Nachhilfe in .... Die richtige Anrede:"Das Du suggeriert eine Gleichheit, die es nicht gibt"

Du oder Sie? Ein Interview über die richtige Anrede im Job, den Zwang zum Du und moderne Zwischenformen.

Birgit Taffertshofer

Duzen oder Siezen? Nicht nur Berufseinsteiger sind sich dabei oft unsicher. Werner Besch, Germanistik-Professor und Autor des Buches "Duzen, Siezen, Titulieren" weiß Rat.

sueddeutsche.de: Wie verhält sich der Jobeinsteiger richtig, wenn er noch nicht weiß, welcher Umgangston in einem Unternehmen gepflegt wird?

Werner Besch: Er siezt erst mal. Wenn man eine neue Stelle antritt, sollte man sehr vorsichtig sein mit dem Du. Es könnte kumpelhaft oder sogar tölpelhaft wirken.

sueddeutsche.de: Aber viele Firmen haben das förmliche Sie doch längst aus ihren Geschäftsräumen verbannt. Wirkt ein Sie hier nicht steif?

Besch: Ein Sie muss nicht steif oder distanziert wirken, es kann auch sehr herzlich sein oder einfach Höflichkeit ausdrücken. Ist man sich als Jobeinsteiger unsicher, liegt man mit dem Sie jedenfalls nie falsch. Man sollte lieber abwarten, ob einem das Du angeboten wird. Man kann aber ruhig auch mal nachfragen. Insbesondere bei Kollegen könnte man zum Beispiel fragen: "Wie wollen es wir mit der Anrede halten?"

sueddeutsche.de: Die Möbelhauskette Ikea oder die Bekleidungsfirma Hennes & Mauritz sind hierzulande wohl die bekanntesten Unternehmen, in denen das Du auf allen Ebenen angesagt ist. Was sind die Vorteile?

Besch: Die Unternehmen sehen die einheitliche Anrede als gutes Mittel, Hierarchien abzubauen und neue Kollegen schnell zu integrieren. Die Botschaft dahinter ist: Ob jung oder alt, ob Einsteiger oder Betriebsveteran, jeder gehört dazu. Außerdem argumentieren sie, dass die Anrede in Teams mit Mitarbeitern verschiedener Nationalitäten kompliziert wird, wenn sich die einen als Manfred und Lisa, die anderen aber als Herr Klein und Frau Kern vorstellen.

sueddeutsche.de: Das klingt nicht so, als ob Sie diese Argumentation überzeugen würde.

Besch: In Untersuchungen konnte man bislang nicht nachweisen, dass sich durch das "Du per Anordnung" das Betriebsklima verbessert. Ich finde, wenn Unternehmen in ein anderes Land gehen, sollten sie die dort geltenden Umgangsformen respektieren. Es ist eine Art Kulturmissachtung, wenn sie deutsche Mitarbeiter zum Du zwingen.

sueddeutsche.de: Gibt es denn einen Zwang?

Besch: Ja, sobald das Du Teil der Unternehmenskultur ist, müssen sich alle Mitarbeiter anpassen. Das konnte auch ein unzufriedener Mitarbeiter von Hennes & Mauritz nicht ändern. Er zog vor Gericht - und verlor. Das Du sei zum Inhalt des neuen Arbeitsverhältnisses geworden und stelle daher keine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts dar, lautete die Begründung der Richter.

sueddeutsche.de: Wie halten Sie es denn an der Universität?

Besch: Ich bin in meinem Berufsleben immer beim Sie geblieben. In den Nach-68er-Jahren war das vertrauliche Du zwischen Professoren und Studierenden zwar Ausweis einer makellos progressiven Gesinnung. Viele meiner Kollegen sind aber nach einer gewisser Zeit wieder zum Sie zurückgekehrt.

sueddeutsche.de: Warum?

Besch: Das Du raubt Professoren wie Studenten die Distanz, die für eine sachliche Diskussion und gegenseitige wissenschaftliche Kritik notwendig ist. Außerdem wird dem Professor eine individuelle, objektive Leistungsbewertung erschwert. Denn er muss Angst haben, den Studenten persönlich zu verletzen.

Auf ähnliche Probleme stoßen auch Vorgesetzte in der Wirtschaft, wenn sie ihre Mitarbeiter duzen. "Wir werden Ihren Vertrag nicht verlängern" sagt sich nun mal leichter als "Wir wollen uns von Dir trennen." Das Du suggeriert eine Gleichheit, die es weder an der Universität noch in der Arbeitswelt gibt. Der Vorgesetzte entlässt eben den Mitarbeiter - und nicht andersherum.

sueddeutsche.de: Benimm-Ratgeber favorisieren das Sie auch deshalb, weil es in Führungspositionen Respekt und Autorität vermitteln soll.

