Lehrer im Referendariat:"Die schlimmste Zeit meines Lebens"

Lehrer sollen künftig auf ihre emotionale Stabilität geprüft werden. Viele Referendare erleben jedoch schon ihren Vorbereitungsdienst als Härtetest.

Frank Gerstenberg

Kurz bevor sie diese Woche aus dem Amt scheidet, hatte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz noch ein ganz spezielles Ansinnen. Wer in Deutschland Lehrer werden will, soll künftig vorher auf seine "emotionale Stabilität" geprüft werden, forderte die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) unlängst. Nur so ließe sich feststellen, ob die Pädagogen über die "starke Persönlichkeit und natürliche Autorität" verfügten, die sie im Schulalltag bräuchten. Über entsprechende Eignungstests wollen die Kultusminister schon auf ihrem nächsten Treffen im Februar beraten.

Lehrer im Referendariat: "Die schlimmste Zeit meines Lebens"

Allein an der Tafel: "Das Unterrichten vor der Klasse lernen Lehrer in Deutschland kaum", konstatierte die OECD nach Besuchen deutscher Schulen.

(Foto: Foto: iStockphoto)

Für viele der rund 47.000 Lehramtsreferendare in Deutschland dürften die Worte der Ministerin wie Hohn geklungen haben. Für sie ist ihr zweijähriger Vorbereitungsdienst der denkbar härteste Eignungstest. Wer ihn bestehe, der brauche sich um seine emotionale Stabilität wahrlich keine Sorgen mehr zu machen. Und wenn es am Ende tatsächlich an starker Persönlichkeit und natürlicher Autorität mangele, dann, so der Eindruck, liege es nicht an ihnen selbst, sondern an den Schwächen ihrer Ausbildung und Ausbilder.

Petra Hiller etwa, Gymnasiallehrerin für Biologie und Chemie in Dormagen, bekam davon schon am ersten Tag ihres Referendariats am Studienseminar Meppen einen bleibenden Eindruck. Der Personalrat begrüßte die Neuankömmlinge mit dem Satz: "Wir sind das Studienseminar in Niedersachsen mit der höchsten Selbstmordrate."

Petra Hiller überlebte zwar, an das Referendariat denkt sie jedoch nur mit Schaudern: "Ich habe nie mehr in meinem Leben unter einem derart ungesunden Stress gestanden. Man wird zwischen allen Fronten zerrieben. Das Schlimmste war, dass mir die Fachleiter so gut wie nichts beigebracht haben." Sie habe sich "Ideen für fertige Unterrichtsreihen und konkrete Unterrichtshilfe" gewünscht. "Stattdessen verplemperten wir in den Seminaren unsere Zeit mit hehren Theorien." Bei den Lehrproben erwarteten die Fachleiter dann allerdings die perfekten Stunden - und wurden ungern enttäuscht. So bescheinigte ihr Biologie-Fachleiter einer Referendarin nach einem Unterrichtsbesuch: "Das war Anti-Unterricht. Es wäre besser gewesen, Sie hätten die Stunde nie gehalten." Mit solchen Schlägen unter die Gürtellinie sei niemandem geholfen, sagt Petra Hiller.

Susanne Müller (Name geändert), eine junge Hauptschullehrerin in Düsseldorf, ist "nur froh, vom Studienseminar weg zu sein". Die Seminare seien "eine einzige sinnlose Schwafelei mit nervigen Gruppenspielchen, die mit dem Alltag an der Schule nichts zu tun haben". Sie ist vor allem von der menschlichen Seite enttäuscht: "Kritisches Denken und Widerspruch werden nur ungern gesehen." Auch fehle es an Standards und Verbindlichkeiten. Eine besonders bizarre Episode erlebte sie, als es im Seminar um Lernzielformulierung ging: Die Leiterin zerriss Susanne Müllers Entwurf in Bausch und Bogen. "Dabei hatte ich ihn zuvor eins zu eins von meiner Geschichts-Fachleiterin übernommen."

So wie hier liegt vieles im Argen im deutschen Lehrerausbildungssystem. Wissenschaftliche Evaluationen zur Überprüfung des Vorbereitungsdienstes, wie sie die Bezirksregierung Arnsberg in Zusammenarbeit mit der Universität Dortmund entwickelt hat, sind die Ausnahme. "Das Kernproblem ist, dass Seminarleiter nicht ausgebildet werden, weder in fachlicher noch in psychologischer Hinsicht", sagt eine Hauptseminarleiterin. Dabei hängen von ihren Gutachten und Bewertungen Existenzen ab. Eine gute Ausbildung ist damit Glückssache und zudem noch keine Garantie für einen guten Abschluss.

