Ludwigshafen:Archive des Ankommens

Ludwigshafen: In der Ausstellung im Kunstverein Ludwigshafen ist Candida Höfers „Volksgarten Köln II 1974“ zu sehen.

In der Ausstellung im Kunstverein Ludwigshafen ist Candida Höfers „Volksgarten Köln II 1974“ zu sehen.

(Foto: Candida Höfer/VG Bild-Kunst, Bonn 2017)

Geschlossene Gesellschaften und erste Versuche der Integration: Die Ausstellung "Global Players - Wie lassen sich Fotografie, Ökonomie und Migration zusammen denken?" zeigt Fotoalben von Gastarbeitern und ihre künstlerische Verarbeitung.

Von Evelyn Vogel

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in Europa, im Sommer 2015, ging ein Foto um die Welt: Es war das des syrischen Flüchtlings Anas Modamani mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Viele Flüchtlinge wünschten sich damals ein Selfie mit der als "Flüchtlingskanzlerin" verehrten Politikerin. Weil ihr "Wir schaffen das" ihnen Mut gemacht hatte, irgendwann in einem nicht von Bürgerkrieg und Gewalt zerstörten Land neu anfangen zu können. Der 19-jährige Modamani allerdings wünschte sich wenig später, er hätte dieses Foto nie gemacht oder wenigstens nicht öffentlich in sozialen Medien geteilt, weil es systematisch für Verleumdungen missbraucht wurde. Mal galt er als Terrorist, mal als Gewalttäter. Bis heute versucht sich Modamani gegen Hass und Hetze im Netz zu wehren.

Ein halbes Jahrhundert zuvor gab es auch Fotos von Migranten mit Politikern. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen Bürgermeister aus deutschen Industrieregionen, die angeworbene Arbeitskräfte aus Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei und anderen sogenannten EWG-Ländern begrüßten: mit Handschlag und manchmal mit Blumenstrauß, den die Männer, die oft nur mit einem Köfferchen in die Fremde gekommen waren, verwirrt an die Brust drückten, während sie sich mit den Lokalpolitikern von den Fotografen ablichten lassen mussten. Auch in dieser Zeit ging ein Foto um die Welt: das des Portugiesen Armando Rodrigues de Sá, der 1964 als einmillionster Gastarbeiter in Deutschland in Köln feierlich mit Nelken und einem zweisitzigen Moped begrüßt wurde.

In den zurückliegenden 60 Jahren sind Millionen Menschen aus anderen Teilen der Welt nach Deutschland gekommen. Sie waren und sind auf der Flucht vor Arbeitslosigkeit und Armut, Krieg und Gewalt. Und alle haben ihre persönlichen Geschichten und ihre eigenen Bilder. Bilder aus der alten Heimat, Bilder von Orten, die vielleicht neue Heimat werden. Dazwischen: Momente der Ankunft, auf Entdeckertour in der Fremde, Fotos, die gängigen Touristenklischees gleichen, Selfies. Bilder, die zeigen, wie Migration sich mit Integration verbindet, neben Bildern, die den abgeschlossenen Kosmos mancher Einwanderergenerationen dokumentieren.

Männer in der Öffentlichkeit, Frauen im Abseits - die Bilder von damals und heute ähneln sich

Der Kunstverein Ludwigshafen bringt in der Ausstellung "Global Players" Fotografie, Ökonomie und Migration zusammen und verweist auf kulturelle Identitätssuche. Die Städte Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen starteten einen Aufruf an Einwanderer von damals, ihre privaten Bildarchive zu öffnen. Etliche derjenigen, die Zugang gewährten - vor allem die Kindergeneration -, sind Künstler, die mit ihrem künstlerisch geschulten Blick die Geschichte aus der Perspektive der Protagonisten von einst sichteten. Entstanden ist ein visuelles Gedächtnis der Phase des Ankommens in einer Region, die als Ziel für Einwanderer galt, insbesondere durch die BASF, die der aus Ludwigshafen stammende Philosoph Ernst Bloch als "Wahrzeichen der Stadt" bezeichnete.

Mediale Visualisierungspolitik und visuelle Deutungsmacht verhandelt Harun Farocki in seinem Stummfilm "Aufstellung". Sein auch mit Schaubildern und Infografiken vermischtes Szenario reicht von der Gastarbeiter-Migration von einst bis zur heutigen globalen Flüchtlingskrise. Retrospektiv ausgerichtet ist Candida Höfers großes Fotoprojekt "Türken in Deutschland". Zwischen 1972 und 1979 hat Höfer Migrantinnen und Migranten in Köln, Hamburg und Düsseldorf, zunächst nur im öffentlichen Raum, später auch in Privatwohnungen fotografiert. Entstanden sind fast soziologische Studien einer kulturellen Parallelgesellschaft, die weit über die Siebzigerjahre hinaus existierte und sich aktuell wiederholt: Männer öffentlich unter sich, Frauen im Abseits. Erstaunlich, wie sich auch hier die Bilder von damals und heute gleichen.

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