Kultusminister im Gespräch:"Es geht zu viel um Zeugnisse"

Die Kultusminister von Bayern, Hamburg und Sachsen-Anhalt streiten über längere Grundschulzeiten und die Hauptschule.

P. Fahrenholz und T. Schultz

Verkürztes Gymnasium, neue Lehrpläne, das Verschwinden der Hauptschule: Die Schulpolitik ist in allen Bundesländern in Bewegung, die Kultusminister sind dabei immer wieder mit Protesten unzufriedener Eltern und Schüler konfrontiert. Die politischen Lager sind beim Thema Bildung aber längst nicht mehr so starr wie früher. Die Süddeutsche Zeitung bat drei Kultusminister, über gemeinsame Ziele und unterschiedliche Wege zu diskutieren. Ludwig Spaenle (Bayern/CSU), Christa Goetsch (Hamburg/Grüne) und Jan-Hendrik Olbertz (Sachsen-Anhalt/parteilos) streiten über längere Grundschulzeiten, das Ende der Hauptschule und die Lehrerausbildung. Die Diskussion in Auszügen.

SZ: Studien zeigen, dass in Hauptschulen ein ungünstiges Lernmilieu entsteht, wenn dort lauter Schüler aus belasteten Familien zusammenkommen.

Christa Goetsch: Deshalb haben wir in Hamburg die Hauptschule abgeschafft.

Ludwig Spaenle: Ich bin für mehr Durchlässigkeit zwischen den Schulformen. In Bayern besucht noch immer ein Drittel die Hauptschule, künftig vielleicht ein Viertel. Die Hauptschule hat ein eigenes Profil mit ihrer engen Verbindung zur beruflichen Ausbildung. Hier sind Schüler aus allen sozialen Milieus zu finden.

SZ: Auf dem Land werden Sie viele Standorte nicht halten können.

Spaenle: Wir wollen das Angebot so lange wie möglich sichern. Wir lösen die Hauptschule nicht auf. Mit ihrer Weiterentwicklung zur Mittelschule bieten wir auch einen guten und breiter angelegten Weg zu mittleren Abschlüssen.

SZ: Wäre ein zweigliedriges System nicht einfacher: Gymnasium plus eine weitere Schulart, so wie es das etwa in Sachsen-Anhalt gibt? Das Modell kann verhindern, dass eine Schulart das Stigma der "Restschule" trägt.

Jan-Hendrik Olbertz: Unser Modell verhindert in der Tat, dass an einer Schule nur noch die Schwächsten aufeinandertreffen. Ich bin ja auch kein Fan des Hauptschulabschlusses, oft werden in der Arbeitswelt heute mehr Kompetenzen verlangt. Dennoch vergeben unsere Sekundarschulen außer der mittleren Reife weiterhin auch den Hauptschulabschluss. Der ist eben besser als gar kein Abschluss. Was mir wichtig ist: Wie kann der Unterricht spannend sein, welche Lehrpläne brauchen wir, welche Fähigkeiten die Lehrer?

SZ: Diese Themen hätten Sie doch längst anpacken können.

Olbertz: Machen wir ja. In Sachsen-Anhalt entwickeln wir neue Lehrpläne, reduziert auf bestimmte Kerne. Es bringt nichts, wenn Kinder von allem mal was gehört haben, am Ende aber nichts wirklich beherrschen.

Goetsch: Wir dürfen die Kinder nicht mit lauter Kanonwissen vollstopfen, sie sollten das Lernen lernen. Und auch die Lehrer sollten heute anders arbeiten. Das Einzelkämpferdasein muss ein Ende haben, in Hamburg fördern wir die Teamarbeit und verstärken die Fortbildungen.

SZ: Was guter Unterricht ist, darüber gibt es aber auch viele Meinungen.

Olbertz: Ich finde, man darf Althergebrachtes nicht leichtfertig verwerfen. Zum Beispiel den Frontalunterricht. Da kann ich nur sagen: Es gibt guten und schlechten. So wie es guten und schlechten offenen Unterricht gibt.

Goetsch: Ein Problem ist es aber, wenn es in manchen Schulen fast ausschließlich Frontalunterricht gibt und das selbständige Lernen zu kurz kommt.

Olbertz: Extreme muss man meiden. Mich stören diese vereinfachten Schemata. Zum Beispiel Ganztagsschulen: Ist man dafür oder dagegen? Das kann man doch so gar nicht beantworten. Ich bin auf jeden Fall für Ganztagsschulen, wenn sie gute Schulen sind. Schlechte Ganztagsschulen haben den Nachteil, dass sie den ganzen Tag schlecht sind.

SZ: Als Politiker können Sie ohnehin nicht alles steuern. Wenn das Schultor hinter dem Lehrer zuklappt, wissen Sie doch gar nicht, was geschieht.

