Neue Präventionsangebote:"Glaube, Islam und ich"

Salafismus

Präventions-Angebote an Schulen mehren sich. Sie sollen verhindern, dass sich muslimische Jugendliche in eine radikale Richtung entwickeln.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Der Verein Ufuq.de bietet Workshops, um Lehrer und junge Muslime miteinander ins Gespräch über Religion zu bringen. Die Kurse dienen dem Schutz vor Salafisten.

Von Joachim Göres

Einen Gebetsraum fordern einige muslimische Jugendliche an einem Gymnasium in Hamburg. Die Schule beschließt nach längerer Diskussion, einen Raum der Stille einzurichten, die muslimischen Schüler sind einverstanden. Nach zwei Wochen stellt sich heraus, dass niemand von ihnen zum Beten kommt. Das Beispiel nennt Jochen Müller, Mitbegründer des Vereins Ufuq.de aus Berlin, den Namen des Hamburger Gymnasiums möchte er aber nicht publik machen. Müller erstaunt dieser Fall nicht. "Die eigene Religion wird gebraucht, um Forderungen zu stellen oder zu provozieren - mit Sätzen wie 'Die Scharia ist viel wichtiger als das Grundgesetz'. Das hat selten etwas mit extremen religiösen Einstellungen zu tun, sondern Jugendliche wollen meist testen, ob sie ernst genommen werden. Es ist wichtig, mit ihnen über ihre Äußerungen ins Gespräch zu kommen und zu verstehen, um was es wirklich geht", sagt der Islamwissenschaftler.

Laut Müller, dessen Verein bundesweit Schulen berät und in Städten wie Berlin, Bremen, Hamburg oder Frankfurt mit Jugendlichen arbeitet, ist das Wissen von Jugendlichen aus arabischen Ländern über den Islam meist sehr gering. Gerade in der Pubertät wachse aber bei vielen das Interesse an Antworten zu Religion und Identität, die die jungen Menschen von ihren Eltern oder von Imamen zu selten bekommen. "Sie gehen ins Internet und stoßen auf Prediger wie Pierre Vogel, der in 30 Sekunden den Islam erklärt. Die meisten finden Vogel blöd, aber jeder kennt ihn", sagt Müller. Er betont: "Über Salafismus braucht man gar nicht zu reden, es geht um Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Werte. Da kann sich der Lehrer auch mal zurückhalten und die Klasse diskutieren lassen, damit unterschiedliche Vorstellungen darüber deutlich werden."

Ufuq.de hat im vergangenen Jahr den vom Bundesfamilienministerium geförderten Band "Protest, Provokation oder Propaganda?" veröffentlicht, der sich als Handreichung zur Prävention salafistischer Ideologisierung in Schule und Jugendarbeit versteht. Dort werden Beispiele für Fragen zur Einleitung eines Unterrichtsgesprächs über Religion und Werte gegeben, wie "Was ist denn für euch ein guter Muslim?" oder "Was wünscht Ihr euch für eure Kinder?" Dabei können Pädagogen im Gespräch mit den Jugendlichen den Blick auf Werte wie Toleranz und soziale Verantwortung lenken, die auch im Islam selbstverständlich sind. Eine zentrale Leitfrage für Müller und Kollegen bei solchen Gesprächen: Wie wollen wir leben? Wichtig aus ihrer Sicht: Lehrer sollten die Antworten der Schüler respektieren und ihnen damit ihre Wertschätzung zeigen.

Der Verein Ufuq.de bietet Trainings an, die für zu einfache Weltbilder sensibilisieren

Der Lehrer Ramses Michael Oueslati bildet in Hamburg im Auftrag des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung Kollegen im Bereich Islamismusprävention fort. "Viele Lehrer wissen nicht, wie Ausländer aufwachsen, und was sie im Alltag an Rassismus erleben. Ich kann ihnen aus eigenem Erleben schildern, wie es ist, wenn man als Student wegen seines Migrationshintergrundes nicht in die Disco reinkommt. Das muss man sich klarmachen, um zu verstehen, warum sich viele muslimische Jugendliche ungerecht behandelt fühlen", sagt er. Für den Pädagogen ist Geduld gefragt, um sich nicht provozieren zu lassen, sondern ruhig nachzufragen. Oueslati: "Salafisten haben immer eine einfache Antwort. Wir müssen zeigen, dass es verschiedene Antworten gibt und dass auch Gegenbewegungen existieren. Im Libanon wenden sich zum Beispiel junge Muslime unter dem Slogan 'I'm not a martyr' gegen Selbstmordattentäter."

