Krankenstand:Depressives Bayern

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Stress und Angst vor Arbeitslosigkeit haben zu einer starken Zunahme psychischer Erkrankungen geführt.

Von Dietrich Mittler

Immer mehr Arbeitnehmer in Bayern leiden unter psychischen Erkrankungen. Die Deutsche Angestellten Krankenkasse in Bayern (DAK) kommt nach der Auswertung von mehr als 400 000 Versicherten-Daten zu dem Ergebnis: "Die Zahl der Krankmeldungen, die auf psychischen Störungen beruhen, ist seit 1997 um 55 Prozent gestiegen." Wie die DAK-Studie weiter ergab, stieg die Zahl der Betroffenen um 46 Prozent. Häufiger als im Bundesdurchschnitt diagnostizierten Ärzte in Bayern bei ihren Patienten eine Depression.

Experten erwarten, dass psychische Erkrankungen weiter zunehmen werden. (Foto: Foto: photodisc)

"Der starke Anstieg der Ausfalltage aufgrund psychischer Erkrankungen in Bayern - immerhin um 63 Prozent seit 1997 - ist um so bemerkenswerter, als das Krankenstand-Niveau insgesamt in den letzten Jahren zurückgegangen ist", meint auch DAK-Landesgeschäftsführer Winfried Geisenberger. "Das ist eine sehr große Herausforderung für uns", sagte er.

Schätzungen gehen davon aus, dass psychische Erkrankungen bis zum Jahr 2020 die zweithäufigste Ursache für Arbeitsausfälle und verminderte Arbeitsfähigkeit sein werden.

Besonders stark betroffen sind derzeit Branchen wie das Gesundheitswesen, die öffentliche Verwaltung sowie Organisationen und Verbände. "Das mag aber auch daran liegen, dass in diesen Bereichen die Mitarbeiter nicht gleich gefeuert werden, falls sie öfter krank werden", sagt Judith Berger vom Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) in Berlin, das die DAK-Studie erstellt hat.

So einig sich die von IGES befragten Experten darin sind, dass die Zahl der durch psychische Störungen bedingten Arbeitsausfälle zunimmt, so unterschiedlich bewerten sie die Ursachen. Ein Teil der Befragten führt die steigende Zahl psychischer Erkrankungen auf eine Zunahme der Arbeitsbelastung zurück. An erster Stelle nennen sie Stress und Konkurrenzdruck. "Aus meiner Sicht sind die Angst um den Arbeitsplatz, die massiv zunehmende Arbeitsbelastung, der Verlust der Mitarbeiter-Solidarität sowie die Angst, unter steigendem Leistungsdruck zu versagen oder krank zu werden, die wichtigsten arbeitsbedingten Faktoren für die Genese psychischer Erkrankungen", sagt zum Beispiel Professor Iver Hand vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Seine These deckt sich mit der vieler anderer Experten. Die Arbeitsumwelt berge immer mehr Unsicherheiten und zugleich weniger Zukunftsperspektiven - insbesondere für ältere Arbeitnehmer. Dadurch wachse die Angst, unter dem steigenden Leistungsdruck zu versagen.

Hands Münchner Kollege Ulrich Hegerl von der Ludwig-Maximilians-Universität, hält indes dagegen: "Die Frage, ob die zunehmende Beschleunigung und Verdichtung der Arbeit in verschiedenen Arbeitsbereichen zu einer Zunahme der genannten Diagnosen führt, ist nicht leicht zu beantworten. Nach meiner Einschätzung besteht bisweilen die Neigung, derartige Faktoren zu überschätzen." Hegerl sieht sich durch Studien aus den neuen Bundesländern bestätigt: Trotz erhöhter Arbeitslosigkeit sei dort die Selbstmord-Rate gesunken.

Wenn in Bayern mittlerweile mehr Menschen aufgrund von psychischen Störungen krankgeschrieben würden, so meinten einige der für die Studie interviewten Experten, dann liege dies unter Umständen auch daran, dass die Allgemein- und Hausärzte psychische Erkrankungen dank "verbesserter diagnostischer Kompetenzen" eher erkennen als früher. Umgekehrt seien auch mehr Patienten bereit, "die Diagnose für sich zu akzeptieren". Auf den ersten Blick zeigt sich laut DAK-Studie die Bevölkerung als "tolerant" gegenüber psychisch erkrankten Mitbürgern. Die betrieblichen Realität ist indes wenig ermutigend: "26 Prozent der Befragten waren voll oder eher der Ansicht, dass psychische Erkrankungen oft als Vorwand für Blaumacherei missbraucht werden." Sogar 30 Prozent der Arbeitnehmer befürchten, dass ihr Vorgesetzter nur wenig Verständnis dafür hat, wenn ein Mitarbeiter wegen psychischer Probleme nicht am Arbeitsplatz erscheint.

Die DAK ist sich unterdessen sehr wohl bewusst, das ihre Studie womöglich nur die Spitze des Eisbergs zeigt: "Die Zahl der insgesamt von psychischen Erkrankungen Betroffenen liegt deutlich höher, da in den Analysen nur diejenigen Erkrankungen erfasst werden, die zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt haben."

© SZ vom 29.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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