"Die schlimmste Zeit meines Lebens"

Anke Ebeling aus Düsseldorf hat von ihrer Geschichts-Fachleiterin "sehr viel gelernt und gute Anstöße bekommen". Die Prüfung hat bei der soeben examinierten Geschichts- und Französischlehrerin indes ein Trauma hinterlassen: "Ich wurde nach Gutsherren-Art behandelt. Keiner begrüßte mich, niemand aus der Prüfungskommission hatte sich auf mein Thema vorbereitet, und dann griff die Vorsitzende auch noch in die Stunde ein."

Den Unterrichtsentwurf, Kernstück der Beurteilung, ließ die Prüferin in der Klasse liegen. Am Ende wurde die Referendarin in einem Fach mehr als 2,5 Punkte schlechter benotet als bei der Vornote. Ebelings Direktor zog nach dem unverschämten Auftritt der Kommission eine Konsequenz: "Wir werden keine Referendare mehr aufnehmen. Offensichtlich können wir trotz allen Einsatzes nicht für eine gute Ausbildung garantieren."

Der Unmut unter den Referendaren ist in allen Bundesländern groß, der Mut allerdings klein. Tim Engartner ist da eine Ausnahme. Der 30-jährige Englischlehrer aus Köln kritisierte in einem Zeitungsbeitrag die "veralteten Strukturen, praxisfernen Inhalte und die fehlende Transparenz bei der Notenvergabe" im Referendariat. Die Schelte zeigte Wirkung. Das nordrhein-westfälische Schulministerium ließ umgehend einheitliche Kriterien entwickeln, die künftig eine detaillierte Überprüfung der Lehrerausbildung für alle 84 Studienseminare im größten Bundesland ermöglichen sollen.

Dies könnte durchaus der Anfang einer radikalen Änderung in der Lehrerausbildung sein, den Ludwig Eckinger seit Jahren vergeblich fordert. Der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) warnt zwar vor Pauschalkritik an den "oft sehr engagierten und motivierten Fachleitern", er kann sich für Deutschland aber vorstellen, was in der Schweiz, in Frankreich, Finnland oder England schon Realität ist: das Referendariat abzuschaffen und die praktische Ausbildung in das Studium zu integrieren. So entfiele auch der "Praxisschock", den viele Referendare beim Betreten einer Klasse erleiden.

Entsprechende Versuche in Bremen und Oldenburg hat es zwar schon gegeben, sie scheiterten jedoch. Denn den deutschen Universitäten geht es nach wie vor hauptsächlich um Theorie und Wissenschaft. Geradezu für "Schwachsinn" hält Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität (FU) Berlin, dass alle Schulformen über einen Leisten gezogen und so "irrelevante Studieninhalte" vermittelt werden: "Grundschullehrer müssen nicht Analysis lernen, um den Kindern die vier Grundrechenarten beizubringen." Wichtiger seien Elemente aus der Lernpsychologie: "Wie lerne ich Lernen?" In den Haupt- und Realschulen sei überdies ein großer Teil Erziehungsarbeit gefragt. Die FU geht daher längst eigene Wege, um die Lehramtsstudenten besser auf die Praxis vorzubereiten: Sechs Monate des zweijährigen Referendariats wurden in das Universitätsstudium verlagert.

Für Sabine Lafloer-Schwarz wäre das die Optimallösung: Die Deutschlehrerin aus Solingen beschreibt ihr Referendariat rückblickend als Horrortrip: "Die schlimmste Zeit meines Lebens. Ich habe Ohnmacht und Auslieferung empfunden." Nach der Tortur nahm sie sich fest vor, etwas zu verändern, und begann eine psychologische Beratungs-Ausbildung. Mittlerweile ist Lafloer-Schwarz selbst Hauptseminarleiterin und tritt auch als solche für grundlegende Reformen ein: "Die Universitäten und Studienseminare müssen ein gemeinsames Konzept für die Lehrerausbildung entwickeln. Praktische und theoretische Ausbildung dürfen nicht so stark voneinander getrennt werden, ein gegenseitiger Austausch ist nötig." Ein solches Konzept fehle völlig, sagt auch VBE-Chef Eckinger: "Theorie und Praxis sind nicht miteinander verzahnt."

Dass die Lehramtsausbildung deutlich verbessert werden muss, darin sind sich die Bildungsexperten nicht nur in Deutschland einig: Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) fällte nach Schulbesuchen in Hamburg, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ein Urteil, das nicht vernichtender sein könnte: "Das Unterrichten vor der Klasse lernen Lehrer in Deutschland kaum."

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