Mein Kollege sagt ...:"Ich leide an Trypanosomiasis"

Der Hypochonder würde am liebsten im Einzelbüro sitzen. So könnte er sich nicht bei Kollegen anstecken. Doch dort hätte er gar kein Publikum für seine Horrorgeschichten - und niemanden, dem er seine wuchernde Alterswarze unter die Nase halten könnte.

Julia Bönisch

Jeden Morgen verabschiedet sich der Kollege so zärtlich und intensiv von seiner Frau, als könnte es sein letzter sein. Das ist zwar die Grundlage für seine glückliche Beziehung, doch eigentlich hat dieses Verhalten einen ganz anderen Grund: Dass er das Büro jeden Abend lebend verlässt, grenzt für ihn schon an ein Wunder.

Virus, ddp

Vogelgrippevirus: Sobald am hypochondrischen Kollegen eine Taube vorbeifliegt, fürchtet er sich gleich vor einer Infektion.

(Foto: Foto: ddp)

Spaltpilz-Austausch beim Händeschütteln

Schließlich ist seine Tastatur ein hygienischer Krisenherd. Hier tummeln sich mehr Bakterien als auf der Toilette: Sporen, Staphylokokken, Mirkokokken - er kennt sie alle beim Namen. Kunden und Kollegen verweigert er prinzipiell den Handschlag. Ein Nicken zur Begrüßung hält er für vollkommen ausreichend, denn beim Hände schütteln werden mehr Spaltpilze ausgetauscht als bei einem Wangenkuss. Solch erhellende Studienergebnisse, herausgefunden von Wissenschaftlern im Auftrag der Pharmaindustrie, basierend auf der Datenbasis von drei herpeskranken Hepatitispatienten, kennt der Kollege alle auswendig.

Seine Schubladen quellen über mit Eukalyptusbonbons, Hustenpastillen und Schmerztabletten. Seine Schreibtisch-Deko besteht aus dem Nierenstein, der ihm im letzen Sommer entfernt wurde, den Kühlschrank blockiert er mit probiotischem Joghurt sowie einem undefinierbarem Notfallserum, dass seine Wirksamkeit nur bei konstant sieben Grad Celsius behält. Und in der Brieftasche trägt er für alle Fälle seinen Impfpass herum.

Publikum für seine Horrorgeschichten

Eigentlich würde er ja am liebsten im Einzelbüro sitzen, weil er dort vor den Krankheitsüberträgern namens Kollegen sicher wäre. Diskussionen über ungesunde Zugluft ("Fenster zu!"), die verbrauchte und trockene Heizungsluft ("Fenster auf!") blieben ihm erspart. Doch dort hätte er gar kein Publikum für seine Horrorgeschichten: "Es fing an mit einem leichten Kratzen im Hals. Dann wanderte es plötzlich hinunter und es fühlte sich an, als würde meine Magenschleimhaut mit brennenden Speeren durchbohrt. Und jetzt, sieh dir das an!" Und prompt hält er einem eine wuchernde Alterswarze unter die Nase. Solche Gespräche führt der Kollege übrigens am liebsten in der Kantine.

Auf der nächsten Seite: Wie Doktor Google dem Kollegen Todesangst einjagt.

"Ich leide an Trypanosomiasis"

Trichophyton mentagrophytes als possierliches Tierchen

Erwischt ihn zufällig der Taubenkot, durchzuckt ihn sofort der Gedanke an die Vogelgrippe. Selbst bei solch ausgefallenen Leiden wie Hühnerpest, Sars oder BSE, die nur bei einem aus Millionen auftreten, spürt er gleich nach dem ersten Medienbericht den Erreger im Körper. Hält man ihm die Seltenheit dieser Krankheiten entgegen, lautet die Antwort wie aus der Pistole geschossen: "Ich glaube, ich bin der eine aus Millionen. Einen musste es ja treffen." Und auf seine Hypochondrie angesprochen, entgegnet er: "Ich und Hypochonder? Ich beobachte mich einfach nur intensiver als andere."

Für jedes Symptom sucht er im Internet gleich die passende Krankheit. Doktor Google verursacht dabei jedes Mal Todesangst, denn er spuckt gleich die schrecklichsten Diagnosen aus.

Für solche Menschen verkauft eine amerikanische Spielzeugfirma für nur 7,18 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer süße bunte Plüschtiere in Form von Bakterien, Parasiten und Viren. Der Trichophyton mentagrophytes, gemeinhin Fußpilz genannt, ist dort zum Beispiel vertreten. Auch Tollwut (Rabiesvirus), Salmonellen (Salmonella typhimurium) und Schlafkrankheit (Afrikanische Trypanosomiasis) sind herzallerliebste, possierliche Tierchen, vor denen der Hypochonder eigentlich sofort seine Angst verlieren müsste. Wenn die Kollegen anlässlich seines Geburtstages mal wieder für ihn sammeln, wäre das also ein adäquates Geschenk. Und der Hypochonder kann aus vollem Herzen seufzen: "Ach, das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen."

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