Kreationismus im Schulunterricht:Pädagogischer Sündenfall

Die Erde ist 10.000 Jahre alt, Gott schuf sie in sechs Tagen und Eva stammt aus der Rippe Adams: Kreationismus hält Einzug im Biologieunterricht an staatlich anerkannten deutschen Schulen.

Julia Bönisch

"Im Gegensatz zu einer verbreiteten Auffassung stammt der Affe vom Menschen ab, was an seiner fortschrittlichen Haltung unschwer zu beweisen ist", schrieb einst Heinz Erhardt, der in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden wäre. "Der Affe ist schon vor geraumer Zeit wegen der Umweltverschmutzung und ihrer Folgen auf die Bäume geflüchtet. Von den Baumwipfeln herab hat er eine prächtige Fernsicht. (...) Es ist nur zu wünschen, dass der Fortschritt vom Menschen zum Affen auch weiterhin so stetig bleibt."

Kreationismus im Schulunterricht: Biblische Darstellung der Schöpfungsgeschichte: In Deutschland bekennen sich 1,3 Millionen Menschen zum Kreationismus.

Biblische Darstellung der Schöpfungsgeschichte: In Deutschland bekennen sich 1,3 Millionen Menschen zum Kreationismus.

(Foto: Foto: ddp)

So spottete der Entertainer schon vor gut 50 Jahren über all jene, die nicht von der Evolutionstheorie überzeugt sind. Mit seiner Satire konnte Erhardt den Vormarsch der Zweifler freilich nicht stoppen. Kreationisten, die verkürzt gesagt annehmen, die Erde sei allenfalls 10.000 Jahre alt und von Gott in sechs Tagen erschaffen worden, sind längst kein amerikanisches Phänomen mehr.

1,3 Millionen Kreationisten in Deutschland

In den USA verkündeten im letzten Präsidentschaftswahlkampf gleich drei republikanische Bewerber, sie bezweifelten die Evolution. 68 Prozent ihrer Anhänger bezeichnen sich als Kreationisten, unter Demokraten und unabhängigen Wählern liegt der Wert immerhin bei 40 Prozent. Für diese Klientel eröffnete der fundamental-christliche Verein "Answers in Genesis" (AiG) im April 2007 in Kentucky das weltweit erste Kreationismus-Museum, das er sich 27 Millionen Dollar kosten ließ. Die Geschichte der Menschheit wird dort so dargestellt: Das Leben begann im Garten Eden, Gott erschuf Eva aus einer Rippe Adams und vor dem Sündenfall lebten die Menschen in Eintracht mit den Dinosauriern.

In Deutschland ist solch ein Museum bislang undenkbar. Doch kreationistische Ideen finden auch hier immer mehr Anhänger. Glaubt man Ulrich Kutschera, Professor für Evolutionsbiologie an den Universitäten Kassel und Stanford, bekennen sich in Deutschland 1,3 Millionen Menschen dazu.

Sie haben ein Problem mit der Erkenntnis, dass der Mensch, die Krone der Schöpfung, vom Affen abstammt. Das kann doch nicht sein, da müsse es doch irgendwo einen Schöpfer geben, aus dessen Feder der Plan des menschlichen Lebens stammt, der uns begleitet und beseelt.

Religionsfreiheit und das fliegende Spaghettimonster

Da Religion hierzulande weitgehend als Privatsache gilt und die Menschen frei sind, sogar an ein fliegendes Spaghettimonster zu glauben, können Kreationisten ungestört an Darwin zweifeln. Problematisch ist jedoch der Einfluss der Kreationisten auf das öffentliche Bildungssystem. In den vergangenen zwei Jahren sind mehrere kreationistische Publikationen kostenlos an viele deutsche Schulen verschickt worden, darunter der Band "Vor uns die Sintflut" des ehemaligen Biologielehrers Joachim Scheven. Das Buch enthält eine Art biblische Geologie mit einer Zeittafel, auf der die Entstehung der Erde auf 3000 Jahre zusammengeschrumpft ist.