Tina Aygün ist Lehrerin für islamische Religion an der Albert-Schweitzer-Schule, eine Grundschule in Hannover. Sie beobachtet, dass sich Kinder wie Eltern stark mit dem Fach identifizieren und so ein Vertrauensverhältnis zur Schule aufgebaut wird. "Durch die Kenntnisse über den Islam lassen sich die Schüler später nicht blenden", ist Aygün überzeugt, eine von 30 Lehrkräften in Niedersachsen, die islamische Religion unterrichten. Auch in Nordrhein-Westfalen, Berlin oder Hessen gibt es an Grundschulen islamische Religion als Regelfach. Andere Bundesländer haben Modellprojekte gestartet. Experten gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte der jungen Muslime in Deutschland weder in der Schule noch in der Moschee etwas über ihre Religion erfahren.

Sind Jugendliche Anhänger von radikalen Hasspredigern geworden, dann ist die Schule überfordert und Hilfe von außen gefragt - da sind sich die Experten einig. Seit einem Jahr gibt es in Hannover die Beratungsstelle zur Prävention neosalafistischer Radikalisierung (www.beraten-niedersachsen.de), die vom Land Niedersachsen finanziert wird und für das gesamte Bundesgebiet zuständig ist. Die kostenlose Beratung wird auf Deutsch, Englisch, Türkisch und Arabisch angeboten. Derzeit werden circa 15 junge Leute betreut. Dazu gehört der enge Kontakt mit den Eltern, der Schule sowie Freunden und Bekannten, die dazu beitragen sollen, dass die Beziehung zum Jugendlichen nicht abbricht. Bislang konnte bei allen eine Ausreise nach Syrien und der Einsatz als Kämpfer für den IS verhindert werden.

In Augsburg ist seit Kurzem der Sitz der Fachstelle zur Prävention von religiös begründeter Radikalisierung in Bayern, die vom Verein Ufuq.de im Auftrag des Landes Bayern aufgebaut wird. Sie will Fachkräfte fortbilden und auch in der Schule für Lehrer und Schüler Workshops zu acht unterschiedlichen Schwerpunkten anbieten. Dabei geht es um Themen wie "Glaube, Islam und ich", "Männerbilder, Frauenbilder und Islam", "Was bedeutet eigentlich Scharia?" oder "Blinder Gehorsam?". Die Leiter der Workshops sind meist muslimischer Herkunft. Müller ist nach der Durchführung von mehr als 500 Workshops mit 5000 Teilnehmern überzeugt: "Indem die Jugendlichen in solchen Fragen denk- und sprechfähig werden, immunisieren die Workshops gegen einfache Angebote sowie Welt- und Feindbilder von Salafisten. Vor allem Lehrer von Berufsschulen und zunehmend auch von Grundschulen, die häufig in sozialen Brennpunkten liegen, nehmen dieses Angebot an. Lehrer der Fächer Religion, Ethik sowie Werte und Normen sind besonders stark vertreten.

Für Pädagogen sei es oft schwierig zwischen Provokation und Ideologie zu unterscheiden. Mit Tätowierungen könne man kaum Eindruck schinden. Wer voll verschleiert oder mit einem langen Bart nach den Sommerferien in die Schule komme, könne dagegen damit rechnen, aufzufallen. Eine angemessene Reaktion auf die Äußerung einer 15-jährigen Schülerin "Nein, ich bin nicht Charlie. Ich bin die über 1,5 Millionen toten Muslime, die in den letzten Jahren durch die blutige Hand der Westmächte getötet wurden" falle Lehrern oft nicht leicht. "So eine Aussage macht das Mädchen ja noch lange nicht zur Salafistin", sagt Müller. Es gelte, das meist hinter dem Unmut stehende jugendtypische Gefühl von Ungerechtigkeit und Diskriminierung aufzunehmen und zu thematisieren.

Für den Ufuq.de-Geschäftsführer geht es in den Schulen um Präventionsarbeit. "Wir treffen dort selten radikalisierte Jugendliche. Es gibt weniger eine Zunahme bei radikalen religiösen Einstellungen, wohl aber eine Zunahme bei Provokationen. Die heutigen Schüler sind meist nicht religiöser als ihre Eltern, aber die Religion spielt für viele eine größere Rolle für ihre Identität", erläutert er. Vor zu schnellen Schulverweisen für radikalisierte Jugendliche warnt er: "Es stimmt, sie können der Schule extreme Probleme bereiten, und man muss auch die anderen Schüler vor Agitation schützen. Dennoch kann der Rausschmiss nur das allerletzte Mittel sein, denn die Schule kann eine wichtige noch bestehende Bindung in ein normales Milieu sein - wenn die reißt, kann dies der Auslöser für das Untertauchen in eine radikale Szene sein."

Müllers Fazit: "Letztlich ist weniger der Salafismus das Problem, sondern das unbefriedigte religiöse Interesse und das Gefühl fehlender Anerkennung vieler Jugendlicher. Die Salafisten besetzen dieses Vakuum. Wir müssen zeigen, dass es auch andere Antworten gibt." Ziel sei es zu vermitteln: "Ich kann Muslim sein und Charlie."

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