Klage gegen Leiharbeitsfirma:Alle Pflichten, keine Rechte

Lozinka Keitel hat vier Jahre lang im Europäischen Patentamt gearbeitet - als Leiharbeiterin. Als es um eine feste Stelle ging, wurde sie abgelehnt. Jetzt kämpft die IT-Expertin vor Gericht um ihren Job.

V. Bernau und S. Haas

Eigentlich konnte bei dem Vorstellungsgespräch nichts schief gehen: Lozinka Keitel kannte Aufgaben und Anforderungen, die Kollegen und den Chef. Und mit allem kam sie gut zurecht. Das hatte sie bereits bewiesen. Viereinhalb Jahre lang. Denn die Stelle, auf die sich die IT-Expertin beim Europäischen Patentamt (EPA) in München bewarb, war im Grunde genommen ihre eigene. Sie bekam den Job aber nicht.

Klage gegen Leiharbeitsfirma: Lozinka Keitel kämpft um eine Festanstellung beim Europäischen Patentamt in München.

Lozinka Keitel kämpft um eine Festanstellung beim Europäischen Patentamt in München.

(Foto: Robert Haas)

Lozinka Keitel klagt jetzt gegen ihren Auftraggeber, eine Leiharbeitsfirma. Auch das EPA ist davon betroffen. Denn dort hatte Keitel damals in der Datenverarbeitung angefangen. Allerdings war sie nicht beim EPA angestellt, sondern bei einer Leiharbeitsfirma - und zwar befristet. Nach etwa einem Monat, kurz bevor ihr Vertrag auslief, so erzählt sie, kam ihr Chef mit einer Liste zu ihr. Darauf standen fünf Leiharbeitsfirmen, an die sie sich wenden sollte, um weiterhin beim EPA zu arbeiten. Vermittelt werden solle sie aber nur, wenn sie sich selbständig erklärt. Sie hatte Zweifel, ob das rechtlich in Ordnung sei und hat noch einmal bei den Unternehmen nachgefragt. Sie bekam zu hören, dass die Mehrheit der freien Mitarbeiter am EPA das so handhabe.

Das EPA ist eine internationale Organisation, die vor nationalen Gerichten Immunität genießt. Diese rechtliche Sonderstellung soll das Amt vor politischer oder wirtschaftlicher Einflussnahme bewahren und den Schutz geistigen Eigentums sicherstellen. Nun aber, argumentiert Rechtsanwalt Alexander Holtz, der die IT-Expertin Keitel vertritt, missbrauche das EPA die Sonderstellung, um grundlegende Arbeitsrechte zu umgehen.

Von den 7000 Mitarbeitern an den fünf Standorten des EPA befinden sich etwa 1000 in einer ähnlichen Situation wie Keitel. Dies geht aus einem Dokument hervor, das Arbeitnehmervertreter beim Verwaltungsrat des EPA zu einer Sitzung im Dezember 2009 eingereicht hatten und das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Das EPA aber betont, die Zahl der Leiharbeitnehmer sei um ein Vielfaches niedriger. Die Arbeitnehmervertreter hätten die Zahl aus internen Telefonbüchern und dabei auch Studenten, Praktikanten, Dolmetscher und Berater berücksichtigt, die im Haus ein- und ausgingen und sich dazu nicht jedes Mal einen Besucherausweis ausstellen lassen sollten. "Eine rein verwaltungstechnische Regelung", heißt es beim EPA.

Leih- oder Zeitarbeit ist ein von Unternehmen genutztes Instrument, um kurzfristig Auftragsspitzen zu bewältigen oder Urlaubszeiten zu überbrücken. Leiharbeiter sind schnell zu bekommen, wenn die Wirtschaft boomt, und man wird sie schnell wieder los, wenn die Geschäfte schlecht laufen. Denn angestellt sind Zeitarbeitnehmer nicht direkt bei der Firma, in der sie arbeiten, sondern bei einem Zeitarbeitsunternehmen, das die Arbeitskräfte verleiht. So nimmt die Zeitarbeit den entleihenden Unternehmen die Fessel des Kündigungsschutzes.

