Man kann sich schon fragen, wie Gary McFarlane sich seinen Job eigentlich vorgestellt hatte. 2003 fing er als Berater bei "Relate" an, einer englischen Organisation für Beziehungsberatung. 2007 begann der prinzipientreue Christ eine Fortbildung zum Sexualtherapeuten. Da hätte ihm ja einfallen können, dass sein Arbeitgeber auch jenen Hilfe andient, deren Beziehungen McFarlane aus religiösen Gründen missbilligt: Beraten werden, so ist der "Relate"-Werbung zu entnehmen, auch lesbische Frauen, schwule Männer und Bisexuelle.
McFarlane wurde gefeuert, weil der fundamental-religiöse Therapeut sich weigerte, Homosexuelle zu beraten. Die Sache landete vor Gericht; an diesem Dienstag verhandelt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über McFarlanes Klage, der seine Religionsfreiheit verletzt sieht.
Zwar schützt der Straßburger Gerichtshof viele Formen der Glaubensbekundung, von der Haartracht bis zur Befolgung von Speisegeboten. Die Frage ist nur, ob McFarlanes Wunsch nach selektiver Sexualberatung zu den geschützten Praktiken zählen kann - oder ob es sich nicht eher um plumpe Schwulendiskriminierung im religiösen Gewand handelt.
Zusammenprall verschiedener Werte
Letztlich geht es um einen Zusammenprall verschiedener Werte: Menschen dürfen wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht benachteiligt werden - aber auch nicht wegen ihrer individuellen Lesart des christlichen Glaubens. Dieser Konflikt prägt auch einen Parallelfall, der vor dem Gerichtshof verhandelt wird: Eine Londoner Standesbeamtin weigerte sich, homosexuelle Partnerschaften offiziell zu besiegeln - weil dies ihrer Meinung nach Gottes Gesetz widerspreche. Bekommt sie recht, dann könnten fundamental-religiöse Beamte eine staatlich betriebene Gleichstellung Homosexueller von innen heraus sabotieren.
Der Gerichtshof hat freilich eines immer betont: Mit der Berufung auf den Glauben kann man sich nicht allgemeiner Pflichten entledigen. Im Jahr 2006 hat er die Klage eines mazedonischen Muslimen abgewiesen, der nicht zur Arbeit erschienen war, weil er zu einem religiösen Fest wollte - und dem Arbeitgeber nicht einmal erläutern wollte, warum dies aus religiösen Gründen zwingend sei. Klar ist auch: Wer keine Steuern zahlen will, weil sein Gott ihm das angeblich verbietet, wird in Straßburg keinen Erfolg haben.
Sehr viel sozialverträglicher fielen die religiösen Äußerungen einer British-Airways-Angestellten und einer Krankenschwester aus dem südenglischen Exeter aus. Beide wollten ihre christliche Überzeugung mit einem Schmuck-Kreuz signalisieren - doch der Dresscode sowohl der Fluggesellschaft als auch des Krankenhauses untersagten dies. Auch über ihre Klagen wird am Dienstag verhandelt.
Zwar hat der Streit um religiöse Symbole vor dem Gerichtshof stets hohe Wellen geschlagen, etwa im Fall der zuerst verbotenen italienische Schulkruzifixe, die dann doch erlaubt wurden. Doch diesmal geht es nur um ein diskretes Kreuz an der Halskette. Zumindest in öffentlichen Arealen hat sich das Gericht in der Kleiderfrage großzügig gezeigt: Eine religiöse Gruppe, die wegen eines Umzugs mit Turban und Pluderhosen in Ankara bestraft worden war, bekam vor zwei Jahren in Straßburg recht.