Netzwerke:Vom Nutzwert des Netzwerks

Nur wer die Regeln der neuen Kulturtechnik beherrscht, ist sicher auf dem Parkett der Wissensgesellschaft.

Anja Dilk

Es prickelt der Sekt in eleganten Kelchen. Dicht an dicht stehen die Gäste im Saal, ab und an schallt ein Lachen aus dem Gemurmel, aus der Ferne rauscht der Verkehr der Friedrichstraße.

stehempfang

Vom Online-Netwerk kann der Weg zum echten Champagner-Stehempfang führen.

(Foto: Foto: istockphoto.com)

Regina Wilke und Eva Hönnecke treten in die Mitte, verteilen bunte Klebepunkte und Zettel. Dann stellen sie eine Aufgabe: "Schreiben Sie auf die Zettel: Was sind die drei wichtigsten Werte in Ihrem Leben?"

Was ermüdend klingt, erweist sich als Eisbrecher. Als die Gäste nach Farbe der Klebepunkte sortiert zusammenstehen, kommt das Gespräch leicht in Gang. Warum setzt die Wirtschaftsjuristin auf Loyalität und Kreativität? Wieso sind der SAP-Beraterin Selbstachtung und Glück so wichtig?

Der geführte Netzwerk-Talk ist Konzept. "Immer noch scheuen sich viele Menschen, sich zu unbekannten Leuten zu gesellen und locker eine Geschäftsbeziehung aufzubauen", sagt Wilke.

"Sekt und Selters" nennt sich das Berliner Projekt, das die Trainerin seit zwei Jahren speziell für Frauen anbietet. "Mit Sekt und Selters wollen wir Mut machen, gezielt Kontakte aufzubauen. In der kleineren Runde ist es leichter, den ersten Schritt zu tun und genau den Kontakt aufzustöbern, den man braucht."

Im Zeitalter von Web 2.0 kommt kaum ein Business-Netzwerk ohne Online-Plattform aus. Viele gehen sogar den umgekehrten Weg: erst die Präsenz im Netz, dann ein persönliches Treffen.

Während viele Netzwerk-Veranstaltungen ein Massenpublikum ansprechen, entstehen auch Bündnisse für spezielle Zielgruppen. Da gibt es Netzwerke für Frauen und für Handwerker, für Wissensarbeiter und Finanzexperten, für Trainer und Golfer. Das Forum cap-up.com etwa vernetzt Führungskräfte, webgrrls.de bringt Frauen zusammen, networx.de lädt Personaler zu 13 branchenspezifischen Plattformen ein.

Exoten wie das Netzwerk suedstern.org verbinden Südtiroler, die im Ausland arbeiten - vom IBM-Vorstand über den Red-Bull-Starkoch bis zur Formel-1-Sprecherin.

Derzeit buhlen die Großen um die Weltmarktführerschaft: Der Open-Business-Club, gerade unter dem Namen xing.com an die Börse gegangen, hat etwa 1,7 Millionen Mitglieder. Das kalifornische linkedin.com, eine Suchmaschine für Geschäftsleute mit beschränkter Zugangsberechtigung und weltweit etwa 8,5 Millionen Mitgliedern, streckt seine Fühler verstärkt nach Deutschland aus. "Bald jeden Tag gibt es neue Netzwerke, wer soll sich da noch auskennen?", fragt ein Blogger.

Folgerichtig bietet das Portal networkingscout.de eine Übersicht: In der Datenbank kann man nach verschiedenen Kriterien das passende Netzwerk suchen, Mitgliederbewertungen abrufen und selbst eingeben. Denn die Frage ist: Was bringen diese ganzen Netzwerk-Angebote tatsächlich?

Der Berliner Infobroker Jost Burger ist seit zwei Jahren bei Xing. Anfangs segelte er täglich zwanzig Minuten über die Seiten, folgte Diskussionen über Micropayment oder "Wie beseitige ich Kreativitätsblockaden?". Ging zu Xing-Partys in den gefragtesten Ecken der Stadt. Inzwischen ist die erste Begeisterung abgeflaut, Burger klickt seltener auf die Plattform.

Er hat gemerkt: Hier kann er sich gut präsentieren, hier findet er Kooperationspartner, und wenn er mal einen neuen Kontakt zu einer Firma aufnehmen möchte, dann ist Xing "wie eine nette Vorzimmerdame, die einem den Zutritt zum Geschäftsführer erleichtert", sagt er. Aber: "Man darf nicht zu viel erwarten. Xing ist in erster Linie ein wunderbares Erwachsenenspielzeug."

