Neues Gesetz:Wie New Jersey Mobbing an Schulen verhindern will

Der Suizid eines Mobbing-Opfers ist Auslöser für ein neues Gesetz im amerikanischen Bundesstaat New Jersey: Es soll Schikane an Schulen und Universitäten stoppen, gilt als das strengste der USA und nimmt vor allem Cyber-Mobbing ins Visier. Kritiker befürchten allerdings eine Anzeigen- und Prozesslawine.

Die Zeiten, als Boxhiebe in der Pause oder wüste Beschimpfungen in der Mensa als jugendliche Kavaliersdelikte durchgingen, sind vorbei - zumindest in New Jersey. Seit Herbst ist in dem US-Bundesstaat ein neues Gesetz gegen Gewalt und Mobbing an Schulen und Hochschulen in Kraft, das als das strengste der USA gilt. Schulpsychologen und Opferverbände preisen das "Anti-Bullying Bill of Rights" als Vorbild. Kritiker sind weniger begeistert: Sie fürchten, eine Anzeigen- und Prozesslawine könnte nun Schulen, Polizei und Gerichte lahmlegen.

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Nicht immer geht es so friedlich zu unter Schülern wie hier: Ein neues Gesetz soll in den USA besonders auch Schikane per Internet stoppen.

(Foto: ddp)

Neben dem klassischen Mobbing auf dem Pausenhof nimmt das Gesetz vor allem das so genannte Cyber-Bullying ins Visier: Auch die Opfer von Diffamierungen per Handy oder im Internet können ihre Peiniger nun in der Schule oder direkt bei der Polizei anzeigen. Die Schulen müssen jeden gemeldeten Fall binnen zehn Tagen prüfen. Darüber hinaus muss das gesamte Personal - vom Rektor bis zum Hausmeister - Anti-Mobbing-Strategien lernen.

Auslöser des Gesetzes war der Selbstmord des jungen Studenten Tyler Clementi im September 2010: Ein Kommilitone hatte den Erstsemester-Studenten im Wohnheim der staatlichen Rutgers-Universität heimlich beim Liebesspiel gefilmt und das Video per Internet verbreitet. Völlig aufgelöst stürzte sich der 18-Jährige daraufhin von der George-Washington-Brücke zwischen New Jersey und Manhattan in den Hudson River.

New Jerseys Gesetzgeber beriefen sich auf Untersuchungen, die das Mobbing an Schulen als wesentliche Ursache für die hohe Selbstmordrate unter Jugendlichen ausmachten. Laut einer Studie des US-Bildungsministeriums von 2009 wird fast jeder dritte Schüler von zwölf bis 18 Jahren Opfer solcher Attacken - sie reichen von sozialer Ausgrenzung bis zu brutalen Angriffen.

"Kein Zweifel: Es musste etwas geschehen", schrieb der Geschäftsführer des Schulleiter-Verbands von New Jersey, Richard Bozza, kürzlich in einer Regionalzeitung. Nach seiner Ansicht schießt das neue Gesetz aber "weit übers Ziel hinaus": "Wir sollen die ganze Schule rund um die Uhr überwachen. Wo aber nehmen wir das Geld und das Personal dafür her?"

Michael McGinley, der Rektor der größten High School New Jerseys, berichtet von zehn bis 15 Anzeigen täglich seit Schuljahresbeginn. Vorschriftsgemäß würden alle Beschwerden geprüft, Zeugen gehört und Berichte geschrieben. Aber nur in zwei oder drei Fällen mussten Schüler tatsächlich bestraft werden: "Manche Beschwerden waren derart überzogen, dass mich die Eltern fragten: 'Wollen Sie mich veräppeln?'"

Meist sind es die Schulpsychologen, die zum obligatorischen Anti-Bullying-Beauftragten ernannt werden und einen Großteil der Mehrarbeit stemmen müssen: Joe Hammell von der Princeton Charter School zum Beispiel hat nicht nur die knapp 40 Lehrer und Verwaltungsangestellten an seiner Schule mit den neuen Anforderungen vertraut gemacht, sondern auch Dutzende freiwillige Helfer aus der Elternschaft - jeder, der mit Schulkindern in Berührung kommt, muss zur Schulung. Die Reaktionen, sagt Hammell, waren "sehr gemischt": "Manche Lehrer sehen das definitiv als Belastung, schimpfen vor allem über den Papierkrieg."

Als problematisch gelte auch die schwammige Definition: Laut Gesetz ist Mobbing, was als solches empfunden wird. Und als Hammell später einer Gruppe ehrenamtlicher Helfer erklärt, dass Plätze-Freihalten beim Mittagessen als Ausgrenzung gelte und verboten sei, fragt eine Mutter ungläubig zurück: "Ist meine Tochter jetzt ein Bully, wenn sie neben ihrer Freundin sitzen will?" Hammell hält das Gesetz dennoch für richtig, es schärfe das Bewusstsein für gegenseitigen Respekt.

Ein Gewinner der "Anti-Bullying Bill of Rights" steht bereits fest: die Beratungsfirma Strauss Esmay Associates. Sie schnürte ein Service-Paket zum Gesetz, mit Trainingseinheiten für Lehrer, einem 100-Seiten-Handbuch und DVD. Schon 200 Schulbezirke in New Jersey haben die Pakete geordert - für 1295 US-Dollar (rund 940 Euro) pro Stück.

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