Bevor die Hochschule diese Option eingeführt hatte, musste Onken eine Dreiviertelstunde von ihrem Wohnort aus nach Dortmund fahren, um dort im Prüfungszentrum der Uni zusammen mit anderen Studierenden ihre Klausur zu schreiben. Jetzt kann sie spontan entscheiden, ob der Stoff so gut sitzt, dass sie sich prüfen lassen will. Das darf abends, nachts oder am Wochenende sein.

Online-Klausuren: Per Kamera wird der Raum vor Beginn der Klausur genau gefilmt. Denn man könnte ja einen Spickzettel im Wohnzimmer aufgehängt haben.

Per Kamera wird der Raum vor Beginn der Klausur genau gefilmt. Denn man könnte ja einen Spickzettel im Wohnzimmer aufgehängt haben.

(Foto: Westend61/mauritius images)

Bislang ist die IUBH die einzige Hochschule, die Online-Klausuren on demand, also auf Nachfrage, anbietet. "Wir haben im Rahmen unserer Recherchen für eine Trendstudie Fernstudium aus dem Jahr 2016 herausgefunden, dass Flexibilität einer großen Gruppe von Fernstudierenden äußerst wichtig ist", sagt Holger Sommerfeldt, akademischer Leiter der Fernstudienprogramme an der IUBH.

Was die Flexibilität anbelangt, hat sich bei den Fernhochschulen schon viel getan: Bei den meisten können die Studierenden zu einem beliebigen Zeitpunkt ihr Studium beginnen. Auch der Ort, an dem sie sich prüfen lassen können, ist relativ frei wählbar. Zahlreiche Fernunis arbeiten mit Goethe-Instituten zusammen, mit deutschen Botschaftsvertretungen oder deutschen Schulen, sodass sich im Ausland Lebende am jeweiligen Ort prüfen lassen können.

Christian Roiter, ebenfalls Fernstudent an der IUBH, geht ins Gartenhaus, um seine Klausur abzulegen. Er wohnt bei seinen Eltern in einem Dorf in Oberösterreich. Für ihn ist das Fernstudium die einzige Möglichkeit, um überhaupt studieren zu können. Der 20-Jährige lebt mit dem Asperger-Syndrom. Schon die Schulzeit zu überstehen, war für ihn purer Stress. "Direkte Kommunikation bringt ihn an seine Grenzen", sagt seine Mutter Hermine Roiter. "Dass er jetzt für die Klausuren nicht mehr woandershin muss, ist ein Traum."

E-Klausuren

Zwischen Online-Klausuren und E-Klausuren gibt es einen wichtigen Unterschied: Online-Klausuren dürfen an privaten Rechnern geschrieben werden, E-Klausuren nicht. Für E-Klausuren stellen Hochschulen eigens Computer in für diesen Zweck vorgesehenen Räumen zur Verfügung. Sie müssen zu einer bestimmten Zeit an einem gewissen Ort abgelegt werden. Nach einer Studie des HIS-Instituts für Hochschulentwicklung aus dem Jahr 2016 nutzen knapp zwei Drittel aller deutschen Hochschulen bereits E-Klausuren oder befinden sich in der Testphase. "Der Korrekturaufwand ist geringer, die Auswertung schneller und präzise", beschreibt Cornelis Kater, Leiter des Bereichs E-Learning Service an der Leibniz Universität Hannover, die Vorteile der E-Klausur. In Fächern wie Philosophie, in denen geprüft wird, wie gut Studenten analysieren und argumentieren können, kommt die E-Klausur jedoch an ihre Grenzen. Ralf Haderlein, Leiter der Zentralstelle für Fernstudien an Fachhochschulen (ZFH): "Viele Kompetenzen lassen sich damit nicht abprüfen. Deshalb fordert der Akkreditierungsrat eine Prüfungsvielfalt ein." Christiane Bertelsmann

Und der Datenschutz? "Unsere Studierenden müssen vor jeder Prüfung ihr Einverständnis dazu geben, sich überwachen zu lassen", sagt Professor Sommerfeldt von der IUBH. "Wir informieren vor jeder Prüfung über die Art und Weise der Datenerhebung und -verarbeitung sowie ihre Speicherung. Für die Speicherung haben wir ein Rechenzentrum in Kanada beauftragt, das die Daten nach 30 Tagen löscht."

Andere Fernhochschulen - auch solche, die bereits stark auf E-Learning setzen - sehen bei der Einführung von Online-Klausuren noch Schwierigkeiten. "Solange nicht alle für uns relevanten Fragen zu Datenschutz und Datensicherheit sowie Betrugsgefahr vollständig ausgeräumt sind und damit das Thema Rechtssicherheit für unsere Studierenden geklärt ist, behalten wir die Vor-Ort-Klausuren in unseren Studienzentren bei", sagt etwa Wolfram Behm, Chief Information Officer der SRH Fernhochschule - The Mobile University. Auch bei WINGS, dem Fernstudienanbieter der Hochschule Wismar, sieht man die Entwicklung eher kritisch - vor allem, was den Datenschutz angeht: "Speicherung, Weitergabe oder Abruf durch fremde Dritte sowie der Zugang auf den Rechner des Prüflings sollten eindeutig ausgeschlossen werden können", betont WINGS-Sprecher André Senechal. Die IST-Hochschule für Fernstudierende arbeitet daran, Zwischenprüfungen online durchzuführen - wann es so weit ist, steht noch nicht fest.

Marc Zwiebler, Profi-Badmintonspieler, macht gerade an der IUBH sein Master-Studium in General Management. Er reist viel, die Online-Klausuren kommen auch ihm entgegen. Aber nicht alle. Jetzt steht bald eine Klausur in angewandter Statistik an. Die will er lieber komplett handschriftlich machen, so wie in der Schule: "Ich fühle mich wohler, wenn ich meine Rechnungen und Formeln nicht in den Computer eintippen muss", sagt er. Zwei leere weiße Blätter dürfte er theoretisch während einer Online-Klausur neben seinem Rechner liegen haben. Auch die müsste er natürlich vorher in die Kamera halten. Da ist der Proctor streng.

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