Mein Kollege sagt ...:"Nicht ohne meine Sandalen"

Sommer im Büro - das ist Hölle Couture: Fiese Füße in abgelatschten Sandalen, Dekolletés, die den Untiefen des Rheins gleichen.

Julia Bönisch

Fragt man Fernsehmoderatoren und Beauty-Redakteurinnen von Frauenzeitschriften, woran man erkennt, dass der Sommer nun wirklich da ist, antworten sie: am himmelblauen Nagellack, der jetzt im Supermarkt zu haben ist. Am Soap-Sternchen, das mit ihrem Sommerhit durch jede Talkshow tingelt. Oder daran, dass die marinierten Lammkoteletts beim Metzger schon mittags aus sind.

Flip Flops, dpa

Nicht ohne meine Flip Flops: Wenn es endlich regnet, sind wir endlich nicht mehr dazu gezwungen, unsere Freizeit mit anderen Menschen in rosa Kleidchen zu verbringen.

(Foto: Foto: dpa)

Das ist alles Schwachsinn. Dass der Sommer wirklich da ist, erkennt man an etwas ganz anderem: Plötzlich weiß man, dass Kollege Meier als Kind einen schlimmen Autounfall hatte, der Müller einen eingewachsenen Zehnagel hat und die Schmidt ein Fan von Charlotte Roches "Feuchtgebieten" ist.

Bacardi-Feeling im Büro

All diese Erkenntnisse wären uns erspart geblieben, hätten die hohen Temperaturen die Kollegen nicht dazu getrieben, plötzlich ihre weißen, nackten Beine in Shorts zu stecken, Sandalen anzuziehen und in Träger-Tops zu schlüpfen. Dann nämlich sieht man die lange Narbe am Bein, den unappetitlichen Fuß und Achselbehaarung - Informationen, auf die man ausnahmslos verzichten könnte. Die Trennung von Beruflichem und Privatem hat durchaus etwas für sich, und dazu zählt eben auch, das Bacardi-Feeling für die Freizeit zu reservieren.

Mitten im Sommer sehnt man sich also plötzlich nach Regen, Hagel, Schnee: Was waren das für Zeiten, als das Dekolleté der Kollegin von einem dezenten Rollkragen umschlungen war! Statt die Reaktionen der Kollegen auf die Wiedergängerin von Angela Merkel in Oslo zu beobachten, konnte man sich im Winter konzentriert über das Thesenpapier beugen oder der Powerpoint-Präsentation folgen.

Glaubt man den Prognosen der Klimaforscher, werden solche halbjährlichen Erholungspausen in Zukunft erheblich kürzer ausfallen. Dann werden die Ventilatoren noch im November surren und das Klacken der Kollegen-Flip-Flops verfolgt uns bis zu Allerheiligen.

Angesichts dieser hinter der Bürotür lauernden Schrecken ist man froh um jeden Regentag: Besser grauer Himmel als rosa Kleidchen, lieber Regenschirm statt überdimensionierte Sonnenbrille, ja, wir haben sogar Gummistiefel lieber als Fußkettchen oder Zehenring.

Lau und gallig statt warm und zimtig

Der soziale Druck, jeden Abend entweder im Biergarten, Freiluftkino oder auf dem Balkon zum Grillen zu sitzen, lässt auch erheblich nach. Wenn es regnet, sind wir endlich nicht mehr dazu gezwungen, unsere Freizeit mit anderen Menschen in rosa Kleidchen zu verbringen.

Das Grau und Schwarz der Herbstgarderobe ist ja auch ganz schön - bis wir im Dezember morgens im Dunkeln das Haus verlassen, und es schon kurz nach der Mittagspause wieder beginnt zu dämmern. Oder die ruhigen DVD-Abende daheim auf die Dauer doch ein bisschen zu einsam werden, die Heizkosten den jährlichen Bonus auffressen und der Glühwein nicht mehr warm und zimtig schmeckt, sondern nur noch lau und gallig.

Und wenn man ehrlich ist, sind die Thesenpapiere und Powerpoint-Präsentationen meistens doch nicht so spannend, dass man ein komplettes Meeting mit ihnen verbringen könnte. Also: Wie gut, dass es Sommer ist! Dafür nehmen wir auch den eingewachsenen Zehnagel vom Müller in Kauf.

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