Lohndumping bei Leiharbeitern:Boomgeschäft Zeitarbeit außer Kontrolle

Ob im Supermarkt, im Büro oder in der Werkshalle, in immer mehr Unternehmen werden Leiharbeiter eingesetzt - um kurzfristig Aufträge zu bewältigen, aber auch, um Personalkosten zu drücken. Ein Gesetz soll Missbrauch verhindern, doch die Kontrollen sind lax.

Thomas Öchsner

Sie pflegen alte Menschen, bauen Flugzeuge oder verdienen in Supermärkten Geld. Bald gibt es eine Million Leiharbeiter in Deutschland, die sich von einer Zeitarbeitsfirma an andere Unternehmen verleihen lassen.

Der Verbraucherpreisindex ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen - schuld daran sind vor allem die höheren Kosten für Nahrungsmittel und Energie.

Sie arbeiten im Supermarkt, im Büro oder auch in Werkstätten - Leiharbeiter werden inzwischen in zahlreichen Branchen eingesetzt.

(Foto: dpa)

Eine Branche im Boom - doch Leiharbeit dient nicht immer nur dazu, Auftragsspitzen in einer Firma abzufangen. Sie kann auch ein Instrument sein, um Personalkosten zu drücken, so wie einst bei Schlecker: Der Discounter hatte Filialen geschlossen und Verkäuferinnen über eine mit Schlecker verbandelte Verleihfirma zu deutlich schlechteren Konditionen in neu eröffneten Geschäften wieder angeheuert.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) setzte deshalb im Frühjahr ein Gesetz gegen den Missbrauch von Leiharbeit durch - die Kontrollen bei den 17.938 Verleihfirmen scheinen aber nur unzureichend zu funktionieren. Dies jedenfalls ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion.

Zuständig ist die Bundesagentur für Arbeit (BA). Sie soll Leiharbeiter vor möglichen gesetzeswidrigen Praktiken ihrer Arbeitgeber schützen. Trotz des Booms der Leiharbeit wird die Zahl der BA-Kontrolleure bis Ende 2011 allerdings nur um 25 auf knapp 100 steigen.

Eine Hundertschaft gegen Missbrauch in diesem prosperierenden Gewerbe, das ist wenig. Die Grünen rechnen in ihrer Anfrage vor, dass sich das Verhältnis zwischen Prüfern und Leiharbeitskräften seit 2004 von eins zu 5000 auf eins zu 10.000 verschlechtert hat. Das Arbeitsministerium rechnet in seiner Antwort etwas schöner.

Arbeitnehmer werden nicht befragt

Es schreibt, nicht die Zahl der Leiharbeiter sei entscheidend, sondern die der Verleihbetriebe. Doch selbst so gesehen muss ein Kontrolleur im Schnitt 25 Betriebe mehr prüfen als noch vor ein paar Jahren.

Hinzu kommen weitere Probleme: Die BA hat kein Prüfrecht in den Unternehmen, in denen die Leiharbeiter eingesetzt sind und kann deshalb auch keine Arbeitnehmer befragen. "Die Bundesagentur für Arbeit kündigt in der Regel ihre Betriebsprüfungen (. . .) vorher an und fordert den Verleiher auf, die prüfungsrelevanten Unterlagen zur Einsichtnahme bereitzuhalten", heißt es in der Antwort.

Das Ministerium verweist darauf, dass für die richtige tarifliche Eingruppierung der Leiharbeiter der Betriebsrat im Verleihbetrieb zuständig sei. Nur: Den gibt es meist bei großen Zeitarbeitsunternehmen. "In 95 Prozent der Verleihfirmen existiert überhaupt kein Betriebsrat", sagt Wilhelm Adamy, Arbeitsmarktexperte des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Unzufrieden ist auch Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitsrecht bei den Grünen: "Die Kontrollen sind nicht effektiv genug. Die BA hat weder ausreichende Sanktionsmöglichkeiten noch Befugnisse noch Erfahrung in der Vor-Ort-Kontrolle." Sie hält auch die Kontrolle der neuen "Drehtürklausel" für unzureichend, mit der von der Leyen Fälle wie bei Schlecker in Zukunft verhindern will.

Diese Klausel schreibt vor, dass Leiharbeiter den gleichen Lohn wie Stammkräfte erhalten müssen - unter einer Voraussetzung: Sie waren zuvor in den vergangenen sechs Monaten bei dem Unternehmen angestellt. Das soll verhindern, dass Arbeitnehmer als gut versorgte Mitarbeiter rausgehen und als billige Leiharbeiter wieder hereinkommen.

Der Klausel, schreibt das Ministerium, könne der Verleiher nur gerecht werden, wenn er die Bewerbungsunterlagen samt Lebenslauf prüft. Müller-Gemmeke: "Einem Missbrauch ist so Tür und Tor geöffnet. Eine eigene Prüfung durch die BA erfolgt nicht."

Bundesagentur im Interessenskonflikt

Dafür spricht, dass selbst die Arbeitgeber der Branche die Drehtürklausel für nicht praktikabel halten. Bei einer Anhörung im Bundestag warnte ihr Verband davor, dass die internen Mitarbeiter der Verleihfirmen "zu Wirtschaftsdetektiven" werden müssten, um stets nachverfolgen zu können, welcher ihrer Leiharbeiter früher wo beschäftigt war.

Politikerin Müller-Gemmeke fordert wie der DGB, die Kontrollen der BA auf die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu verlagern, die bereits die Einhaltung von Mindestlöhnen überwacht. Sie sieht die BA in einem Interessenkonflikt, weil ihre Agenturen mit den Verleihfirmen zusammenarbeiten sollen. DGB-Experte Adamy: "Es wäre besser, wenn sich die Bundesagentur auf ihre Kernaufgabe, die Jobvermittlung, konzentrieren könnte."

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