OECD-Studie:Zahl der Arbeitnehmer über 60 steigt deutlich

In Deutschland haben immer mehr ältere Menschen einen Job. Einer Studie zufolge ist die Erwerbsquote bei den über 60-Jährigen deutlich gestiegen. Während die Zahl der arbeitsfähigen Menschen insgesamt nur leicht gesunken ist. Das hat viele Gründe, vor allem politische.

Sibylle Haas

Der 75-jährige Professor gehört dazu, zu den Alten, die arbeiten wollen. Der Mann hatte sich durch die Instanzen geklagt und vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Recht bekommen: Er darf als öffentlich vereidigter Sachverständiger weiterarbeiten. Eine generelle Altersgrenze verstoße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

Es gibt immer mehr Menschen über 60 Jahren, die einer Erwerbsarbeit nachgehen, fand nun das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg heraus und liefert die Gründe. Einer der wichtigsten sei die gestiegene Berufstätigkeit von Frauen. Ein weiterer die bessere Gesundheit älterer Menschen. Ein dritter das Bestreben der Ruheständler, ihre Rente aufzubessern.

Und besonders machen sich die politischen Veränderungen bemerkbar. Dazu gehört, dass Frühverrentungen und Regelungen zum Vorruhestand durch die Reformen von 2002 bis 2005 restriktiver gehandhabt werden. Ein nicht unerheblicher Teil der 60-Jährigen arbeite in atypischen Arbeitsverhältnissen, also in Teilzeit oder befristet.

Insgesamt schlägt sich die sogenannte demografische Verschiebung in den Zahlen der Forscher nieder. In den vergangenen 20 Jahren habe sich die Erwerbsbevölkerung absolut nur geringfügig verändert: Die Anzahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre laut Statistik) ist von 55,1 Millionen 1991 auf 54 Millionen 2010 nur leicht gesunken.

Jedoch hat sich die Altersstruktur der Beschäftigten erheblich verschoben, denn es kommen nicht mehr so viel Junge nach. Das schlägt sich in den Unternehmen nieder, die Anzahl älterer Arbeitnehmer steigt. So hat sich laut IAB in den vergangenen 20 Jahren die Erwerbsquote der 60- bis 64-Jährigen mehr als verdoppelt (siehe Grafik) - von 20,8 Prozent auf 44,2 Prozent. Die Erwerbsquote ist der Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung. Die Verschiebung der Altersstruktur habe den demografischen Rückgang mehr als ausgeglichen, schreiben die Forscher in ihrer Studie weiter.

Die Beteiligung Älterer am Erwerbsleben spielt auch in der Debatte um die Erhöhung des Rentenalters eine Rolle. In vielen Industrieländern wird die Lebensarbeitszeit verlängert. In Deutschland ist die Rente mit 67 beschlossene Sache. Das ist unumgänglich, weil die Finanzierung der Rentensysteme immer schwieriger wird. Die um 1990 geborenen Kinder der Babyboomer, der geburtenstarken Jahrgänge, sind im Vergleich zu ihren Eltern und Großeltern nur noch halb so zahlreich. Ihre Last als Beitragszahler in Sozialsystemen wird, wenn nichts geschieht, viel höher sein. Schon heute kommen, so die Organisation OECD, drei Erwerbstätige für einen Rentner auf.

Das ist in Frankreich ähnlich. Deshalb ist es umstritten, dass der sozialistische Staatspräsident François Hollande die Bürger früher in Rente schickt. Kurz nach seinem Amtsantritt kündigte er an, das Rentenalter wieder auf 60 zu senken. Damit liegt das Land im OECD-Vergleich am unteren Ende. Tatsächlich verabschieden sich der OECD zufolge die Franzosen sogar noch früher in den Ruhestand: Die Frauen im Durchschnitt mit 59,7 Jahren und die Männer mit 59,1 Jahren.

Das dürfte dem 75-jährigen Professor, der hierzulande seine Weiterbeschäftigung erstreiten musste, nicht gefallen. In Schweden ist es besser: Ein festes Rentenalter wurde dort abgeschafft. Seit 2003 darf ein Arbeitnehmer eine Stelle mindestens bis zum 67. Lebensjahr behalten. Viele Rentner arbeiten länger. Allerdings oft deshalb, weil sie die Renten aufbessern müssen - die sind an die Konjunktur gekoppelt. Und damit können sie nicht nur steigen, sondern auch sinken.

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