Grund genug, die Gegner der Kreationisten in Alarmstimmung zu versetzen. Sie trafen sich am vergangenen Wochenende an der Universität Dortmund zur ersten europaweiten Tagung, die sich mit Wissen und Einstellungen zur Evolution beschäftigt. Dort sprach auch Dittmar Graf, Professor für Biologiedidaktik, der in einer Studie die Einstellung angehender Lehrer gegenüber der Evolution untersuchte.

Auf der nächsten Seite: die überraschenden Ergebnisse der Studie - und wie Kreationisten versuchen, Einfluss auf den Biologieunterricht zu nehmen.

Pädagogischer Sündenfall

Steigender Einfluss im Klassenzimmer

Seine Ergebnisse sind überraschend: Lehramtsstudenten, die einen Biologie-Leistungskurs in der Oberstufe besucht hatten, lehnten zu fast acht Prozent die Evolution ab. Von denjenigen, die einen Grundkurs absolviert hatten, waren es 17 Prozent, von denjenigen ohne Biologieunterricht sogar über 20 Prozent.

Die 1228 befragten Lehramtsstudenten waren allesamt Studienanfänger. "Wir hoffen natürlich, dass sich ihre Einstellung zur Evolution im Laufe des Studiums ändert", sagt Dittmar Graf. "Doch überprüfen können wir das nicht. Was sich später im Klassenzimmer hinter der verschlossenen Tür abspielt, davon haben wir leider keine Ahnung."

Mythische Schöpfungsgeschichte als echte Alternative

Graf vermutet, dass der Einfluss der Kreationisten auf deutsche Schüler steigt. "Die Anhänger präsentieren sich im Unterricht vordergründig ganz liberal und offen", erklärt er. Sie fordern, kreationistische Ideen im Biologieunterricht gleichberechtigt neben der Evolutionstheorie zu behandeln - um den Schülern angeblich die Bandbreite der Erklärungsmöglichkeiten vor Augen zu führen. Das Problem dabei: Die uralte mythische Schöpfungsgeschichte wird den Schülern als echte Alternative zu den Erkenntnissen der Naturwissenschaft präsentiert, die sich ständig weiterentwickeln.

Mittlerweile gibt es in Deutschland tatsächlich Schulen und Lehrer, die sich relativ offen dazu bekennen, Kreationismus zu lehren. Dazu gehören die etwa 100 Einrichtungen, die im Verband evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS) organisiert sind. Fast alle der Schulen sind staatlich anerkannt und erhalten damit finanzielle Unterstützung vom jeweiligen Bundesland, das etwa die Kosten für das Lehrpersonal übernimmt.

Lehrer werden auf Glaubensfestigkeit geprüft

Die evangelischen Bekenntnisschulen sind auch bei nichtreligiösen Familien aus der Mittelschicht äußert beliebt - stehen sie doch in dem Ruf, keine Disziplinprobleme zu haben, gewalt- und drogenfrei zu sein. Die Lehrerschaft dagegen wird von den Privatschulen auf Glaubensfestigkeit geprüft. "Unsere Lehrer besitzen eine persönliche, christliche Identität", bestätigt Berthold Meier, Generalsekretär des VEBS und selbst Lehrer an einer der Schulen des Verbandes. "Sie sollen sich als Nachfolger Christi sehen und seine Liebe an die Kinder weitergeben."

Auf der Homepage des VEBS wird das Schulprogramm umrissen: Die Unterrichtsinhalte "orientieren sich ganzheitlich am Deutungsrahmen der Bibel", die Schule sei konzeptionell an die Heilige Schrift gebunden. Bittet man Meier, die Sätze mit Inhalt zu füllen, beschreibt er zunächst das besondere Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern. "Wir bemühen uns, Liebe und Linie - also Zuwendung und Ernstnehmen auf der einen Seite und Verbindlichkeit und Konsequenz auf der anderen - in Übereinstimmung zu bringen. An den christlichen Schulen ist der Schüler keine Nummer. Es gibt keine Herabwürdigungen oder Demütigungen, keine Polemik."