Wie nützlich Netzwerke sind, hängt für Torsten Herrmann von der Agentur Chain Relations in Hofheim im Taunus von zweierlei ab: der Machart des Netzwerks und dem eigenen Bedarf. Als Marketing- und PR-Berater profitiert er von Netzwerken, in denen er sich ausführlich darstellen kann. "Mein Produkt ist sehr erklärungsbedürftig, und es basiert auf Vertrauen", sagt Herrmann. "Wenn ich mich auf Netzwerk-Treffen persönlich präsentieren kann, hilft das enorm."

Über ein Online-Netzwerk akquirierte er vor eineinhalb Jahren seinen größten Kunden. Allein im ersten Jahr der Zusammenarbeit brachte dieser dem Berater die Hälfte seines Umsatzes ein. Dennoch ist Herrmann kein unkritischer Netzwerker: "Es gibt viele Netzwerke mit Drücker-Mentalität, da wollen die Mitglieder nur ihre Produkte loswerden und mit Empfehlungszetteln um sich schmeißen. Das bringt wenig." Besser sei es, gezielt nach Verbündeten zu suchen, die zum eigenen Produkt passen.

Gemeint sind Netzwerke wie das Hamburger jetztwerk.de, das haargenau auf die Bedürfnisse seiner etwa 120 Mitglieder zugeschnitten ist: Grafiker, IT-Techniker, Web-Experten. Auf der Internetseite präsentieren die Jetztwerker ihr Profil. Über Mails an die Community können sie sich austauschen und gegenseitig beraten, finden neue Büroplätze, lernen sich beim monatlichen Stammtisch persönlich kennen, verschaffen sich gegenseitig Einblick in verwandte Branchen oder auch schon mal einen Auftrag. Ausschließlich Freiberufler, die im selben Branchenspektrum arbeiten, sind dabei. Kostenpunkt: 59 Euro.

"Die Netzwerkarbeit hat sich in letzter Zeit gewandelt", sagt Jetztwerk-Chefin Simone Walter. Mailing-Listen würden inzwischen weniger zum Klönen genutzt als zur Problemlösung. "Und wir merken: Ein Netzwerk ist kein gemeinsames Unternehmen, sondern ein locker verbundener Schwarm von Individuen, die zunächst für das eigene Unternehmen arbeiten und erst an zweiter Stelle neue Impulse, Ideen, Kooperationsmöglichkeiten über das Netz bekommen."

Die Autoren Alexander Bard und Jan Söderquist vertreten in ihrem Buch "Die Netokraten" die These: Das Internet hat eine neue Kulturtechnik geschaffen, die unsere Gesellschaft künftig prägen wird. "Jene, die es verstehen, sich dieser Art der Kommunikation anzupassen, die globale Netzwerke und Informationen intelligent nutzen und kreativ verknüpfen können, werden die Elite in der informationalistischen Gesellschaft sein", schreiben sie. "Die anderen werden früher oder später an den Rand gedrängt."

Diese Kommunikationsform der Zukunft will geübt sein. Dabei gilt es, sich nicht im Social Networking zu verlieren, sondern sich gezielt umzuschauen, nachzuhaken, auszutauschen. Sich zu überlegen: Was kann ich bieten? Nicht nur: Was kann ich bekommen? Nicht auf den kurzfristigen Nutzen blicken, sondern den langfristigen Gewinn im Auge haben. "Netzwerken kann man nicht überschätzen, nur das Brimborium, das darum gemacht wird", sagt Infobroker Burger. "Die wesentliche Netzwerkarbeit läuft still und leise ab. Und man darf vor lauter Kontakten nicht vergessen, Geschäfte zu machen."

Die Damen von "Sekt und Selters" sitzen beschwingt auf ihren roten Bänken. Die Weiterbildnerin hat eine neue Steuerberaterin gefunden. Die Übersetzerin hat gezielt Visitenkarten verteilt. Die Anwältin und die Kulturexpertin wollen telefonieren, vielleicht starten sie ein gemeinsames Projekt. Die Weiterbildnerin, die Übersetzerin und die Juristin sind sicher: Bald trifft man sich hier wieder.

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