Klischee und Wirklichkeit:"Lehrer ist ein schöner und erfüllender Beruf"

Über Lehrer haben alle was zu sagen, schließlich hatte jeder selbst einen. Aber was davon stimmt?

Von Nicola Holzapfel

Zu unbeweglich, zu wenig engagiert, überbezahlt - Vorurteile gegen Lehrer sind schnell aufgezählt. Doch auch Studien über Burn-Out-Syndrome bei Lehrern vermitteln ein einseitig negatives Bild. Wie aber sieht der Joballtag wirklich aus? Und wie sehen Lehrer selbst ihren Beruf? Fünf Klischees und was dahinter steckt.

Lehrerin mit Schülern
(Foto: Foto: dpa)

Lehrer haben viel frei

Wenn die Schule aus ist, müssen die Schüler Hausaufgaben machen - und die Lehrer? Sie müssen ihre Pflichtstunden erfüllen, die nach Schulart und Bundesland variieren. In Bayern haben Lehrer an Grundschulen 29 Pflichtstunden pro Woche, an Gymnasien 24 Stunden. Diese Anzahl an Stunden müssen sie unterrichten. Aber ihre Arbeitszeit liegt darüber. Schließlich müssen sie den Unterricht auch vor- und nachbereiten. Die Unternehmensberatung Mummert und Partner hat vor wenigen Jahren die Arbeitszeit der Lehrer an nordrhein-westfälischen Schulen analysiert. Auf eine Stunde Deutschunterricht an Haupt- und Realschulen kommen demnach noch 32 Minuten für die Vor- und Nachbereitung.

"Viele denken, dass der Lehrer, wenn er um 13 Uhr nach Hause kommt, fertig ist", sagt Klaus Wenzel vom Bayerischen Lehrerverband (BLLV). "Dabei gibt es viel zu korrigieren und auch die Fortbildungen sind sehr zeitaufwändig." Er selbst komme als Hauptschullehrer nicht unter 60 Stunden die Woche weg.

In Bayern liegt die wöchentliche Arbeitszeit im öffentlichen Dienst für Beamte bei 42 Stunden. Das gilt auch für Lehrer. "Alle Untersuchungen belegen, dass die durchschnittliche Arbeitszeit der Lehrer darüber liegt," sagt Georg Wiesmaier von der GEW. "Es gibt natürlich eine Spannbreite, je nach Schulart und Fächern."

Doch eines haben alle Lehrer den meisten anderen Berufstätigen voraus: Sie können sich ihre Zeit relativ frei einteilen. "Der Vorteil der Flexibilität ist schon da", sagt Klaus Wenzel. "Es ist ein großes Plus, dass man nach der Schule sagen kann: Ich mache jetzt erst einmal nichts und fange erst um 17 Uhr wieder mit der Arbeit an."

Lehrer haben viel Ferien

Herbst- und Weihnachts-, Oster- und Pfingstferien und dann die große Sommerpause - wer hat schon so viel Urlaub? Die Lehrer auf jeden Fall nicht. Für sie gelten die Schulferien als "unterrichtsfreie Zeit". Ihr Urlaubsanspruch liegt wie im gesamten öffentlichen Dienst in Bayern bei 30 Tagen.

"Die Ferien sind für die Schüler gemacht und nicht in diesem Umfang für die Lehrer", sagt Klaus Wenzel vom BLLV. "Lehrer investieren einen Teil davon: Zur Unterrichtsvorbereitung und für Fortbildungen."

Welche Aufgaben sonst noch in den Ferien anfallen, hängt von der Funktion der Lehrer ab. So sind die Schulleitungen auch in den Schulferien besetzt und auch Lehrer, die die Stundenpläne machen, müssen vor Ende der Sommerferien in die Schule kommen.

Lehrer verdienen zu viel

Mit 38.412 US-Dollar im Jahr fängt ein Grundschullehrer in Deutschland nach Angaben der OECD an. Im Laufe seines Berufslebens erreicht er 49.838 Dollar. Am Gymnasium reicht die Spanne von 43.100 bis 55.210 Dollar. Die Statistiker haben den Lehrergehältern auch die Gehälter in anderen Berufen im Öffentlichen Dienst gegenüber gestellt: Demnach verdient ein Programmierer 30 Prozent weniger als ein Gymnasiallehrer. Bauingenieure und Universitätsdozenten können dagegen sogar besser verdienen: Ihre Gehaltsspanne reicht von zehn Prozent unter bis zu zehn Prozent über das Lehrergehalt.

Im internationalen Vergleich gehören zwar die Grundschullehrer zu den Spitzenverdienern, Haupt-, Real- und Gymnasiallehrer erreichen mit ihrem Höchstgehalt aber "nur" Rang 5.

"Der Grund- und Hauptschullehrer hat überhaupt keine Beförderungsmöglichkeiten während seiner 30, 40 Dienstjahre", sagt Klaus Wenzel vom BLLV. "Und er verdient weniger als Lehrer an Realschulen und Gymnasien."

Fast alle Lehrer in Deutschland sind verbeamtet. Während die Lehrer an Grund- und Hauptschulen der Besoldungsgruppe A12 zugeordnet sind, fangen ihre Kollegen an Realschulen und Gymnasien mit A 13 an. Wer am Gymnasium zum Studiendirektor befördert wird, erreicht sogar A 15. (Laut Bundesbesoldungsgesetzt fängt die monatliche Vergütung bei A 12 mit 2559,52 Euro an, bei A 15 mit 3.903,77 Euro).

Ist das zu viel Gehalt für einen Lehrer? "Wenn man gute Leute für diesen Beruf haben will, dann muss man das auch finanziell gut ausgestalten", sagt Wenzel. "Und wir brauchen die besten Leute dafür."

"Lehrer ist ein schöner und erfüllender Beruf"

Der Lehrer-Nachwuchs fehlt

Der Lehrerarbeitsmarkt in Deutschland ist uneinheitlich. Während es beispielsweise in Brandenburg laut der OECD einen Überschuss an Lehrkräften gibt, herrscht in manchen westdeutschen Bundesländern ein Lehrermangel, so dass sogar um Quereinsteiger geworben wird. Doch je nach Schulart und Fach sind die Einstellungschancen wieder ganz unterschiedlich. So hatten Bewerber für Haupt, Sonder- und Berufsschulen in Bayern im vergangenen Schuljahr gute Einstellungschancen, während es bei den anderen Lehrämtern noch einen "Bewerberstau" gab.

Eines ist sicher: In den kommenden Jahren werden viele Lehrer in Rente gehen. Nach einer Berechnung der OECD wird die Hälfte der jetzigen Lehrer an Grund-, Haupt- und Realschulen in den nächsten zehn Jahren aus dem Dienst ausscheiden. Konkrete Prognosen sind dennoch schwierig. Die Kultusministerkonferenz hat zwar berechnet, dass für die Jahre zwischen 2002 und 2015 einem Bedarf von 371.000 Lehrern nur knapp 300.000 neue Absolventen gegenüberstehen, doch können diese Zahlen schnell von der Wirklichkeit eingeholt werden. "Zunächst wird um Nachwuchs geworben. Wenn die Jahrgänge zur Verfügung stehen, gibt es eine Arbeitszeiterhöhung, durch die Lehrerstellen wegrationalisiert werden. Und die jungen Lehrer stehen auf der Straße, weil die Arbeitsplätze nicht mehr da sind", sagt Klaus Wenzel vom BLLV.

Auch eine Verkürzung der Schulzeit und ein späteres Austrittsalter der Lehrer ändert jede Voraussage. Und dann spielen noch die Lehramtsanwärter selbst eine Rolle: Die Zahl der Schulabgänger, die sich für ein Studium auf Lehramt entscheiden, beeinflusst jede Prognose zum Lehrerbedarf.

Lehrer halten nicht bis zur Rente durch

Im Schnitt gehen Lehrer in Deutschland laut Statistischem Bundesamt mit 61 Jahren in den Ruhestand. "Weit mehr als 60 Prozent müssen aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aufhören", sagt Klaus Wenzel. In einer Umfrage des BLLV unter Lehrern an Grund-, Haupt- und Förderschulen gaben mehr als 80 Prozent der Befragten an, dass sie sich physisch und psychisch stark belastet fühlen. Vor allem das Lern- und Sozialverhalten der Schüler, das Ausmaß der Unterrichtsverpflichtung und große Klassen wurden als belastende Faktoren genannt.

"Lehrer ist ein sehr schöner und erfüllender Beruf, aber es ist in den vergangenen Jahren auch ein Verschleissberuf geworden", sagt Wenzel.

"Ein guter Lehrer hat den Vormittag über relativ wenig Entlastungsmöglichkeiten", erzählt der Hauptschullehrer aus dem Berufsalltag. "Als Lehrer arbeiten Sie mit Menschen, die etwas ganz anderes wollen als Sie. Das ist sehr kräftezehrend", erklärt Wenzel. "Und die Kinder heute leisten mehr Widerstand als früher, sie sind sehr stark lustorientiert, alles muss Spaß machen, und sie sind sehr medienverwöhnt."

Die Lehrerverbände haben sich des Problems inzwischen angenommen, organisieren etwa Vorträge und Seminare. "Aber der Arbeitgeber kümmert sich relativ wenig darum", sagt Wenzel. "Dabei verliert der bayerische Staat durch Frühpensionierungen 250 Millionen Euro pro Jahr. Ich erkenne keine Ansätze, dass versucht würde, hier präventiv zu reagieren."

Aber auch die Öffentlichkeit könnte etwas für die Lehrer tun: "Wir haben ein so schlechtes Image. Auch das belastet", sagt Wenzel. "Wir arbeiten für die Kinder dieser Gesellschaft, das ist wichtig und wertvoll." Er wünscht sich einen positiven Blick seitens der Nichtlehrer. "Dass auch signalisiert wird: 'Wir wertschätzen eure Arbeit'."

(sueddeutsche.de)

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