Neuer Bildungsbericht:Auf Bildungsreise

Wer nicht gebildet ist, wird auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft aussortiert werden, versteht die Zusammenhänge der Globalisierung nicht und fällt eher auf Heilsversprechen von rechts wie links herein als andere. Trotzdem hat Deutschland die wichtigste natürliche Ressource - das Wissen der Menschen - jahrzehntelang links liegengelassen.

Claus Hulverscheidt

Man hätte das alles auch ganz anders machen können: schulfrei für die Kinder, eine öffentliche Podiumsdiskussion vor dem Reichstag, Volksfeste in den großen Städten, eine Fernsehansprache Angela Merkels und abends gemeinsames Fußballgucken von Kindern und Kanzlerin vor dem Brandenburger Tor. Stattdessen fand der Festakt zum 60. Geburtstag der sozialen Marktwirtschaft in der Aula des Bundeswirtschaftsministeriums, Haus A, zweiter Stock, statt. Im Publikum saßen aktuelle und ehemalige Minister, Diplomaten und Behördenleiter. Einfache Bürger waren nicht zu sehen.

Bildung, ap

Schulkinder: Deutschlands Zukunft hängt von der Bildung ab.

(Foto: Foto: ap)

Der Umgang mit dem Jubiläum ist symptomatisch für den Zustand einer Republik, die sich 60 Jahre nach Beginn des Wirtschaftswunders ihrer Erfolge und ihrer inneren Stabilität nicht mehr sicher ist. Nichts hat nach dem Zweiten Weltkrieg mehr dazu beigetragen, ein am Boden liegendes Land wieder aufzurichten, als die Einführung der sozialen Marktwirtschaft. Sie schuf Wohlstand bis in gesellschaftliche Schichten hinein, denen bis dahin nicht einmal ein solcher Anspruch bewusst gewesen war. Sie war für die Bürger erlebter Erfolg.

Leben in Wohlstand

Mit der steigenden Arbeitslosigkeit erodierte jedoch das Vertrauen, die Globalisierung fegte schließlich die letzte Gewissheit der Menschen hinweg - nämlich die, dass es ihnen gutgeht, wenn nur die Wirtschaft floriert. Der Kerngedanke Ludwig Erhards, die Kräfte des Marktes zu nutzen, um den Menschen Einstieg und Aufstieg in ein selbstbestimmtes Leben in Wohlstand zu ermöglichen, erschließt sich den Betroffenen nicht mehr. Nach einer Umfrage haben 38 Prozent der Bundesbürger "keine gute Meinung" von der deutschen Wirtschaftsordnung, nur 31 Prozent eine gute.

Merkel hat in ihrer Geburtstagsrede zu diesen Problemen fast nichts gesagt. Schlimmer noch: Sie hat wieder einmal die unbestreitbaren wirtschaftlichen Erfolge der jüngsten Zeit beschrieben, ohne darauf hinzuweisen, dass die Menschen dennoch weniger Geld zur Verfügung haben als noch vor Jahren. Wer so Politik betreibt, richtet größeren gesellschaftlichen Schaden an als alle geldgierigen Manager des Landes zusammen. Nichts nämlich ärgert die Leute so sehr wie das Gefühl, für dumm verkauft zu werden.

Immerhin: Zumindest auf lange Sicht hat die Kanzlerin den Kurs richtig beschrieben. Von nichts hängt die Zukunft der Bundesrepublik so sehr ab wie von einer besseren Bildung ihrer Bürger. Man erschrickt beinahe bei dem Gedanken, dass dies im Jahr 2008 noch eine Erkenntnis ist, dass Merkel erst jetzt eine "Bildungsreise" durch die Kindergärten, Hochschulen und Universitäten ankündigt, dass ein Land, dessen wichtigste natürliche Ressource das Wissen der Menschen ist, diese Ressource jahrzehntelang links liegengelassen hat. Wer nicht gebildet ist, wird auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft aussortiert werden. Wer nicht gebildet ist, versteht die Zusammenhänge der Globalisierung nicht. Wer nicht gebildet ist, fällt eher auf Heilsversprechen von rechts wie links herein als andere.

Gesellschaftliche Vertrauenskrise

Zur Bildung hinzukommen müssen weitere Reformen des Sozialsystems. Noch werden dessen Probleme von sprudelnden Beitragseinnahmen kaschiert. Schon im nächsten Abschwung aber wird offenkundig werden, dass der Sozialstaat nicht mehr in der Lage ist, allen Menschen den einmal erreichten Lebensstandard zu garantieren. Der frühere Kanzler Gerhard Schröder hat diese Wahrheit schon einmal ausgesprochen und mit der sogenannten Agenda 2010 einen Kurswechsel eingeleitet. Dafür gebührt ihm Respekt. Allerdings hat Schröder zugleich die gesellschaftliche Vertrauenskrise befeuert, weil er es nicht vermochte, den Menschen den Sinn seiner Reformen zu erklären, und weil er sich nicht traute, neben den Schwachen auch den Starken mehr abzuverlangen.

Auf der nächsten Seite: Was Merkel tun muss, wenn sie es ernst meint mit mehr Bildung.

Auf Bildungsreise

"Soziale Hängematte'' Die Agenda-Anhängerin Merkel hätte die Gelegenheit nutzen können, die Versäumnisse aufzuarbeiten. Das gilt umso mehr, als es einen Zusammenhang zwischen der Überlastung des Sozialsystems und dem Thema Bildung gibt. Wenn Familien hierzulande in zweiter oder dritter Generation von Staatshilfe leben, dann hat das nicht nur, aber auch mit mangelnder Bildung zu tun. Diese Menschen müssen animiert, zur Not gezwungen werden, sich so aus- und weiterbilden zu lassen, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können.

Das funktioniert nur, wenn sie jede erdenkliche Hilfe der Behörden erhalten und wenn die Politik die Voraussetzungen dafür schafft, dass mehr Jobs entstehen. Populistische Sprüche wie der von der "sozialen Hängematte" dagegen provozieren die Betroffenen und sind dumm. Um mit Michael Glos zu sprechen: Das Sozialsystem muss zu einem Trampolin werden, das die Menschen zurück in ein unabhängiges Leben katapultiert.

Wer es ernst meint mit mehr Bildung, muss zudem dafür sorgen, dass vor allem Kindergarten-Erzieherinnen besser ausgebildet und bezahlt werden. Es ist grotesk, dass ein Land gerade diejenige Berufsgruppe auf eine der untersten sozialen Stufen stellt, der es seine Kinder in deren wichtigster Entwicklungsphase anvertraut. Merkel hat recht: Aus der Bundesrepublik Deutschland muss die Bildungsrepublik Deutschland werden. Sie sollte dieses Projekt noch heute starten.

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