Kolumne "Was ich am Job hasse":Wir sind nicht zum Sitzen gemacht

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Ein gerader Rücken kann entzücken - leider laden Bürostühle zum Flätzen ein.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Wer im Büro arbeitet, bräuchte den Großteil seines Lebens die Beine eigentlich gar nicht. Zum Glück reißen Konferenzen hin und wieder vom Hocker.

Kolumne von Katja Schnitzler

Im Job fehlt mir einfach das Stehvermögen. Ich kann nichts dafür, schuld ist das Computerzeitalter. Und meine Berufswahl.

Als Kellner, Bauarbeiter oder Eisbärenforscher wäre ich sicher froh um jede Minute, die ich im Sitzen verbringen dürfte. Doch zum Kellner fehlen mir Geschick im Umgang mit mehr als einem Teller sowie das nötige Gedächtnis ("Waren Sie der Tisch mit den drei Bier, zwei großen Schorlen und einer kleinen Limo? Oder der mit drei großen Schorlen, zwei kleinen Bieren und einem Kaffee? Ach, Sie wollten Sekt ..."); allein beim Anblick einer Baustelle verlässt mich die Kraft und bei den Eisbären ist es mir trotz Klimawandels noch zu kalt. Hat der Nordpol eine angenehme Arbeitsplatzwärme, ist das Objekt meiner Studien längst untergegangen. Also doch Schreiben.

Ein Glück, der Bürostuhl hat Rollen

Der Nachteil: Ich schreibe, also sitze ich. Und nur in den Anfangsminuten ist meine Haltung aufrecht und rückenschonend. (Wahrscheinlich sind es nur Sekunden, aber da mache ich mir gerne etwas vor.) Dann lassen sich die Schultern hängen, die Bauchmuskeln machen auch gleich mit. Mein Kinn nähert sich Tischkantenniveau, was sich ungut auf den Nacken auswirkt, der den Kopf verkrampft aushalten muss. Dafür ist mein Hals überdehnt. Sonst sehe ich nicht mehr, was ich schreibe.

Früher mahnten Eltern und Lehrer: "Du sitzt da wie ein Fragezeichen!" Also strecke ich die Beine lang aus - wenigstens ein halbes Ausrufezeichen. Oder - auch nicht schlecht - eine Klammer. Nur der untere Rücken muss nach ein paar Stunden wieder meckern.

Zum Glück ist Zeit für die Nachmittagskonferenz - am Arbeitsplatz soll man sich ja regelmäßig bewegen. Ich lasse mich seitlich aus dem Stuhl fallen und warte, bis das Blut stichelnd in die Füße zurückgekehrt ist. Da haben die drückende Sitzkante und die übereinander geschlagenen Beine wieder bestens zusammengearbeitet.

Ich bin spät dran, Kollege C. zieht sich schon an der Türklinke hoch und tastet sich an der Flurwand zum Aufzug vor. Seit er mit dem Auto statt mit dem Rad kommt, hat er deutlich abgebaut. Kollegin B. überholt ihn mit einem unverhohlen hämischen Grinsen. Sie rollt seit Neuestem mit ihrem Bürostuhl bis zur Aufzugtür.

Die so gesparte Geh-Energie macht sie übermütig. Die enge Kurve zum Aufzug nimmt sie zu schwungvoll, der Stuhl kippt zur einen Seite, B. wirft sich auf die andere, schwankt, schreit, Kollege C. rutscht vor Schreck an der Flurwand ab, ich krieche die fehlenden Zentimeter bis zur Tür, um nichts zu verpassen ...

Kollege S. reißt seine Tür auf, ist mit einem Satz bei Kollegin B. und fängt sie kurz vor dem Boden auf. "Alles in Ordnung?", fragt er. "Es geht schon", knurrt B. und lässt sich - ihren Worten zum Trotz - zurück auf den Stuhl fallen, den S. behende aufgerichtet hat.

Seit S. einen verstellbaren Stehschreibtisch hat, nervt er alle mit seiner penetranten Beweglichkeit. Er nimmt sogar die Treppe. Wahrscheinlich fährt er im Urlaub an den Nordpol. Eisbären beobachten.

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