Besch: Nun ja, Autorität erhält ein Vorgesetzter wahrlich nicht dadurch, dass er sich von seinen Mitarbeitern siezen lässt. Aber das Sie unterstützt sicherlich ein höfliches und freundlich-distanziertes Miteinander, weil es zu hohe Emotionalität und verbale Übergriffe erschwert. "Du Saukerl" lässt sich eben nicht auf die Sie-Ebene übertragen. So etwas hat nur unser ehemaliger Außenminister Joschka Fischer fertig gebracht, als er damals dem Bundestagspräsidenten zurief: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch." Eine wirklich kuriose Formulierung.

sueddeutsche.de: Nicht jeder Kollege, mit dem man per Du ist, vergreift sich gleich im Ton. Wer bietet im Geschäftsleben wem das Du an?

Besch: In der Regel gilt: Der Vorgesetzte offeriert es den Mitarbeitern. Unter gleichberechtigten Kollegen ist es derjenige, der am längsten in der Abteilung arbeitet.

sueddeutsche.de: Darf man so ein Duz-Angebot auch ablehnen?

Besch: Ja, man darf es schon ablehnen. Allerdings sollte man dabei äußerst sensibel vorgehen, schließlich ist das Du auch ein Vertrauensangebot. Der beste Weg, es abzulehnen, wäre wohl, die Freude über das Angebot zum Ausdruck zu bringen und dann erst eine Erklärung hinzuzufügen, warum man es trotzdem nicht annehmen möchte. Bedenken sollte man aber: Falls es in einer Arbeitsteam Usus ist, dass sich alle duzen, könnte eine Ablehnung als distanziert empfunden werden.

sueddeutsche.de: Darf man einem Kollegen das Du wieder entziehen, beispielsweise wenn man eine Karrierestufe höher steigt?

Besch: Die Zurücknahme des Du sollte man vermeiden. Früher galt es als schwerste Beleidigung, als eine totale Infragestellung jeglicher Beziehung. So extrem ist das heute zwar nicht mehr, aber es bleibt doch ein klares Zeichen der Distanz. Nur in Ausnahmefällen, etwa wenn in der Firma Gerüchte entstehen, dass die Duz-Kollegen aus der alten Abteilung womöglich bevorzugt werden, sollte man diesen Schritt gehen.

sueddeutsche.de: Und was tun, wenn man auf einer feucht-fröhlichen Betriebsfeier völlig unüberlegt zum Du übergegangen ist?

Besch: Das "Schnaps-Du", das ist wirklich die heikelste Situation, aber sie kommt eben vor. Mir selbst ist es bei einem Ausflug mit Studenten passiert. Es war wirklich ein sehr lustiger Abend. Aber mal im Ernst, niemand der Studenten wäre am Tag danach auf die Idee gekommen, weiterhin "Wernerle" zu mir zu sagen. Und mein Assistent war auch nicht mehr "Dieterle". Wenn man auf dieses "Du" beharrt, ist das peinlich.

sueddeutsche.de: Gibt es Branchen, in denen sich auch Kollegen das Duzen verkneifen sollten?

Besch: Ja, durchaus. Das korrespondiert in etwa mit der Kleiderordnung. Dort wo Anzug und Krawatte Pflicht sind, ist auch das Du unter Kollegen seltener. Gerade in Banken und Versicherungen steht das förmliche Sie für Seriosität.

sueddeutsche.de: Manche Firmen gehen ja genau den Mittelweg. Der Kollege wird zwar mit dem Vornamen angeredet, aber dennoch gesiezt. Ist das die wahre Lösung?

Besch: Ich habe in der Tat eine große Schwäche für diese Zwischenformen. Die Kombination aus Vorname und Sie-Form drückt zwar Vertrautheit, aber immer noch höfliche Distanz aus - so wie in "Hermann, kommen Sie bitte einmal?" oder die umgekehrte Form mit Nachnamen und Du-Anrede "Herr Lehmann, kommst du mal?"

sueddeutsche.de: Oh je, noch mehr Möglichkeiten, etwas falsch zu machen. Da haben es die Engländer mit ihrem einfachen "You" wirklich gut.

Besch: Also hier muss man zuallererst einen sehr verbreiteten Irrtum ausräumen. Das Wörtchen "you" im Englischen ist kein intimes Du, sondern eine Respekt zeugende Pluralform, die dem deutschen "Ihr" entspricht. In England hat sich die Anrede zwar mit dem Wandel der Sprache vereinheitlicht - aber eben insofern, dass das frühere vertraute Du, das "thou", abgeschafft wurde und sich nun alle siezen - und nicht umgekehrt.

sueddeutsche.de: Aber immerhin kann man bei der englischen Anrede heute nichts mehr falsch machen.

Besch: Weit gefehlt! Im Englischen gibt es durchaus unterschiedliche Anreden. Der Unterschied hat sich hier nur auf die Titel verlagert. Muttersprachler warnen beispielsweise davor, den Geschäftsbesuch aus den USA nur mit dem Vornamen anzureden. Hier müsste man das Gegenüber als "Mister" oder "Misses" titulieren.

Aber ich gebe Ihnen Recht, das Deutsche hat im Vergleich zu anderen Sprachen ein sehr schwankendes, unsicheres System der Anrede.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: