Management:Bullshit-Bingo und Marketing-Scrabble

Zwischen Kennzahlen-Kultur und Assessment-Center: Ein Verzicht auf die üblichen Marketing-Instrumente führt zu mehr Professionalität.

Stefan Kaduk

Manchmal sorgt ein Blick in fast verstaubte Klassiker für Klarheit. Bereits Mitte der siebziger Jahre stellten kluge Organisationssoziologen fest, vor allem John Meyer und Brian Rowan, dass Organisationen immer gleichförmiger werden. Sie nannten dieses Phänomen Isomorphie.

Rätsel, iStock

Bullshit-Bingo? Manche Unternehmen wären professioneller, wenn sie auf unnötigen Marketing-Schnickschnack verzichten würden.

(Foto: Foto: iStock)

Wenn wir heutzutage in die Unternehmenslandschaft blicken, ist diese Isomorphie in der Tat präsenter denn je. Es geht dabei nicht nur um äußerliche Merkmale wie etwa die Unternehmensgröße oder die Organisationsstruktur. Es scheint vielmehr geradezu gesetzesartig vorgeschrieben zu sein, dass ganz bestimmte Instrumente und Methoden zum Einsatz kommen müssen. So betreibt fast jedes Unternehmen Benchmarking, vertraut auf die scheinbar objektivierende Kraft von Assessment-Centern und packt alles und jeden in möglichst lückenlose Kennzahlenwerke.

Diese Vorgehensweisen haben zweifelsfrei ihren Stellenwert: Der Griff in den bewährten Management-Baukasten gilt nach wie vor als professionell und zeitgemäß. Hinzu kommt ein nicht minder entscheidender Aspekt: Gleichförmiges Verhalten sichert Legitimation, sorgt für Vertrauen, das mit den bekannten Elementen verhältnismäßig risikolos einzuwerben ist. Verlässlichkeit wird begreiflicherweise stets eingefordert.

Denn in einer komplexen Welt benötigen wir eindeutige Orientierungshilfen, wenn wir entscheiden wollen, in welchem Unternehmen wir arbeiten oder einkaufen wollen. Wer heutzutage nicht zertifiziert ist, bewusst auf eine bestimmte Standardsoftware verzichtet oder keine Beauftragten für die einschlägigen aktuellen Themen - etwa Umwelt oder Gleichstellung - vorweisen kann, setzt sich dem Verdacht aus, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben.

Der Kampf gegen Mainstream und Austauschbarkeit

Dabei geht es freilich nur um eine Signalwirkung. Denn ein Unternehmen, das auf Symbole der Professionalität verzichtet, handelt möglicherweise weitaus professioneller - etwa dann, wenn es wie selbstverständlich dem Umweltgedanken Rechnung trägt und deshalb gar keinen Klimabeauftragten nötig hat oder über mögliche Negativeffekte moderner Instrumente nachdenkt, ehe es sich ihrer nach bewusst getroffener Auswahl gezielt bedient.

Wechseln wir also an dieser Stelle die Blickrichtung. Denn es lässt sich in letzter Zeit ein Trend erkennen, der zumindest seinem Anspruch nach auf das Gegenteil von Gleichförmigkeit hinausläuft. Gemeint ist der Kampf gegen den Mainstream und die Austauschbarkeit.

Anderssein lautet die große Herausforderung, die allerdings in gesättigten Märkten substantiell kaum bewältigt werden kann. Demzufolge wird oft versucht, sich durch bloße Rhetorik abzugrenzen. Man denke an ein Konservenregal im Supermarkt, in dem plötzlich ein Produkt mit dem Namen "Das andere Apfelmus" auftaucht. Oder an Beratungsunternehmen, die zwar das klassische Programm gemäß dem Schema "Analyse-Konzeption-Umsetzung" anbieten, aber dennoch versprechen, dabei gänzlich anders als andere vorzugehen.

Auf der nächsten Seite: Was sind die verdeckten Nebenwirkungen und Opportunitätskosten moderner Managementinstrumente?

Bullshit-Bingo und Marketing-Scrabble

Zwischen Bullshit-Bingo und Marketing-Scrabble

Die elitäre Variante der Anderssein-Strategie lautet Exzellenz. Doch diese und viele weitere Begriffe sind inzwischen bis zur Nullaussage entwertet worden. Sie werden zu Nervensägen im Geschäftsalltag und taugen nicht mehr zur Differenzierung. Wenn nach Alleinstellungsmerkmalen gefahndet wird, werden Phrasen und Worthülsen gefunden, die irgendwo zwischen Bullshit-Bingo und Marketing-Scrabble liegen. Es lässt sich dann nicht mehr trennen zwischen denen, die es möglicherweise ernst meinen und den - wie es die Band Tocotronic so treffend formuliert hat - "Benutzern des Dagegenseins". Die Strategien, die aus der Austauschbarkeit führen sollen, sind selbst profillos und führen letztlich zur uniformen Nonkonformität.

Dieser Mechanismus ist in Isomorphie begründet: Die Gesellschaft hat eine ziemlich feste Vorstellung davon entwickelt, wie ein modernes und rational geführtes Unternehmen gemeinhin auszusehen hat. Abweichungen von der "Normalität" bewirken Skepsis. Aus diesem Grunde bleiben die Differenzierungsversuche meist auf die Kommunikationsebene beschränkt und können damit so gut wie nicht überzeugen, zumal das Anderssein zur Pflichtübung zu werden droht.

Nun gibt es aber durchaus Unternehmen, die tatsächlich im Kern anders sind: So verzichtet beispielsweise die amerikanische Textilfirma W. L. Gore gänzlich auf Assessment-Center und klassische Personalbeurteilungssysteme. Und Franz Stoffer, Geschäftsführer der Caritas Betriebsführungs- und Trägergesellschaft (CBT) in Köln, die schon mehrfach zu den besten Arbeitgebern Deutschlands gewählt wurde, trennt sich regelmäßig von seinen "Müll-Listen". Auf diese setzt er mindestens einmal im Jahr Statistiken und Kennzahlen, von denen viele Leute glauben würden, dass sie wichtig seien, die tatsächlich jedoch nur Zeit kosten und deshalb konsequent entsorgt werden.

"Was passiert eigentlich, wenn wir alle gleich effizient sind?"

Abweichler wie Gore oder die CBT befassen sich ernsthaft mit den verdeckten Nebenwirkungen und Opportunitätskosten moderner Managementinstrumente und beweisen damit echte Professionalität. Sie stellen sich entscheidende Fragen, die auf den ersten Blick seltsam anmuten: Welche Kosten verursacht Misstrauen? Wie viel Intransparenz wird möglicherweise durch Kennzahlen erzeugt? In welchem Maße demotiviert leistungsabhängige Vergütung? Genau diese kritischen Fragen, dem Controlling wohl gar nicht oder viel zu selten gestellt, wären selbstverständliche Bausteine modernen und effektiven Managements.

Gerd Doege, Geschäftsführer der RWE Rhein-Ruhr Netzservice GmbH in Siegen, reflektiert die gängige gleichförmige Professionalität auf besondere Weise: "Was passiert eigentlich, wenn wir alle gleich effizient sind? Wenn alle mit denselben Systemen ausgestattet sind? Wer wird dann gewinnen?" Eine gute Frage in einer Zeit, in der Unternehmen mit ähnlichen Strukturen sich mit Mitarbeitern versorgen, die in Universitäten und Business Schools mit homogenem Fach- und Führungswissen sozialisiert werden. Doege hat für sich die Antwort gefunden: "Einer Zukunft, von der keiner weiß, wie sie aussieht, kann man nur begegnen, wenn wir Vielfalt wirklich zulassen."

Da passt es ins Bild, dass er keine Probleme damit hat, in einem Energieversorgungsunternehmen auch Geisteswissenschaftler zu beschäftigen. Eine Monokultur aus Betriebswirten und Ingenieuren sei mitunter gefährlich, sagt Doege, der selbst Ingenieur ist und durchaus weiß, dass es im Wirtschaftsspiel letztlich um schwarze Zahlen geht. Sie enge den Spielraum ein und verstelle den Blick auf kreative Sichtweisen, die zu anderen und besseren Lösungen führen können.

Die Beispiele zeigen, dass es sich lohnt, die Prämissen des vermeintlich modernen Managements auf den Prüfstand zu stellen. Wer dazu den Mut hat, schafft sich nicht nur ein deutliches Profil mit Substanz. Er ist auch souverän genug, sich nicht in den Chor derjenigen einzureihen, die sich permanent die Attribute "anders", "neu", "besser" und "exzellent" auf die Fahnen schreiben müssen. Anstatt sich auf den Wettlauf gegen die Entwertung immer neuer Buzzwords und Techniken einzulassen, sollten Unternehmen an dem arbeiten, was sie einzigartig macht - und ungewohnte Fragen stellen. Etwa diese: Würde eine gekonnte Deprofessionalisierung nicht manchmal zu mehr Professionalität führen?

Der Autor lehrt am Institut für Personal- und Organisationsforschung der Hochschule der Bundeswehr in München.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: