Musiker:Schmerzen im Repertoire

Berufskrankheiten von Musikern sind für Ärzte eine besondere Herausforderung.

Von Peter Hergersberg

Ein Vergleich mit Robert Schumann dürfte den meisten Musikern schmeicheln. Für den Pianisten Leon Fleisher aber war das lange Zeit eine schmerzliche, leidvolle Konnotation. Der heute 76jährige kann zwar auf eine lange Karriere als Solist zurückblicken. Mit den berühmtesten Orchestern der Welt ist er aufgetreten. 30 Jahre davon konnte er jedoch nur eine Hand für sein Spiel benutzen.

Cellistin

Kurze Pause für eine Cellistin des Royal Symphonic Orchestra von Sevilla. Die dicken Saiten des Cellos malträtieren den Mantel der Fingernerven.

(Foto: Foto: Reuters)

So wie Schumann leidet Fleisher am so genannten Musikerkrampf. Während sich an Schumanns rechter Hand der Mittelfinger unwillkürlich einrollte, zieht der Krampf Fleishers rechten kleinen Finger und Ringfinger zum Handteller. Erst vor wenigen Jahren gelang es Ärzten das Leiden mit einem Nervengift zu lindern. In der vergangenen Woche begeisterte Fleisher mit den Berliner Philhamonikern unter Simon Rattle das deutsche Publikum mit einem 1922 entstandenen und nun erstmals gespielten Klavierwerk, das Paul Hindemith einst im Auftrag des einarmigen Paul Wittgenstein komponierte.

Fleishers Leidensweg begann, als er sich, damals 35-jährig, auf ein Konzert in der Sowjetunion vorbereitete: "Erst fühlte sich die Hand ein wenig träge an", erinnert sich der Amerikaner, "also übte ich mehr". Aber je mehr er seine Finger zwang, desto weniger gehorchten sie. Erst vor wenigen Jahren hat er ihre Beherrschung zurückgewonnen - seit er sich etwa zweimal im Jahr das Nervengift Botulinum-Toxin in den Unterarm spritzen lässt. In zu großen Mengen lähmt es Herz und Lunge, in winzigen Dosen und gezielt injiziert löst es Krämpfe und glättet Falten.

"Etwa ein Prozent der professionellen Musiker leidet unter der fokalen Dystonie", sagt Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin an der Musikhochschule Hannover. Und das ist nur eines der Leiden, die vor allem professionelle Musiker plagen. Bläser pressen sich die Zähne krumm, Geiger den ganzen Kiefer schief. Bläser riskieren zudem einen Schlaganfall, wenn sie mit der Zirkularatmung, dem gleichzeitigen Ein- und Ausatmen, die Pausen zum Luftholen aus ihrem Spiel streichen. Die dicken Saiten des Cellos malträtieren den Mantel der Fingernerven, bis er brüchig und jeder Griff zur Qual wird. Und: Cellisten, die im Orchestergraben einer Oper spielen, werden mit der Zeit taub, wenn die Blechbläser hinter ihnen regelmäßig mit 120 Dezibel losdröhnen, dem Krach eines Düsenjets. Vor dieser einzigen offiziell anerkannten Berufskrankheit können sich die Musiker zwar mit speziellen Ohrstöpseln schützen. Doch die sind unbeliebt, weil sie mehr als nur die lauten Töne filtern.

"Junge Musiker kommen oft mit überlasteten Sehnen und Muskeln zu uns, wenn sie zu Beginn des Studiums ihr tägliches Pensum drastisch steigern müssen", sagt Jochen Blum, der der Gesellschaft Musikphysiologie und Musikermedizin als Präsident vorsteht, an der Musikhochschule Frankfurt Musikphysiologie lehrt und an der Uniklinik Mainz eine Musiker-Sprechstunde anbietet. Wer dagegen schon lange, etwa als Geiger, verdreht im Orchester sitzt, ruiniere sich die Wirbelsäule. Andere Streicher klagen über verhärtete Schultermuskeln.

Schmerzen im Repertoire

"Etwa 60 Prozent der Profimusiker klagen über Beschwerden beim Spielen", sagt Helmut Möller, Direktor des Kurt-Singer-Instituts für Musikergesundheit in Berlin: "Davon leidet etwa jeder Zweite an chronischen Schmerzen." So treibt die schöne Kunst 15 Prozent der Berufsmusiker in die Frühverrentung - ein Drittel mehr als durchschnittlich bei allen Erwerbstätigen und nur vergleichbar mit dem Lehrerberuf.

Musiker: Pianist Leon Fleisher gewann nur dank eines Nervengifts die Kontrolle über seine linke Hand zurück.

