Kolumne "Was ich am Job hasse":Habt ihr keine Tischmanieren?

Kolumne "Was ich am Job hasse": Im Vergleich zu den Kollegen isst das Krümelmonster manierlich.

Im Vergleich zu den Kollegen isst das Krümelmonster manierlich.

(Foto: Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Es wird geschmatzt, geschlungen, gestochert: Beim Mittagessen mit Kollegen lassen sonst gut erzogene Exemplare den Höhlenmenschen raus.

Kolumne von Katja Schnitzler

Es sollte eigentlich der soziale Höhepunkt des Bürotags sein: das Mittagessen. Man unterhält sich gegenseitig mit dem neuesten Beziehungs-, Freizeit- oder Fußball-Wahnsinn. Es könnte so schön sein. Wenn nicht die Kollegen ganz andere Tischmanieren hätten als ich. Oder gar keine.

Ich bin heute mit Kollege T. verabredet, ein wirklich netter Kerl. Weshalb unser letztes gemeinsames Mahl mindestens ein Jahr zurückliegt, ist mir entfallen - der Unterzucker verlangsamt mich schon seit einer Stunde. Endlich Essen!

Neben unserem Fensterplatz lässt sich am selben Tisch das Team der Nachbarabteilung nieder, wort- und grußlos. Ich überlege, ob wir seit neuestem verfeindet sind? Aber wahrscheinlich hat hier auch der Unterzucker die Grundlagen des höflichen Miteinanders bröckeln lassen.

Kollege B., der klassische Schaufel-Typ

Die allseits beliebte Kollegin C. hat schon das gruppeninterne Tischgespräch eröffnet, sie ist eine Meisterin des Smalltalks. Während sie die Runde unterhält, kann diese in Ruhe essen - muss dafür aber in Kauf nehmen, eine halbe Stunde länger als gedacht vor bereits leeren Tellern auszuharren, während C. Stückchen für Stückchen von ihrer Pizza säbelt, diese noch dreimal gestenreich kreisen lässt und dann gefühlt hundertmal kleinkaut. Man habe nichts dagegen, dass sie die Pizza in die Hand nehme, werden die kaffeedurstigen Kollegen später ungeduldig einwerfen. Kollegin C. wird dennoch weitersäbeln und langsam knuspern.

Da ist Kollege B. schon lange fertig. Er gehört zum klassischen Schaufel-Typ: Erst lässt er sich die normale Portion und dann zweimal Nachschlag auf den Teller häufen, die er möglichst schnell in sich hineinschiebt. Dafür hat er eine ausgefeilte Technik: Er spießt auf seine Gabel als Rutschstopp ein möglichst großes Stück Fleisch, dahinter schichtet er zweierlei Beilagen. Sein Ziel ist es, die Hälfte des Mahls auf den ersten Bissen zu vertilgen.

Vielleicht kann B. schlangengleich seinen Kiefer ausrenken? Anders kann ich mir nicht erklären, wie dieser Essensberg in seinen Mund passen soll. Doch er verschwindet darin, nur ein wenig Soße läuft links und rechts hinab. Kollege B. kaut schnaufend und mit aufgerissenen Augen - wirklich zu blöd, dass auch er während des Essens atmen muss.

An seiner Seite fällt Kollegin A. über die Hähnchenkeule her: Im Gegensatz zur Kollegin C. ist sie glücklich, wenn sie mit der Hand essen kann, richtig zupacken. Leise knurrend fetzt sie das Fleisch vom Hähnchenbein, sie zerrt und reißt. Das Krümelmonster isst manierlich dagegen. Ein paar Fleischfasern landen auf dem Teller von Kollege D., der seine Platzwahl verwünscht.

"Soll denn das arme Schwein umsonst gestorben sein?"

Kollege D. lebt vegan und bringt jeden Tag sein eimilchfleischfreies Essen von zu Hause mit. Der Anblick von Grünkern-Bratlingen an Karotten-Erbsen-Reis mit Sprossen-Häubchen sowie die permanent hochgezogenen Augenbrauen von D. machen Kollegin R. so ein schlechtes Gewissen, dass sie versucht, wenigstens die Speckwürfel ihrer Spaghetti Carbonara unter ein paar Nudeln zu verstecken.

Dort entdeckt sie der Kollege B., der vor seinem leeren Teller sitzt und sich gerade noch zurückhalten kann, ihn nicht vor aller Augen abzuschlecken: "Willst du den feinen Speck nicht essen?", ruft er. Und noch lauter: "Soll denn das arme Schwein umsonst gestorben sein?" Kollege D. schnauft empört, Kollegin R. errötet und schiebt den Speck rasch zu B., der sogleich einen Würfelturm auf seiner Gabel aufstapelt.

Ich will meinem Essenspartner einen vielsagenden, augenrollenden Blick zuwerfen - doch Kollege T. hat meine Gesprächsebene verlassen. Ich finde ihn weiter unten, Auge in Auge mit seiner Spiegelung im Trinkglas. T. hat über dem Teller jegliche Haltung verloren, ist mit breiten Ellenbogen auf den Tisch gesunken, sein Kinn berührt fast das Porzellan. So kann er maschinengleich sein Essen in sich reinschieben. Ich könnte leicht darüber - oder über ihn - hinwegsehen, fühle mich aber alleingelassen mit meiner Tisch- und Gesprächskultur. Eine Unterhaltung wäre doch ganz nett gewesen.

Jetzt fällt mir auch wieder ein, weshalb wir im vergangenen Jahr nicht gemeinsam Essen waren: Zu zweit war es zu einsam.

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