Die eigenen Regeln werden gebrochen

Die rot-grüne Koalition hatte genau diesen Punkt aufgegriffen und mit den Hartz-Reformen den Weg für mehr Leiharbeit und befristete Arbeitsverträge freigemacht. Dies sollte den Arbeitsmarkt flexibler machen und wieder mehr Menschen in Jobs bringen. Dies ist gelungen. Allerdings haben die gelockerten Regeln der Arbeitnehmerüberlassung zu Missbrauch geführt. Der Drogeriemarktbetreiber Schlecker kam in die Kritik, weil er Mitarbeiter entlassen und später über eine eigene Leiharbeitsfirma für weniger Geld wieder "zurückgemietet" hat. Das hat dem Ruf der Zeitarbeit geschadet, Schlecker hat sein Vorgehen eingestellt.

Klage gegen Leiharbeitsfirma: Als Leiharbeiterin war die IT-Expertin Keitel vier Jahre lang im Europäischen Patentamt beschäftigt.

Als Leiharbeiterin war die IT-Expertin Keitel vier Jahre lang im Europäischen Patentamt beschäftigt.

(Foto: Robert Haas)

Die Zeitarbeit boomt, doch ein Massenphänomen ist sie nicht. Der Anteil der Leiharbeiter an allen Beschäftigten in Deutschland liegt bei zwei Prozent. Das sind etwa 750.000 Zeitarbeitnehmer, wie Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg zeigen.

Lozinka Keitel klagt auf eine Festanstellung gegen die Leiharbeitsfirma. Anwalt Holtz hat den Streit auch dem EPA mitgeteilt. Denn dort erhielt die 41-Jährige Anweisungen, musste sich in Urlaubspläne eintragen und bekam selbst Bleistifte zugewiesen. Sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass eine Scheinselbständigkeit vorliegt, dann hätte sie Anspruch auf einen Arbeitsplatz am EPA, meint Holtz. Auch eine Strafzahlung könnte auf das Amt zukommen - wegen Sozialkostenbetrugs. Dem Staat seien Sozialversicherungsbeiträge von jährlich etwa neun Millionen Euro entgangen, schätzt Holtz. Er vertritt mehrere Mitarbeiter, die in einer ähnlichen Lage sind wie Keitel.

Das EPA weist die Vorwürfe zurück. Man greife auf Leiharbeitnehmer zurück, um vorübergehende Personalengpässe zu überbrücken, teilt ein Sprecher mit. "Es versteht sich von allein, dass sich die Nachfrage nach externen Dienstleistungen seitens des EPA auch in Sozialbeiträgen niederschlägt, welche die beauftragten Dienstleistungsunternehmen für ihre Mitarbeiter abführen. Dies liegt außerhalb der Zuständigkeit und Verantwortung des EPA." Das Amt dementiert zudem, zur Scheinselbständigkeit aufzufordern.

Die Auseinandersetzung ist auch politisch brisant: Im Verwaltungsrat, der die Personalpolitik des EPA kontrollieren soll, sitzen ranghohe Vertreter der 37 Unterzeichnerstaaten des europäischen Patentabkommens. Es sind dieselben Staaten, die sich auf europäische Richtlinien zum Arbeits- und Gesundheitsschutz geeinigt und dem Missbrauch von Leiharbeit den Kampf angesagt haben. Den deutschen Vertreter im Verwaltungsrat entsendet das Justizministerium. Dort heißt es, man habe sich dafür eingesetzt, dass Probleme von freien Mitarbeitern im Dialog zwischen EPA und Personalvertretung geregelt werden. Die Personalvertretung ist aber nur für die festangestellten Mitarbeiter zuständig. Dennoch: "Eine solche Lösung ist gegenüber gerichtlichen Verfahren im Interesse aller Beteiligten vorzugswürdig", teilt ein Ministeriumssprecher mit.

Fünf Mal sei ihr Vertrag verlängert worden, berichtet Keitel, zumeist nur wenige Wochen, bevor er ausgelaufen wäre. "Immer wieder habe ich gezittert." Dennoch hat sie das mitgemacht. Es sei ein sehr guter Job gewesen, mit interessanten Aufgaben und anregenden Kollegen "bei uns im Amt", sagt sie, stutzt und korrigiert sich selbst: "Entschuldigung, beim Europäischen Patentamt." Sollte sie mit ihrer Klage auf eine feste Stelle durchkommen, dann würde sie diese auch antreten - trotz der Enttäuschung darüber, dass sie zunächst viereinhalb Jahre mit Versprechen hingehalten und ihr der Job dann doch verweigert wurde. Es komme ihr vor, als sei ihr Chef damals über den Markt geschlendert, um sich die schönste Frucht rauszusuchen. "So kann man nicht mit Menschen umgehen."

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