Auf der nächsten Seite: "Die Entwicklung, so wie die Menschen sie beobachten können, wird von der Bibel gestützt." - Warum Berthold Meier im Biologieunterricht Spielraum für die Schöpfungsgeschichte sieht.

Pädagogischer Sündenfall

Was sagt Gott zum menschlichen Zusammenleben?

Hieße das, all das gibt es an staatlichen Schulen? "An vielen staatlichen Schulen wird unter den gegebenen Bedingungen eine sehr gute Arbeit geleistet. Gleichzeitig machen wir die Erfahrung, dass viele Anmeldungen an christlichen Schulen aufgrund des guten Schul- und Unterrichtsklimas erfolgen. Das ist die Rückmeldung der Eltern."

Will man mit Meier die Unterrichtsinhalte diskutieren, verweist er zunächst auf die staatlichen Vorgaben, gibt aber im Laufe des Gesprächs offen zu, dass an den Schulen des VEBS Kreationismus gelehrt werde. Das will er später allerdings so deutlich nicht mehr stehen lassen. Denn den Richtlinien zufolge müssen sich auch Privatschulen an den Bildungsplänen der öffentlichen Schulen orientieren. Daneben bleibe aber immer Spielraum für Zusätzliches, so Meier. "Wir thematisieren etwa im Sozialkundeunterricht, was die Bibel zum menschlichen Zusammenleben sagt. Die Genesis behandeln wir im Fach Religion. Im Biologieunterricht kann der vorhandene Spielraum zur fachlichen Auseinandersetzung mit dem Schöpfungsmodell genutzt werden."

Person und Geist

"Die Schüler sollen sich mit den unterschiedlichen Ansätzen auseinandersetzen", erklärt Meier. "Dazu gehört auch das, was die Evolutionstheorie nicht erklären kann: die Entstehung des Lebens aus Materie, genauso wie die Entstehung von Person und Geist und die Entstehung der Grundtypen. Die Entwicklung im Bereich der Mikroevolution, so wie die Menschen sie beobachten können, ist für uns unstrittig und widerspricht auch nicht der Bibel. Gleichzeitig müssen die Schüler aber auch wissen, was das Schöpfungsmodell nicht erklären kann."

Die Evolutionstheorie bezeichnet Meier als nur eine von vielen Theorien, die nicht bewiesen sei. Dennoch möchte er die VEBS-Schulen in der Öffentlichkeit nicht nur auf diesen Aspekt reduziert sehen. Dass es in der Vergangenheit schon Ärger mit empörten Eltern gab, wie etwa in Gießen, kann er nicht nachvollziehen. Im Vorfeld jeder Anmeldung würden die Familien der Schüler umfassend über den VEBS, seine Ziele und die Unterrichtsinhalte informiert.

Wissenschaftlicher Kronzeuge der Kreationisten

Davon ist Dittmar Graf, der Dortmunder Biologiedidaktiker, nicht überzeugt. Er macht darauf aufmerksam, dass nicht nur Bekenntnisschulen solch wissenschaftlichen Unsinn verbreiten, sondern auch Schüler staatlicher Schulen kreationistische Ideen zu hören bekommen können. So werden etwa im Biologiebuch "Vita Nova", das in der Oberstufe staatlicher Schulen zum Einsatz kommt, die umstrittenen Ideen des amerikanischen Biochemikers Christian Schwabe vorgestellt. Schwabe firmiert häufig als wissenschaftlicher Kronzeuge der Kreationisten. "Entsprechend seiner Vorstellung könnten die genetischen Programme für jedes Lebewesen so alt wie das Leben selbst sein", heißt es im Lehrbuch. Und weiter: "Diese Theorie Schwabes ist noch lange keine allgemein anerkannte Lehrmeinung, sie bietet aber Möglichkeiten, die (...) aufgeworfenen Fragen elegant zu lösen."

Dabei sollte elegante Problemlösung nicht im Zentrum der Wissenschaft stehen - sondern vielmehr gut begründete.

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