Migranten im Elternbeirat:Kennenlernen im Multikulti-Café

Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem

Was gehört in den Schulranzen? Eltern von Flüchtlingskindern müssen erst Grundsätzliches lernen, etwa in Workshops. Danach wirken viele gerne im Elternbeirat mit.

(Foto: Ole Spata/ dpa)

Flüchtlinge mit Kindern müssen erst Ängste abbauen und das deutsche Schulsystem besser kennenlernen. Dann sind sie häufig bereit, sich in Elternbeiräten zu engagieren.

Von Joachim Göres

"Lehrer sagen oft: Migranten-Eltern interessieren sich nicht für die Schule ihres Kindes. Das stimmt nicht. Ein Problem ist aber, dass viele dieser Eltern tatsächlich nur wenig Kontakt zur Schule haben." Wie kann man das ändern? Eine Frage, die Lucy Grimme umtreibt, aus El Salvador stammende stellvertretende Vorsitzende des niedersächsischen Integrationsrates. Spezielle Angebote für Mütter und Väter, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, gebe es viele - doch die Information darüber, zum Beispiel per Flyer, sei oft der falsche Weg. "Man muss ein Vertrauensverhältnis aufbauen, die Menschen direkt ansprechen, sie persönlich einladen", rät die pädagogische Mitarbeiterin der Arbeiterwohlfahrt in Lüneburg. Eine Frage, die angesichts von circa 50 000 neuen Schülern mit geringen oder gar keinen Deutschkenntnissen allein in Niedersachsen aktueller ist denn je.

Viele der heutigen Migranten-Eltern seien selbst in Deutschland zur Schule gegangen, sagt Seyhan Öztürk, die im Klassenelternrat an der Grundschule ihrer Tochter in Garbsen bei Hannover aktiv ist. "Sie sind mit dem Bildungssystem und der Sprache besser vertraut als ihre Eltern. Eine Mehrheit hat großes Interesse an der Ausbildung ihrer Kinder. Immer mehr sind bereit, in Elternbeiräten mitzuarbeiten. Zudem sind die Lehrer heute viel besser ausgebildet, wenn es um die Förderung von Kindern mit einer anderen Muttersprache geht." Öztürk ist Juristin; ihre Eltern sind Türken, sie selbst wurde in Deutschland geboren. Beim Elternabend in der ersten Klasse seien dort fast alle Eltern gewesen, auch die mit Migrationshintergrund.

Öztürk weiß aber auch von Ängsten von Migranten, bei der Wahl als Elternvertreter zu kandidieren. "Man muss Menschen zu diesem Schritt ermutigen, gerade wenn sie nicht perfekt deutsch sprechen", sagt Öztürk und ergänzt: "Außerdem wäre es wichtig, den muttersprachlichen Unterricht an den Schulen zu verstärken, das wäre ein Zeichen der Wertschätzung und könnte den Kontakt zur Schule stärken."

An der Grundschule am Geitelplatz in Wolfenbüttel werden Kinder auch in ihrer Muttersprache Arabisch unterrichtet. "Über diesen Unterricht bringen wir arabische Eltern, die schon lange in Deutschland leben, mit Eltern von Flüchtlingskindern in Kontakt. So wird die Schule zum wichtigen Treffpunkt", sagt die Sozialpädagogin Nicole Schröder. Regelmäßige Elterncafés oder gemeinsames Kochen bieten mittlerweile viele Grundschulen an. Auch die Homepage der Geitelschule soll helfen, Kontakthürden abzubauen - grundlegende Informationen gibt es auf Türkisch, Englisch, Französisch, Italienisch und Polnisch.

Dass sie in der Schule mitreden können, ist für manche Mütter und Väter etwas ganz Neues

Sind Sprachbarrieren überwunden, prallen nicht selten unterschiedliche pädagogische Vorstellungen aufeinander. "In den Herkunftsländern vieler Migranten dominiert Frontalunterricht, die Schüler müssen zuhören, es geht um Wissensvermittlung und Leistung. In Deutschland erleben sie, dass die Lehrer häufig viel offener sind, das verunsichert viele Eltern erstmal", sagt Maike Hoeft, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Paderborn. Die Pädagogin führt vor allem mit türkischen Frauen Workshops im Ruhrgebiet durch, in denen es unter anderem darum geht, wie Kinder lesen lernen, was ein Stundenplan ist, was Rechtschreibschwäche bedeutet. "Eltern sind glücklich, wenn man ihnen solche Begriffe und Zusammenhänge erklärt, die vielen von ihnen fremd sind", sagt Hoeft. Sie plädiert dafür, Infoveranstaltungen mit Kinderbetreuung und Dolmetscher anzubieten, am besten mit Essen und Trinken. "Man braucht eine Willkommenskultur, wenn man eine echte Mitwirkung aller Eltern will. Und zwar schon in der Kita. Sie müssen erleben, dass sie etwas bewirken können, dann engagieren sie sich auch", ist Hoeft überzeugt.

Abschaffung von Noten in Grundschulen, Schulklassen mit Kindern unterschiedlichen Alters, Kinder mit Behinderung in der Regelschule - Neuerungen stoßen oft auf Skepsis. "Eltern mit Migrationshintergrund sind nicht offen für neue Herausforderungen. Sie haben auch Angst, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommen könnte", sagt Aydan Göktas aus Singen am Bodensee. Sie ist unlängst in den Elternbeirat der weiterführenden Schule ihres Sohnes gewählt worden, zuvor war sie schon in der Grundschule Elternvertreterin. Gibt es Unterschiede beim Engagement der Migranteneltern in den Schulen, abhängig davon, woher ihre Familie stammt? "Ich bin der Meinung, dass das Herkunftsland keine Rolle spielt, sondern dass die Bildung der Eltern entscheidend ist - und das Interesse an der Integration in dem Land, in welchem man lebt", sagt Göktas. "Ich glaube, es wird sehr viel getan für Migrantenkinder, zumindest im Bodenseekreis."

Vahide Akbay hat ebenso wie Göktas einen Migrationshintergrund, beide Frauen sprechen akzentfrei deutsch. Akbay berichtet aus ihren Erfahrungen als Lehrerin an der Berufsschule für Hauswirtschaft in Hannover: "In den Herkunftsländern von Migranten spielen Eltern in der Schule meist keine Rolle. Zudem ist das Berufsschulsystem in Deutschland einzigartig, das verstehen viele Eltern nicht, und es fehlen fremdsprachige Informationen darüber. Aber auch deutsche Eltern beteiligen sich zu wenig am Schulleben - leider."

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