Kündigung wegen Betriebsrat:Betonfirma Westerwelle

Die Beschäftigten eines Unternehmens in Herford wollen einen Betriebsrat gründen - und werden prompt gefeuert. Manch einer freut sich darüber.

Inga Rahmsdorf

Dies ist eine Geschichte vom rustikalen Teil des Arbeitsmarkts, eine Geschichte von großer Brutalität und kleinem Glück. Es geht um einen Chef, der nichts sagen will und viele Menschen, die um ihre Existenz kämpfen. Der Ort der Handlung ist eine Betonfirma im westfälischen Herford namens Westerwelle; mit dem FDP-Chef ist der Inhaber nicht verwandt und nicht verschwägert, um dies gleich zu klären.

Herford Westerwelle Gabriel

SPD-Chef Sigmar Gabriel spricht mit den Streikenden. Bei Kai-Uwe Westerwelle fand er kein Gehör.

(Foto: Foto: dpa)

Seit sechs Wochen geht Nadine Schildmann morgens nicht mehr durch das Werkstor, sondern bleibt davor stehen. Sie demonstriert hier, von Montag bis Freitag. 27 Jahre alt ist die Angestellte, und den April des Jahres 2010 wird sie wohl ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Gemeinsam mit mehreren Kollegen hatte sie zu Beginn jenes Monats einen Betriebsrat gründen wollen; sechs von ihnen stellten sich als Kandidaten zur Verfügung, darunter auch Nadine Schildmann.

Hausverbot für die Streikenden

Am nächsten Tag erhielten sie alle die Kündigung, fristlos und ohne Begründung. Seitdem ist der Betriebsfrieden dahin. 16 weitere der insgesamt 50 Angestellten erklärten sich solidarisch und traten in den Streik. Firmenchef Kai-Uwe Westerwelle reagierte, wie man es wohl befürchten musste: Ein Gespräch lehnte er ab, und den Streikenden erteilte er Hausverbot. Der Betrieb aber läuft weiter; dazu später mehr.

Politiker, Gewerkschafter und Kirchenleute sind in den vergangenen Wochen an das Werkstor gekommen. SPD-Chef Sigmar Gabriel und Hannelore Kraft, die Landesvorsitzende der Sozialdemokraten, reisten an. Die Landesregierung schickte den für solche Konflikte zuständigen Landesschlichter - doch Geschäftsführer Kai-Uwe Westerwelle wies sie alle ebenso ab, wie er auch eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung ignorierte. Nun will sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen um den Fall kümmern. Sie wolle prüfen, ob sie den Streikenden helfen könne, teilt das Ministerium am Freitag mit.

Er drehte am Eingang wieder um

Das ist der eine Teil der Geschichte, derjenige, in dem Menschen um ihren Job gebracht wurden, nur weil sie ihre Rechte einforderten. Es gibt aber auch Menschen, die profitieren von dem, was gerade in Herford passiert. Dazu gehören auch Walter Tegtmeier und Enrico Stein, die bei der Herforder Zeitarbeitsfirma Zeitwert Personal angestellt sind. Bei der hat Firmenchef Kai-Uwe Westerwelle im April angefragt, um Ersatz für seine vors Tor gesetzten Mitarbeiter zu bekommen.

Stein, 29, erinnert sich noch sehr genau, wie er vor sechs Wochen das erste Mal zu der Betonfirma fuhr. Er drehte am Eingang gleich wieder um. Es war ihm zu viel - die Menschen, die vor dem Tor standen und streikten und deren Arbeit er nun übernehmen sollte. Doch Stein hat drei Kinder, und seit er vor einem Jahr seine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker abgeschlossen hat, keine feste Arbeit gefunden. Stein entschied sich, den Job bei Westerwelle annehmen. Er sei froh, überhaupt arbeiten zu können. Manchmal werde er vom Streikleiter beschimpft, erzählt er. "Wir werden als Streikbrecher hingestellt."

Betonfirma Westerwelle

Unsolidarische Zeitarbeiter

Warum wollten sie in Herford überhaupt einen Betriebsrat, und was ist von Menschen wie Enrico Stein zu halten? Nach Angabe der IG Bau verdienen die Angestellten bei Westerwelle sechs bis elf Euro die Stunde. "Wir fordern eine schrittweise Angleichung an den in der Branche üblichen Tariflohn von 13 bis 14 Euro", sagt Bodo Matthey, der Streikleiter der Gewerkschaft, "und, dass die entlassenen Mitarbeiter wieder eingestellt werden." Matthey bezeichnet die Leiharbeitsfirma und deren Mitarbeiter als unsolidarisch. "Damit wird das Streikrecht unterlaufen." Er fordert die Firma Zeitwert auf, ihre Angestellten zurückzuziehen - indem die Leiharbeiter den Betrieb am Laufen halten, ist der Druck auf Westerwelle nicht so groß, dass er zu Gesprächen bereit ist.

Steins Kollege, der Leiharbeiter Walter Tegtmeier hat früher bereits bei einer anderen Betonfirma gearbeitet - bis er bei einem Unfall sein Bein verlor. Er bekam eine Prothese, aber mit der war Tegtmeier seinem Chef nicht mehr schnell genug. Er verlor seine Stelle. Als die Zeitarbeitsfirma vor sechs Wochen anrief und sagte, sie habe Arbeit für ihn, freute er sich. "Versuchen Sie mal, Arbeit zu finden, wenn Sie 50 Jahre alt und behindert sind", sagt er. "Ich hatte keine andere Chance."

"Die kennen mich sogar mit Namen"

Bei Westerwelle werde er gut behandelt, und die Arbeitsbedingungen in seiner vorherigen Firma seien viel schlimmer gewesen. Auch sein Kollege Stein sagt, bei Westerwelle werde er geschätzt: "Die kennen mich sogar mit Namen, das habe ich noch nicht oft erlebt." Für die Lohnforderungen der Streikenden hat er kein Verständnis; in Zeiten der Krise hat jeder Betroffene seine eigene Sicht, und Stein sagt, bei der derzeitigen Lage und der hohen Zahl an Arbeitslosen solle jeder froh sein, der überhaupt Arbeit hat.

Die Angestellten bei Westerwelle und die Leiharbeiter - sie alle kämpfen darum, nicht in Arbeitslosigkeit und HartzIV abzurutschen, und in diesem Kampf um die eigene Existenz sind sie unfreiwillig zu Konkurrenten geworden. Holger Kasfeld, Sozialpfarrer des evangelischen Kirchenkreis Herford, regt sich darüber auf, wie hier Menschen, die in der Hierarchie des Arbeitsmarkts ganz unten stehen, gegeneinander ausgespielt werden. "Eine Schweinerei", sagt der Pfarrer. Kasfeld hat schon oft bei Streiks vermittelt; meistens wird die Kirche als unabhängiger und überparteilicher Vermittlungspartner anerkannt. Doch bei Westerwelle ist er auf Beton gestoßen. Dass ein Firmenchef ihm, dem Pfarrer, das Gespräch verweigert - Kasfeld sagt: "Das habe ich noch nie erlebt."

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