Kündigung wegen Cent-Beträgen:Vertrauensverlust als billiger Vorwand

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"Das ist Missbrauch": Herta Däubler-Gmelin, Ex-Bundesjustizministerin, hofft auf Anpassungen in der Rechtssprechung, um Bagatell-Kündigungen unmöglich zu machen.

Maria Holzmüller

Zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro sorgten 2009 für eine nationale Welle der Entrüstung. Die Kassiererin Emmely war fristlos entlassen worden, weil der Arbeitgeber sie verdächtigt hatte, eben diese Bons eingelöst zu haben - obwohl sie ihr nicht gehörten. Nachdem die Kündigung in erster Instanz für rechtens erklärt wurde, entscheidet am 10. Juni das Bundesarbeitsgericht neu über den Fall - und könnte damit Richtlinien für weitere Bagatellkündigungen setzen. Herta Däubler-Gmelin (SPD), ehemals Bundesjustizministerin, hofft auf Klarstellung in der Rechtsprechung, um derartige Kündigungen unmöglich zu machen.

"Die schematische Anwendung der jetzigen Rechtsprechung hilft Arbeitgebern, teurere, weniger leistungsstarke oder aufmüpfige Mitarbeiter unter einem Vorwand loszuwerden": Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin. (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Wie beurteilen Sie den Fall der gekündigten Kassiererin Emmely?

Herta Däubler-Gmelin: Er regt die Öffentlichkeit zu Recht auf, weil die unterschiedlichen Maßstäbe, die angelegt werden, unser Gerechtigkeitsgefühl verletzen: Banker, die Milliarden verzocken, bekommen Millionenabfindungen. Bei Emmely soll der bloße Verdacht auf die Veruntreuung einer Summe von 1,30 Euro ausreichen, um ihre Existenz zu vernichten. Angeblich rechtfertige der Vertrauensbruch eine fristlose Kündigung. Dabei weiß man inzwischen, dass es dem Unternehmen vor allem darum geht, eine langjährige Mitarbeiterin, die auf ihre gewerkschaftliche Rechte achtet, loszuwerden.

sueddeutsche.de: Emmely war nur eine Bagatellkündigung von vielen. Ist die Arbeitswelt rauer geworden?

Däubler-Gmelin: Ganz sicher. Ich finde es gemein, dass solche Maßnahmen besonders häufig Frauen treffen, die nicht gelernt haben, sich zu wehren oder die man wegen ihrer familiären Situation besonders leicht unter Druck setzen kann. Sie brauchen den Job, sie haben nicht sehr viel gelernt und sie sind nicht mobil.

sueddeutsche.de: Besteht Ihrer Meinung nach ein Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskrise und Bagatellkündigungen?

Däubler-Gmelin: Es gibt sicher Arbeitgeber, die in der Wirtschaftskrise den Druck auf Arbeitnehmer erhöhen. Auch die Mobbing - Fälle werden ja immer mehr. Das müssen die Gerichte und notfalls auch der Gesetzgeber zum Anlass für Änderungen nehmen.

sueddeutsche.de: Arbeitgeber berufen sich auf das verlorene Vertrauen. "Diebstahl ist Diebstahl", heißt es. Wo liegt die Grenze?

Däubler-Gmelin: Jeder vernünftige Mensch hat was gegen Diebstahl. Wichtig ist jedoch, dass gerade bei langjährigen Mitarbeitern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird: Ein Diebstahl muss nachgewiesen sein, und dann muss man prüfen, ob eine Abmahnung nicht richtiger wäre. Zumal bei Beamten oder Soldaten solche Bagatellfälle ganz anders entschieden werden. Die schematische Anwendung der jetzigen Rechtsprechung hilft Arbeitgebern, teurere, weniger leistungsstarke oder aufmüpfige Mitarbeiter unter einem Vorwand loszuwerden. Das ist Missbrauch.

sueddeutsche.de: Hat es der Gesetzgeber bisher versäumt, Grenzen für derartige Kündigungen festzulegen?

Däubler-Gmelin: Man könnte sicherlich die Verdachtskündigungen verbieten oder eine Mindestgrenze einziehen. Dafür liegen Gesetzentwürfe vor. Ich halte es aber für wichtiger, dass die Arbeitsgerichte genauer hinschauen und Missbrauch unmöglich machen.

sueddeutsche.de: Muss sich die Rechtsprechung ändern?

Däubler-Gmelin: Ja, Klarstellungen durch Landesarbeitsgerichte und Bundesarbeitsgericht sind wichtig. Ein Vertrauensbruch darf nur dann eine fristlose Kündigung rechtfertigen, wenn er wirklich durch Fakten gedeckt ist und nicht als Vorwand missbraucht wird.

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