Nach Pisa-Studie:Bulmahn will die Hauptschule abschaffen

Die Bundesbildungsministerin beklagt die frühe Auslese von Kindern nach der vierten Klasse. Die Kultusminister der Länder lehnten dagegen eine Grundsatzdebatte über die Schulstrukturen abermals ab. Sie wollen das jetzige System weiter reformieren.

Von Marco Finetti und Jeanne Rubner

Bundesbildungsministerin Bulmahn zeigte sich in Berlin davon überzeugt, "dass wir mittel- bis langfristig das dreigliedrige Schulsystem überwinden müssen".

Namentlich die Hauptschule sei "auf Dauer kein zukunftsträchtiges Modell", sagte die SPD-Politikerin und wies darauf hin, dass in der zweiten Pisa-Studie in Deutschland allein die Gymnasiasten und die Spitzengruppe der Realschüler, nicht aber die Hauptschüler besser abgeschnitten hätten als beim ersten Pisa-Vergleich vor drei Jahren.

Konkrete Vorstellungen über die künftige Schulstruktur äußerte die Bundesbildungsministerin jedoch nicht. Sie hat laut Verfassung keine Entscheidungsbefugnis über die Schulen - die Bildungshoheit liegt bei den Ländern.

Bulmahn sprach sich für eine "ideologiefreie Debatte" über eine längere gemeinsame Unterrichtszeit aus. In allen Staaten mit guten Pisa-Ergebnissen würden die Kinder wesentlich später auf die weiterführenden Schulen aufgeteilt als in Deutschland.

Es stelle sich deshalb die Frage, "ob unsere frühe Auslese von Kindern nach der vierten Klasse der richtige Weg ist". Ausdrücklich unterstützte Bulmahn die Haltung der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD), die sich als Konsequenz der Pisa-Studie für eine Gemeinschaftsschule bis zur Klasse zehn ausgesprochen hatte.

"Länger gemeinsam lernen"

Als größtes Problem des deutschen Bildungssystems bezeichnete Bulmahn den engen Zusammenhang von sozialer Herkunft und Lernerfolg.

Die auch in der neuen Pisa-Studie belegten viel schlechteren Bildungschancen von Kindern aus unteren Einkommensschichten und von Schülern ausländischer Herkunft seien "ein Armutszeugnis für dieses Land".

Neben der Debatte über die Schulstrukturen seien der weitere Ausbau der frühkindlichen Bildung und der Ganztagsschulen sowie eine bessere Aus- und Fortbildung der Lehrer notwendig.

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte ein "längeres gemeinsames Lernen". GEW-Schulexpertin Marianne Demmer sagte der Süddeutschen Zeitung, durch eine Abschaffung der Hauptschule sei das Problem der mangelnden Förderung aber noch nicht gelöst.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt warnte vor Populismus. Nötig seien neue Konzepte für eine bessere Förderung von Schülern.

Bei den Ländern, auch bei SPD-regierten, findet Bulmahns Vorstoß wenig Gegenliebe. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen, lehnte einen grundlegenden Umbau des Schulsystems erneut strikt ab.

"Pisa gibt uns dafür keine Handlungsanweisung", sagte die SPD-Politikerin in Berlin. Die KMK-Präsidentin bezog sich dabei auch auf den Leiter der deutschen Pisa-Studie, den Kieler Bildungsforscher Manfred Prenzel.

Dieser hatte sich bei der offiziellen Präsentation der Pisa-Studie gegen eine Strukturdebatte ausgesprochen: "Die Pisa-Ergebnisse liefern keinen Beweis dafür, dass bestimmte Schulsysteme automatisch besser sind."

Ministerin Ahnen betonte zudem, dass die Entscheidungen über Schulstrukturen alleine Sache der Länder seien und "vor Ort - sprich: bei Lehrern, Eltern und Schülern - die notwendige Akzeptanz finden müssen".

Auch Nordrhein-Westfalens Schulministerin Ute Schäfer (SPD) warnte davor, in der Gesamtschule die Lösung aller Probleme zu sehen. Es gebe zwar berechtigte Zweifel daran, dass die frühe Aufteilung der Schüler richtig sei, so Schäfer, doch könnte die Diskussion über die Struktur zur Alibi-Debatte werden.

Wichtiger sei es daher, zunächst Unterricht und vorschulische Förderung zu verbessern, auf Standards zu achten und den Schulen mehr Freiheit zu gewähren.

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