OECD-Studie:Sorgenkind Bildungspolitik

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Auch wenn die Kritik in manchen Punkten überzogen ist, hat sie ihre Berechtigung: Die bisherigen Reformen waren zu zaghaft, ein Ruck in der Bildungspolitik ist ausgeblieben. Ein Kommentar von Jeanne Rubner.

Ein Papier, viele Meinungen: Kultusminister, Lehrerverbände, Opposition, Arbeitgeber - kaum eine Stimme, die sich nicht erhoben hätte und sich im neuen Bildungsbericht der OECD für die eigene Politik und für längst an andere gestellte Forderungen bestätigt sehen würde.

Grafik: Ausgaben für Bildungs-einrichtungen, weltweiter Vergleich. (Foto: (SZ-Grafik, Foto: AP, Quelle: OECD))

Wenn Kakophonie sich breit macht, kann man in der Regel einen Schluss daraus ziehen: Alle haben ein bisschen Recht. Die Länderminister, die auf angeschobene Reformen verweisen, die Opposition, die mehr Reformen anmahnt, die Manager, die vom Staat Investitionen in Bildung fordern, die OECD-Experten, die Deutschland Trägheit vorwerfen und so weiter.

Fest steht: Aus dem Papier lässt sich manches ablesen, anderes jedoch nicht. Die Daten zu Klassengrößen, Studienanfängern oder Bildungsausgaben sind einige Jahre alt und erlauben mitnichten Rückschlüsse darüber, ob die richtigen Reformen beschlossen wurden und ob diese schon greifen.

Es wäre verwegen, "Bildung auf einen Blick 2004" als Beleg für eine verfehlte Politik der letzten Jahre zu zitieren, das Papier dokumentiert Versäumnisse der letzten Jahrzehnte. Insofern ist der Unmut der Kultusminister angesichts der Pauschalkritik verständlich. Sie haben nach den miserablen Pisa-Ergebnissen durchaus Reformen angepackt - wie halbherzig oder konsequent wird man aber erst in ein paar Jahren sagen können.

Dennoch ist die Mahnung der OECD wichtig und berechtigt. Ihre Studie macht wieder einmal deutlich, dass Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten den Anschluss an die Spitze verloren hat. Laissez-faire war lange Zeit die Devise, getreu nach dem Motto: Wir sind doch schon so gut.

Nach der Bildungsexpansion der siebziger Jahre und den darauf folgenden ideologischen Grabenkämpfen zwischen Bundesländern ist Deutschland in Lethargie verfallen. Zugleich aber haben andere Länder, auch viel ärmere als die Bundesrepublik, aufgeholt - indem sie Kindergärten ausgebaut, den Unterricht modernisiert, mehr Studenten ausgebildet und zusätzliches Geld in Bildung gesteckt haben.

Die schlechte Botschaft ist also nicht, dass wir plötzlich so abgesackt sind, sondern dass andere aufgeholt haben. Die inzwischen banale Erkenntnis, dass in der Post-Industriegesellschaft Bildung wichtiger sein wird als Rohstoffe und Fabriken es heute noch sind, hat man woanders früher und konsequenter als hierzulande umgesetzt, wo lieber mit Schlagworten wie der Akademikerschwemme argumentiert wurde.

Selbst wenn die OECD-Kritik in manchen Punkten überzogen ist - Deutschland hat sie dringend nötig, weil es viel zu lange im eigenen Saft geschmort hat und sich auf seiner großen Tradition ausgeruht hat.

Mit den jetzigen Bildungsreformen ist es ein wenig wie mit Hartz IV. Standards, Ganztagsschulen oder kürzere Studienabschlüsse sind nur der zaghafte Anfang eines längst überfälligen, großen Revirements, das konsequent weiter verfolgt werden muss.

Der Ruck in der Bildungspolitik ist bislang ausgeblieben. Er wird auch erst dann durch die Gesellschaft gehen, wenn alle davon überzeugt sind, dass gute Schulen und eine höhere Ausbildung für möglichst viele Menschen wichtig sind; wenn Politiker tatsächlich Geld für Schulen und Universitäten ausgeben statt Eigenheime und Kohle zu subventionieren; Eltern die Ausbildung ihrer Kinder ernster nehmen als das neue Auto und die Urlaubsreise; Schüler den Unterricht nicht als eine lästige Halbtagsveranstaltung empfinden.

Nirgendwo fühlen sich Kinder so wenig ihrer Schule zugehörig wie in Deutschland, lautet ein erschreckendes Ergebnis der neuen Studie. In diesen Tagen ist viel die Rede von Gerechtigkeit. Wenn es ein sicheres Rezept dafür gibt, Menschen möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse zu garantieren, dann muss man früh anfangen, am besten schon im Kindergarten.

© Süddeutsche Zeitung vom 15.09.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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