Kleine Unternehmen:Solo für Selbständige

Viele Angestellte träumen davon, ihr eigener Chef zu sein. Aber die Freiheit hat auch Nachteile. Vor allem Alleinunternehmer erleben das Ungebundensein oft als Auf und Ab.

Von Klaus Tscharnke/dpa

Jürgen Gechter würde es wieder tun. Der 50-Jährige aus dem fränkischen Regelsbach hat seine Entscheidung, sich selbständig zu machen, bis heute nicht bereut. Trotzdem sei das Leben als Solo-Selbständiger schon "sehr ambivalent", räumt er ein. "Das ist wie bei einem Süchtigen: Manchmal bin ich geradezu begeistert von dem, was ich mache. Und dann gibt es wieder Zeiten, da wünsche ich mir ein Leben als Arbeitnehmer mit regelmäßigem Gehalt und sozialer Absicherung zurück. Ich bekomme Magenschmerzen, wenn mein Konto mal wieder gegen null läuft", bekennt er freimütig.

Gechter, der Kurse für Schwerbehindertenvertreter, Betriebs- und Personalräte anbietet, bringt die Gefühlslage vieler Solo-Selbständiger auf den Punkt: Sie schätzen es, ihr eigener Chef und frei von betrieblichen Zwängen zu sein, hadern aber mit niedrigen Honoraren, Auftragsflauten und unzureichender staatlicher Förderung. Die jüngst von SPD und Union angestoßene Debatte um die Rentenversicherungs- oder Altersvorsorgepflicht für Solo-Selbständige hat die Gruppe stärker ins Rampenlicht gerückt.

Amtliche Zahlen machen klar: Der einst von der Bundesagentur für Arbeit mit seiner "Ich-AG"-Förderung ausgelöste Boom der Solo-Selbständigen ist längst vorbei. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) stagnierte die Zahl der Solo-Selbständigen schon 2007, seit 2012 nimmt sie stetig ab. Im Jahr 2015 gab es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nur noch 2,15 Millionen "Selbständige ohne Mitarbeiter". Damit gehörte nur jeder Zwanzigste zur Gruppe der Solo-Selbständigen.

Mann mit Mobiltelefon und Laptop

Geschäftsmann mit Akten und Laptop im Biergarten. Die Digitalisierung ist fast überall angekommen. Nur die Versicherer tun sich noch schwer.

(Foto: Arno Burgi3/3dpa)

"Offenbar hat die Selbständigkeit an Attraktivität eingebüßt. Angesichts der günstigen Lage auf dem Arbeitsmarkt dürfte die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung häufig als die bessere Alternative angesehen werden - zumal nicht wenige Selbständige, insbesondere unter den Alleinunternehmern, nur spärliche Einkünfte erzielen", bilanziert der Forscher Karl Brenke in einer DIW-Untersuchung aus dem Jahr 2015.

Dabei sieht die Einkommenssituation der Solo-Selbständigen auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus: So haben nach DIW-Erkenntnissen die Alleinunternehmer im Jahr 2014 im Durchschnitt einen Stundenlohn von 18,86 Euro verbuchen können, berichtet das Forschungsinstitut unter Berufung auf eine repräsentative Befragung von 30 000 Bundesbürgern im Rahmen des sozio-ökonomischen Panels. Solo-Selbständige verdienten damit im Durchschnitt pro Stunde zwei Euro mehr als abhängig Beschäftigte - aber immer noch deutlich weniger als Selbständige mit mehreren Mitarbeitern.

Allerdings, so macht DIW-Forscher Brenke deutlich, ist das Gefälle zwischen sehr schlecht und sehr gut verdienenden Solo-Selbständigen enorm groß. Einer beträchtlichen Zahl von Solo-Selbständigen mit "spärlichen Einkommen" stehe eine sehr kleine Zahl mit sehr gut verdienenden Alleinunternehmern gegenüber.

So brachte es etwa das - gemessen an der Einkommenshöhe - unterste Viertel der Solo-Selbständigen 2014 monatlich auf ein mittleres persönliches Nettoeinkommen von gerade mal 616 Euro, die im obersten Viertel vertretenen Solo-Selbständigen dagegen im Mittel auf 3158 Euro. Ohne Hilfen von Partnern oder Verwandten käme so mancher der schlecht verdienenden Solo-Selbständigen wohl kaum über die Runden. Am unteren Ende des Einkommens-Rankings rangieren freiberuflich arbeitende Friseure und Kosmetiker. An der Spitze stehen Finanzprofis, Ingenieure und selbständige Juristen mit 2300 bis 2600 Euro.

Für Waltraut Rehberger (Name geändert) ist nach fast 13-jähriger Erfahrung als Dozentin für Arbeits- und Sozialrecht der Glanz der Solo-Selbständigkeit verblasst. Die 59 Jahre alte Berlinerin würde ein Angebot für eine Festanstellung inzwischen nicht mehr ausschlagen, wenn es denn ihrer Qualifikation entspräche. Auftragsflauten und ihr geringes Einkommen zwingen sie zu einem "bescheidenen Leben". Inzwischen versucht sie, im Schulterschluss mit anderen die Lage der Solo-Selbständigen zu verbessern. Die "Solidarität und Kollegialität" unter Alleinunternehmern sei aber leider sehr gering, sagt Rehberger.

Zitat

"Selbständige tragen Innovationen in Unternehmen, während Festangestellte oft den ganzen Tag in Meetings zubringen müssen." - Andreas Lutz, Chef des Verbands der Gründer und Selbständigen

Von den Schwierigkeiten, angemessene Honorare für Künstler, Dozenten und Journalisten durchzusetzen, kann auch Veronika Mirschel ein Lied singen. Sie leitet das Referat Selbständige der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Sie hatte gehofft, die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns für abhängig Beschäftigte würde die Auftraggeber von Solo-Selbständigen dazu bringen, ihre Honorare aufzustocken. Das sei aber leider nicht der Fall, sagt sie. Beharrlichkeit führe aber in einigen Bereichen zu kleineren Erfolgen. So gebe es inzwischen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Tarifverträge für sogenannte feste freie Mitarbeiter.

Nicht ganz so pessimistisch sieht man die Lage beim Verband der Gründer und Selbständigen Deutschland (VGSD) mit Sitz in München. VGSD-Vorstandsvorsitzender Andreas Lutz hält Firmengründer und Solo-Selbständige zu Unrecht pauschal als prekär Beschäftigte abqualifiziert. In Politik und Medien bestünden viele Vorurteile, klagt Lutz.

Statt Solo-Selbständige als "Prekariat" abzutun, sollten Bundesagentur und Politik Gründungswillige wieder stärker fördern, findet Lutz. Die einstige Unterstützung mit Gründungszuschüssen, Mikrokrediten und Gründungsseminaren seien in den vergangenen Jahren stark abgebaut worden. Denn eines sollte man nicht vergessen: "Selbständige sind für eine Wirtschaft enorm wichtig", sagt der Verbandschef. "Sie tragen Innovationen in Unternehmen, erspüren neue Trends, bilden sich eigenverantwortlich fort und erledigen in vielen Betrieben die Arbeit, während Festangestellte oft den ganzen Tag in Meetings zubringen müssen."

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