Pianist Leon Fleisher gewann nur dank eines Nervengifts die Kontrolle über seine linke Hand zurück.

(Foto: Foto: obs/Pharm Allergan)

Die Therapie der Erkrankungen ist oft schwierig. Einen Musikerkrampf können versierte Ärzte nur in der Hälfte aller Fälle lockern. Der Krampf verzerrt das Spiel, wenn das Gehirn für die feinen und präzisen Bewegungen des Musizierens nicht sauber genug programmiert ist.

Einigen Musikern können Ärzte und Musikpädagogen daher helfen, indem sie die neurologische Steuerung für die Finger umprogrammieren. Das kostet Zeit und eine Menge Disziplin. Wer bereits rasant alle großen Klavierkonzerte gespielt hat, muss von vorn beginnen - und alles Finger für Finger mühsam neu einüben. "Wer vor einem Konzert schnell Hilfe braucht, dem spritzen wir Botulinum-Toxin", sagt Hans-Christian Jabusch, der den Musikerkrampf als Mitarbeiter des Neurologen Altenmüller erforscht und therapiert. In einem Drittel der Fälle nutzt das Gift dauerhaft, so wie bei Leon Fleisher.

"Holzbläsern können wir manchmal mit kleinen Umbauten an ihrem Instrument helfen", sagt Jabusch. Auch mit Kombinationen können sie meist jedoch nur eine Besserung erreichen. Für Profimusiker reicht das oft nicht. Ihnen raten die Ärzte manchmal, den Beruf zu wechseln. Etwa wenn sich die Lippen eines Anfang zwanzigjährigen Blechbläsers der Spannung mit einem Krampf entziehen.

Mörderischer CD-Kult

Dass Musiker ihren Körper als willfährige Maschine betrachten und jedes Versagen mit zusätzlichem Üben bestrafen, verschlimmert ihr Leiden. "Wir müssen unsere Patienten erst einmal dazu bringen, sich als krank zu akzeptieren", sagt Blum. "Bei einer Sehnenscheidenentzündung gehört eine Pause zu einer erfolgreichen Therapie." Die kann auch mal zwei Monate dauern - eine lange Zeit für jemanden, der seine Finger auf Hochleistung trainieren muss, um nach immer größerer Perfektion zu streben. Das Instrument längere Zeit im Kasten zu lassen, schwächt zudem im ständigen Kampf um den Platz in einem renommierten Orchester. "Ein Orchester ist eine unnachgiebige Gruppe", sagt Möller. Da traue sich kaum einer, eine Krankheit zuzugeben. Wer sich krank meldet, gilt als Drückeberger, und Schmerz als Indiz für eine falsche Technik.

Schon wer Kinder lehrt, über Tasten zu gleiten, sollte wissen, wie man schonend übt. Das heißt vor allem: Pausen einlegen. Und die richtige Einstellung vermitteln. "Lob gibt es in Musikstunden selten", sagt Möller. Schelte für Fehler dagegen oft. Der Druck, dem schon Kinder ausgesetzt sind, bleibt dem Profi. "Selbst wenn sie wissen, dass sie gut spielen, quält sie noch die Angst vor dem Versagen", sagt Möller. Denn sie dürfen nicht dahinter zurückfallen. Angst fährt als Verspannung und Schmerz in die Glieder. Der Schmerz macht noch mehr Angst. "Wir wissen, dass jeder vierte Berufsmusiker versucht, die Angst mit Betablockern, Alkohol oder zumindest pflanzlichen Präparaten zu betäuben", sagt Möller. Wirklich helfen kann den Betroffenen nur, die Ansprüche zu senken.

Gleiches gilt für die Zuhörer. "Der CD-Kult ist mörderisch", sagt der Hannoveraner Musik-Mediziner Altenmüller, der selbst mit einer Querflöte auftritt: Ein Konzert gelte nur noch als gelungen, wenn es so fehlerfrei klingt wie die CD-Aufnahme. An den digitalen Tonträgern aber basteln Techniker so lange, bis sie den letzten Makel rausgeschnitten haben. "Musik ist mehr als eine Reihe richtiger Töne", sagt Altenmüller.

Wer dem Zwang zur Perfektion nicht standhält, dem drohen nicht nur physische Leiden, wie das Schicksal Robert Schumanns zeigt: Der ließ sich zwar von seinem ungehorsamen Mittelfinger nicht das Klavierspiel verderben - nicht zuletzt, weil er Sonaten und Konzerte komponierte, deren Akkorde sich auch ohne Mittelfinger greifen lassen. Doch eine schwere psychotische Erkrankung beendete schließlich sein musikalisches Schaffen.

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