Kolumne "Was ich am Job hasse":Wie ich mein Passwort vergaß und zum Büro-Phantom wurde

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Die Kollegin wählt Schimpfwörter als Passwort - als eine Art mentales Entgiften.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Die Arbeitswelt ist mit Dutzenden Passwörtern vor Eindringlingen geschützt - leider sperren sich auch vergessliche Mitarbeiter aus.

Kolumne von Katja Schnitzler

Es ist 8:23 Uhr, als ich aufhöre, für meine Firma zu existieren. Wegen meines neuen Passwortes.

Schon für Normalgedächtnisbegabte ist es eine Herausforderung, sich zusätzlich zu den privaten PINs und Zugangscodes auch noch die 14 bis 65 Passwörter zu merken, die sie im Büro benötigen. Weil auch digitale Piraten die Herausforderung lieben, dürfen diese Passwörter nicht aus einem einzigen Begriff oder gar aus dem eigenen Vor- und Nachnamen bestehen. Auch das eigene Geburtsdatum oder das des Kindes ist verpönt: viel zu einfach! Nicht einmal 123456 wird geduldet. Alles, was leicht zu merken wäre, scheidet aus.

Stattdessen: Sonderzeichen! Groß- und Kleinschreibung! Zahlen, möglichst vorne, hinten und in der Mitte! Da braucht man nicht nur eine Eselsbrücke, sondern ein ganzes, brückenreiches Esels-Amsterdam, um die Passwörter zu memorieren. War der Zugang zur Mail nun "?Xy!zb&sz"? Oder doch "!zb?xy&Sz"?

Kollegin A. hat mir mal verraten, dass sie für ihre psychische Hygiene und Ausgeglichenheit dazu übergegangen sei, nur noch Beschimpfungen als Passwörter zu verwenden: Sie meldet sich morgens vergnügt mit "Verflixter!Dreckskasten!Hoch3" an.

Fünfhundertdreiundneunzig Fehlversuche später rufe ich die Hotline an

Während ich mal wieder nach dem richtigen Dreh bei den Sonderzeichen suche, wird mir auch nach Schimpfen zumute. Ich beschließe, mein Zugangspasswort zu ändern: mein Sesam-öffne-dich für den PC. Ich wähle eine besonders prägnante Tirade, damit ich sie nicht vergesse. Ich gehöre zu den unterdurchschnittlich Gedächtnisbegabten. Aber wer könnte ein schönes Konstrukt wie "Vermaledeiter!Flimmer123kasten!" je vergessen? Ich. Nach fünf Minuten.

Diese schlechte Erfahrung mit mir habe ich leider schon öfter gemacht. Wichtige Dokumente etwa, die ich immer wieder, aber nicht regelmäßig benötige, räume ich an einen Platz, von dem ich überzeugt bin: Wenn ich meinen Impfpass brauche, schaue ich garantiert als Erstes hier nach. Suche ich meinen Impfpass dann Jahre später, erinnere ich mich leider nur noch an Teil eins des Gedankens: Er liegt an einem Ort, an dem ich garantiert zuerst nachsehen würde. Welcher das gewesen sein soll, ist mir leider entfallen.

Ähnlich ist es mit Passwörtern. Ich komme nicht mehr ins System, dafür aber ins Schwitzen. Es war doch "Flimmerkasten!123Verflixter!" ... oder doch "Verfluchtes!Netzwerk321!"? Nach einer Viertelstunde und fünfhundertdreiundneunzig Fehlversuchen gebe ich auf und rufe die Hotline an.

Der Mitarbeiter ist gut geschult und kommentiert mein Scheitern nicht, nur die Pause nach meiner Erklärung ist einen Tick zu lang. Muss er sich seinen Teil so laut denken?

Natürlich könne er mein Passwort zurücksetzen, sagt er, ich müsse ihm dafür nur mein Geburtsdatum verraten. "Nichts leichter als das", sage ich beschwingt, denn dieses gehört zu den wenigen Zahlenkombinationen, die ich nicht vergesse. Dachte ich.

"Nein, das ist nicht Ihr Geburtsdatum", sagt der Technik-Hotliner. Mir wird heiß: "Aber ich habe nur einen Geburtstag!", rufe ich. Eigentlich, so erfahre ich, bin ich Anfang Januar 1800 geboren. Das ist noch jenseits von uncharmant.

Nun soll ich meine Personalnummer nennen, doch ohne Zugang zum Computer weiß ich die natürlich nicht. Wie soll eine über 200-Jährige sich diese merken können?

Der Hotliner bewahrt die Nerven und fragt nach den Namen der Vorgesetzten. Endlich mal keine Ziffern, doch: "Nein, für diese Leute arbeiten Sie nicht." Ich schweige fassungslos, sodass ich hören kann, wie der Techniker eifrig tippt. Wahrscheinlich einen Warnhinweis hinter meinen Namen: "Analoger Hacker: Stellt sich dumm und versucht so, ins System einzudringen! Äußerste Vorsicht!"

Bevor der Sicherheitsdienst eintrifft, fliehe ich von meinem Platz. Aus dem Telefonhörer dringt noch die Stimme des Technikers: "Die Sekretärin soll bestätigen, dass Sie hier wirklich arbeiten ..." Die Sekretärin ist im Langzeiturlaub.

Nun drücke ich mich schon seit zwei Wochen in stille Ecken, verberge mich hinter Mauervorsprüngen, ein Phantom des Büroflurs. Sobald ein Kollege zum Drucker oder woandershin muss, hechte ich an seinen Rechner und schreibe ein paar Zeilen. Die Arbeit muss doch gemacht werden! Welchen Beweis hätte ich sonst noch, dass es mich gibt und ich hier wirklich ganz legal ...

Oh, ich muss Schluss machen - Mittagspause ist vorbei, die Kollegen kommen zu...

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