Mitarbeiterführung:Arbeit muss beflügeln

Ist man in unglücklichen Momenten kreativer? Sprudeln unter Zeitdruck plötzlich die Ideen? Fünf Mythen über Kreativität auf dem Prüfstand.

Gregor Schmitz

Innovation ist eines der Zauberworte dieses Wahlkampfes. Mit neuen Ideen und mehr Kreativität soll vor allem die deutsche Wirtschaft aus der Krise kommen. Aber wie fördern Unternehmen eigentlich die Kreativität ihrer Mitarbeiter? Teresa Amabile, Professorin an der Harvard Business School, beschäftigt sich mit diesem Problem seit mehr als einem Vierteljahrhundert.

Vor neun Jahren begann sie mit einem Team von Doktoranden 12.000 Tagebucheintragungen von 238 Menschen zu sammeln, die an kreativen Projekten in verschiedenen Industrien arbeiteten. Amabile verriet den Probanden nicht den genauen Zweck der Studie - sie bat sie lediglich, ein Tagebuch über ihre täglichen Arbeitseindrücke zu führen und wertete diese auf kreative Gedanken aus. An der Analyse arbeiten Amabile und ihr Team noch, aber einige Ergebnisse kann sie bereits präsentieren. Sie sieht dabei vor allem einige verbreitete Mythen über Kreativität widerlegt:

Mythos 1: Nicht alle Mitarbeiter können kreativ sein. Wenn Amabile vor dem Beginn ihrer Studie Unternehmenschefs fragte, in welchem Bereich ihrer Firmen sie sich Kreativität wünschten, nannten die meisten Marketing oder die Forschungsabteilung, jedoch auf keinen Fall die Buchhaltung. Die Professorin sieht darin gefährliche Stereotypen: "Sie denken, manche Mitarbeiter seien kreativ, andere nicht." Gute Manager müssten aber versuchen, Kreativität nicht in ein Ghetto zu sperren, sondern jeden Mitarbeiter zu kreativen Ansätzen zu ermutigen, selbst Controller.

Amabile findet in ihrer Forschung nämlich Nachweise, dass jeder normal intelligente Mensch sehr wohl zu kreativem Denken in der Lage ist. Es brauche dafür bloß Expertise in seinem Gebiet und die Aufgeschlossenheit, neue Gedanken zu formen und durchzusetzen. Sogar Buchhalter können dann kreative neue Wege finden, um ihre Arbeit noch besser zu organisieren.

Mythos 2: Geld ist der wichtigste Antrieb für Kreativität. In den Tagebuch-Auswertungen fand Amabile, dass Mitarbeiter in ihrer täglichen Arbeit nur selten über die Bezahlung nachdachten. Diejenigen, die dies regelmäßig taten, waren weitaus weniger kreativ als die anderen. Den Probanden war viel wichtiger, dass kreative Lösungen anerkannt und unterstützt werden.

"Arbeitnehmer wollen eine Aufgabe, die sie herausfordert, bei der sie aber auch Fortschritte machen können", sagt Amabile. Manager müssten also nicht nur sehen, wo die Interessen ihrer Mitarbeiter liegen, sondern auch, was sie ihnen zumuten können. Wenn die geforderte Arbeit ihre Fähigkeiten deutlich übersteige, würden sie frustriert. Seien sie viel zu gut ausgebildet für ihre Tätigkeit, langweilten sie sich. Beides stehe dem kreativem Denken im Weg.

Mythos 3: Zeitdruck fördert kreatives Denken. Eine der Mythen, denen sich Amabile und ihr Team gegenüber sah, war die Annahme, Zeitdruck fördere Kreativität. Die Ergebnisse der Studie sprechen eine ganz andere Sprache. "Mitarbeiter sind am unkreativsten in einem Wettlauf gegen die Zeit", sagt Amabile. Sie sagt, extremer Zeitdruck behindere Kreativität, weil die Gelegenheit fehle, sich wirklich mit einem Thema auseinander zu setzen und Ideen reifen zu lassen. Schlimmer noch: Nicht nur am Tag, an dem der Zeitdruck herrscht, ist die Kreativität eingeschränkt - auch in den Tagen danach sind die Mitarbeiter weitaus weniger kreativ als gewöhnlich.

Mythos 4: Glück bremst kreatives Denken. Viele Firmenmanager glauben, Angst und Traurigkeit fördere gar Kreativität (und verweisen dabei gerne auf depressive Maler oder Schriftsteller). Amabile hat in den 12.000 Tagebuchnotizen keinerlei Beleg für diese These gefunden: "Wir sehen in den Einträgen ganz überwiegend, dass Kreativität positiv korreliert mit Glück und Zufriedenheit, negativ hingegen mit Angst, Ärger und Ungewissheit. Am glücklichsten sind Mitarbeiter an dem Tag, an dem sie einen kreativen Einfall haben - aber das ist weitaus wahrscheinlicher, wenn sie in den Tagen zuvor bereits zufrieden waren."

Mythos 5: Bei Konkurrenzdruck entfaltet sich Kreativität besonders gut. In vielen Firmen regiert das Gesetz, heftiger Konkurrenzkampf fördere das kreative Denken. Nach Amabiles Studie ist das Gegenteil der Fall. "Kreativität leidet, wenn Arbeitsgruppen konkurrieren statt zusammenzuarbeiten. Die kreativsten Teams sind immer diejenigen, die untereinander genug Vertrauen zeigen, um Ideen zu diskutieren und auszutauschen."

Was rät die Wissenschaftlerin also Managern? Sie sollten im ersten Schritt Hindernisse für mehr Kreativität beseitigen, empfiehlt Amabile. Wenn in einer Firma extremer Zeitdruck, Konkurrenzkampf, harsche Kritik an neuen Ideen und die Verherrlichung des Status quo an der Tagesordnung seien, könne Kreativität sich kaum entfalten. Stimulieren lasse sich die vor allem durch Investitionen in ein innovationsfreundliches Arbeitsumfeld, das etwa Mitarbeitern Freiheit in der Ausgestaltung ihrer Arbeit lässt. "Man kann ihnen sagen, welchen Berg sie besteigen sollen - aber wie sie das machen, bleibt ihnen selbst überlassen." Dazu brauche es aber auch ausreichende Ressourcen, die etwa für die Rekrutierung und Unterstützung von diversen Arbeitsgruppen mit Talenten aus verschiedenen Bereichen investiert werden müssten. Besonders wichtig sei die Rolle von Vorgesetzten und Gruppenleitern - diese sollten mit ihrem Team effektiv komunizieren, neue Ideen wertschätzen und belohnen, selbst Vorbildfunktion ausüben und die kreative Gruppe vor Widerständen innerhalb der Organisation schützen.

Am wichtigsten ist laut Amabile aber ganz individuell immer noch, was die Harvard-Professorin "The Intrinsic Motivation Principle of Creativity" nennt. Mitarbeiter werden am kreativsten arbeiten, wenn sie eine Arbeit ausüben, die sie fordert, jedoch nicht überfordert - und die ihnen wirklich Spaß macht.

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