Kunde als Mitarbeiter:Ein anderer Mehrwert

Kunde als Mitarbeiter: Günter Voß.

Günter Voß.

(Foto: privat)

Günter Voß, Professor für Arbeitssoziologie, darüber, wie uns neue Technologien zusätzliche Arbeit aufbrummen.

interview Von Viola Schenz

Günter Voß, 65, ist Professor für Arbeitssoziologie an der Technischen Universität Chemnitz. Er prägte den Begriff des "Arbeitenden Kunden", wonach Konsumenten zunehmend als unbezahlte informelle Arbeitskräfte in betriebliche Prozesse eingebunden werden.

SZ: Herr Voß, Computer nehmen uns immer mehr Arbeit ab, zugleich übernehmen wir die Arbeit klassischer Dienstleister. Wie erklärt sich dieses Paradox?

Günter Voß: Viel Technologie wird tatsächlich deswegen eingeführt, weil man hofft, dass Prozesse rationeller ablaufen. Aber am Ende kosten sie uns auch Zeit, weil wir mehr Arbeit investieren müssen. Das liegt auch daran, dass wir im Alltag mithilfe von Technologien immer mehr Arbeiten übernehmen müssen: Bestellungen tätigen oder Bewertungen abgeben, die vielfältigen Aktionen der Social Media eben. In der Summe ist das keine Zeitersparnis. Im Gegenteil: Wir werden regelrecht zugemüllt mit Anforderungen.

Sie haben dafür den Begriff des "Arbeitenden Kunden" entwickelt.

Gemeint ist, dass Unternehmen und Organisationen ihre Funktionen auf ihre Kunden auslagern, auf Bürger, auf Patienten. Die Vielfalt ist immens und nimmt massiv zu. Das heißt, wir übernehmen Dienstleistungsprozesse der Unternehmen, und die Unternehmen sparen damit Kosten. Mit dieser Konstellation können sie eine neue Form von Mehrwert erzeugen.

Lässt sich da gegensteuern?

Ich glaube nicht, dass man das aufhalten kann, wir sind sogar erst am Anfang einer Entwicklung. Und die Konsumenten, besonders die jüngeren, haben sich schon so darauf eingestellt, dass sie klaglos mitmachen. Wir können nur ein Bewusstsein schaffen und uns fragen, was wir als Konsumenten davon haben, dass Unternehmen mit unserer Arbeitsleistung Gewinne machen. Es müsste diskutiert werden, ob wir an diesen Entwicklungen zumindest in Form eines kleinen Gewinns teilhaben. Und wir sollten bei dem, was wir da tun, nicht auch noch Stress haben.

Irgendwann werden wir all die Extras nicht mehr erledigen können. Gibt es dann eine Wiederkehr der Dienstleister, vielleicht Web-basiert?

Wir beobachten tatsächlich eine Entwicklung Richtung Abstinenz. Menschen versuchen, ihre Computer und Smartphones auszuschalten, weil sie merken, dass sie ihnen über den Kopf wachsen, sie die ständige Erreichbarkeit zu sehr stresst. Und ja, es gibt Versuche, an Dritte zu delegieren, Start-ups etwa, die davon leben, uns Erledigungen im Alltag abzunehmen - zum Beispiel das Buchen einer Reise.

Dieses Interview mit Ihnen zu führen, war gar nicht so einfach, weil Sie ständig unterwegs waren. Sind Sie selbst ein Opfer zeitraubender Extras?

Ja, durchaus, und es ist kein Zufall, dass ich gerade ein Forschungsprojekt abschließe zum Thema Zeitdruck, im Auftrag einer Einrichtung, die sich bisher vor allem mit den Folgen konventioneller Gefährdungen am Arbeitsplatz beschäftigt hat, also Rückenschmerzen, Lärm oder schlechtem Licht. Der Zeitdruck in Verbindung mit neuartigem Leistungsdruck wird jetzt auch dort zu einem harten Thema. Als Professor habe ich das Privileg, mir meine Zeit relativ frei einteilen zu können, was aber nicht heißt, dass man mehr Zeit zur Verfügung hat, sondern, dass sich im Gegenteil die Zeit oft mehr verdichtet. Bei mir ist das so, dass ich eigentlich permanent erreichbar bin und Mühe habe, mich auch mal rauszuziehen. Meine Frau hat den Auftrag, mich immer wieder daran zu erinnern, den Computer auszuschalten. Was mir aber schwerfällt.

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