Kündigungsstreit:Maultaschen und andere Zumutungen

Wer in der Firma klaut, soll es wenigstens zugeben - oder dieser Vertrauensbruch muss unweigerlich zur Kündigung führen.

Jobst-Hubertus Bauer

Wieder eine Kündigung wegen einer "Bagatelle", und wieder hat ein Arbeitsgericht die Kündigung für rechtmäßig erklärt. Diesmal trifft es eine 58-jährige Altenpflegerin, die verbotenerweise sechs Maultaschen im Wert von rund drei Euro von der Verpflegung der Heimbewohner abgezweigt und eingesteckt hatte.

Die Gewerkschaft Verdi sprach in markigen Worten von einem "Schandurteil" und nannte die Kündigung "menschenverachtend". Offenbar ist dem Rechtsempfinden mancher nicht vermittelbar, dass es den Arbeitsplatz kosten kann, seinen Arbeitgeber zu bestehlen, auch wenn es nur um niedrige Beträge geht.

Dabei sind der Betrag oder die geringwertige Sache, die plakativ in der Schlagzeile stehen, nie die ganze Wahrheit. Zwar ist es etablierte Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, dass die rechtswidrige und vorsätzliche Verletzung des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers, auch wenn die Sachen nur geringen Wert besitzen, stets als wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung "an sich" geeignet sind.

Darüber hinaus ist aber eine Interessenabwägung vorzunehmen. Die außerordentliche Kündigung ist nur wirksam, wenn das Interesse des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, das Interesse des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiegt. Denn das Arbeitsverhältnis ist, wie der Jurist sagt, ein Dauerschuldverhältnis. Das Arbeitsrecht richtet den Blick daher nicht wie das Strafrecht allein auf die Vergangenheit, es betrachtet nicht nur die Schwere des Vergehens. Es verlangt auch, in die Zukunft zu sehen und zu prognostizieren, ob eine gedeihliche Zusammenarbeit noch möglich sein wird und zumutbar ist. Und das ist oft nicht der Fall, wenn ein Arbeitnehmer einmal ein Vergehen gegen seinen Arbeitgeber begeht.

So hat das Arbeitsgericht Radolfzell zugunsten der Altenpflegerin ihr Alter, die lange Betriebszugehörigkeit und die soziale Härte der Kündigung berücksichtigt. Zu ihren Lasten fiel aber ins Gewicht, dass sie mit der Entwendung der Maultaschen bewusst gegen ein schriftlich bekanntgemachtes Verbot verstoßen hatte und unglaubwürdige Ausreden vorbrachte. Für 3,35 Euro hätte sie Verpflegung erwerben können, die ausdrücklich für das Personal bestimmt war. Deswegen wogen für das Arbeitsgericht der Vertrauensverlust des Arbeitgebers und die vorbeugende Wirkung der Kündigung schwerer.

Noch augenscheinlicher ist das im Fall der Kassiererin "Emmely", den sich Verdi ebenfalls für "erträgliche und menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Branche Einzelhandel" auf die Fahnen geschrieben hat. Die Gerichte sind nach der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die Kassiererin zwei Pfandbons im Wert von insgesamt 1,30 Cent selbst eingelöst hatte, die im Einkaufsmarkt gefunden worden waren und die der Marktleiter ihr zur Aufbewahrung übergeben hatte. Als der Arbeitgeber den Sachverhalt aufzuklären versuchte, hat die Kassiererin ihn beharrlich geleugnet und sogar versucht, den Verdacht auf eine andere Kollegin zu lenken.

Das Vertrauen ist zerstört

Dass es einem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, eine Kassiererin, der er ja sein Geld anvertraut, danach weiter zu beschäftigen, liegt auf der Hand. Das Vertrauen in die Redlichkeit und Zuverlässigkeit der Mitarbeiterin ist zerstört. Die außerordentliche Kündigung war wirksam.

Die Interessenabwägung kann aber auch anders ausgehen. Das zeigt der Bäckereimitarbeiter, der Brotaufstrich im Wert von circa zehn Cent aus der Produktion auf seinem Brötchen verzehrt hatte. Der Schaden war sehr gering, der Mitarbeiter hatte selbst auf sein Fehlverhalten aufmerksam gemacht, und er war krank gewesen, als die einschlägige Arbeitsanweisung bekanntgegeben wurde. Hier meinte das Gericht, dass das Vertrauen wohl wieder hergestellt werden könnte. Die Kündigung war deshalb unwirksam.

Das Problem ist der Kündigungsschutz

Ob der Delinquent sein Fehlverhalten einräumt, ob der Arbeitgeber klare Verhaltensvorgaben gemacht hat - diese und andere Umstände machen also einen Unterschied. Die verschiedenen Fälle können nicht über einen Kamm geschoren werden, wie das frei von vertiefter Sachkenntnis gelegentlich geschieht. Es ist Aufgabe der Arbeitsgerichte, für den Einzelfall eine gerechte Lösung zu finden. Dieser Aufgabe ist die Justiz auch ohne die Hilfe - und derzeit trotz der teilweise massiven Angriffe - von Politikern und anderen Meinungsmachern sehr gut gewachsen.

Die Kündigung des "kleinen" Arbeitnehmers erscheint ungerecht

Warum wird das Thema gerade jetzt so aufgebauscht? Pfandbons, Frikadellen, Brotaufstrich und Maultaschen geistern durch Presse und Talkshows, obwohl die Vorgänge eigentlich arbeitsrechtlicher Alltag sind. Möglicherweise erscheint in der Wirtschaftskrise, während Managern Millionen-Abfindungen gezahlt werden, die Kündigung eines "kleinen" Arbeitnehmers wegen eines Bagatelldelikts besonders ungerecht.

Der Vergleich hinkt aber. Manager werden als nicht der richtige Mann für den Job angesehen, sind aber regelmäßig ordentlich nicht kündbar und haben keine Pflichtverletzung begangen. Wenn sie aber bei der Spesenabrechnung zum Beispiel Übernachtungskosten manipulieren, ist das selbstverständlich auch ein Grund für eine außerordentliche Kündigung.

Der Grund für die Kündigung wird serviert

Zuweilen wird der Eindruck erweckt, dass Arbeitgeber bei unliebsamen Mitarbeitern gezielt nach geringfügigen Vergehen suchen, um sie deswegen zu kündigen. In Ausnahmefällen mag es zutreffen, dass ein Arbeitgeber froh ist, wenn ein Arbeitnehmer ihm einen Grund für eine Kündigung serviert. Dass er die Gelegenheit dann wahrnimmt, kann man ihm aber nicht verdenken. Das eigentliche Problem ist, dass der Kündigungsschutz die Trennung von Mitarbeitern verhindert, die sich konsequent unkollegial verhalten und ihre Aufgaben schlecht oder gar nicht erfüllen.

Es kann und sollte nicht in Frage stehen, dass das Entwenden geringwertiger Sachen eine Kündigung grundsätzlich rechtfertigen kann. Immerhin handelt es sich dabei um eine Straftat. Es ist legitim, wenn ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, der eine Straftat gegen ihn begangen hat, nicht weiter beschäftigen will. Erst recht ist es keine Frage der Menschenwürde, seinen Arbeitgeber - auch nur geringfügig - bestehlen zu dürfen. Das Gericht brachte es bei "Emmely" auf den Punkt: "Die genannten Verhaltensnormen sind unabdingbar und gelten nicht etwa in gradueller Weise, je nach dem Wert des Gegenstandes." Dabei sollte es bleiben.

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