Spaenle: Wir wollen ja auch gar nicht alles regeln. Als Kultusminister gehen wir alle den Weg, den Schulen mehr Eigenverantwortung zu geben, zum Beispiel Freiräume, um zusätzliches Personal selbst einzustellen. Das kann ein Sportler sein, ein Erzieher, ein Fachlehrer, was die Schule eben gerade braucht. Das wird natürlich auch Geld kosten. In Bayern wollen wir ein Paket für mehr Eigenverantwortung der Schulen schnüren. Derzeit nutzen viele Schulen allerdings nur einen Teil der Freiräume, die sie jetzt bereits haben. Wir wollen da eine neue Dynamik auslösen.

"Den Spirit der Schule wollen wir erhalten"

SZ: Wie weit gehen denn die Freiräume? Wenn eine Schule Haupt- und Realschüler gemeinsam unterrichten wollte, ginge Ihnen das doch zu weit - oder nicht?

Spaenle: Jede Schule hat, auch die Hauptschule, ein spezielles Profil, einen "Spirit", und den wollen wir erhalten.

SZ: Und dieser Spirit ist überall so toll, dass Sie ihn schützen müssen?

Spaenle: Woanders mag es anders sein - in Bayern sind die Hauptschulen leistungsstark, die Absolventen haben Chancen auf dem Ausbildungsmarkt.

Goetsch: Was wird in Berufen heute verlangt? In vielen Bereichen wird mindestens ein mittlerer Abschluss vorausgesetzt. In Hamburg sagen uns die Betriebe, dass Schüler mit einem Hauptschulabschluss häufig zu wenig können.

Spaenle: Die Absolventen der Hauptschulen haben ihre Stärken. Aber ich möchte natürlich mehr Schülern den mittleren Abschluss ermöglichen.

SZ: Deshalb kleben Sie jetzt an Hauptschulen das Etikett "Mittelschule" ...

Spaenle: Der Name ist Schlusspunkt einer pädagogischen Weiterentwicklung. Es geht um mehr individuelle Förderung und um mehr Kooperation mit den beruflichen Schulen.

SZ: Es gibt lauter neue Namen für verschiedene Schulformen. Viele Eltern blicken nicht mehr durch. Jedes Bundesland geht ja auch eigene Wege.

Goetsch: In Hamburg gab es ein siebengliedriges Schulsystem: Hauptschulen, Realschulen, integrierte Haupt- und Realschulen, kooperative und integrative Gesamtschulen, Förderschulen, Gymnasien und dann auch noch lauter Modellversuche. Ein Wahnsinn! Jetzt führen wir ein übersichtliches System ein mit Gymnasien und Stadtteilschulen. Das ist auch unstrittig. Die Proteste betreffen die sechsjährige Primarschule. Aber es ist einfach zu früh, die Schüler mit zehn Jahren zu sortieren.

SZ: Erst hat man dem Gymnasium die 13. Klasse gestrichen, jetzt nehmen Sie ihm auch noch zwei Jahre unten weg.

Goetsch: Das G8 wurde leider schlecht eingeführt, das war vor meiner Zeit. Da sind viele Kinder unter Druck geraten. Aber was die Dauer der Grundschule betrifft: In den Niederlanden oder der Schweiz ist das Gymnasium auch nicht kaputt gegangen, obwohl die Grundschule dort länger dauert. Übrigens: Auch das Gymnasium muss sich verändern. Die Schnellen und Starken müssen besser gefördert werden. Wir haben da viele Schüler, die sich langweilen.

SZ: Brauchen wir mehr Abiturienten?

Olbertz: Wenn man meint, dass jeder Sparkassen-Mitarbeiter in einer Dorffiliale ein promovierter Finanzwirt sein muss oder jeder Taxifahrer ein Diplom-Verkehrswirt: Dann brauchen wir viel mehr Abiturienten. Mal im Ernst: In Deutschland geht es zu viel um Zeugnisse und Abschlüsse. Man sollte mehr danach schauen, was die Menschen können. Ich kann ihnen keine Zielzahl für die Abiturienten sagen.

SZ: Die Länder gehen in der Schulpolitik immer nur sehr wenige Schritte gemeinsam. Warum gibt es nicht mehr bundesweite Absprachen?

Spaenle: Das ist der Lackmustest für die Leistungsfähigkeit des Föderalismus. Wir gehen durchaus gemeinsame Wege, seit sich die Länder auf bundesweite "Bildungsstandards" geeinigt haben. Sie beschreiben, was die Schüler eines bestimmten Abschlusses können müssen.

Goetsch: Weil es jetzt gemeinsame Standards gibt, halte ich ein bundesweites Zentralabitur für überflüssig.

Olbertz: Es geht um Gleichwertigkeit im Schulsystem, nicht um Gleichartigkeit. Vor einer Zentralisierung kann ich nur warnen. Ich kenne das noch aus der DDR: Macht die Zentrale einen Fehler, wird er überall und gründlich gemacht. Ich habe darauf keine Lust mehr. Allerdings: Auf die wilden Eingeborenentänze, die wir im Föderalismus aufführen, habe ich auch keine Lust. Als Kultusminister müssen wir uns noch stärker als eine Ländergemeinschaft profilieren, im Zusammenspiel mit dem Bund. An der Stelle sind wir bei der Föderalismusreform über das Ziel hinausgeschossen.

Das gesamte Interview finden Sie in der Süddeutschen Zeitung.

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