Kehrtwende in der Bildungspolitik:CSU will Hauptschule abschaffen

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Die jetzige Hauptschule soll praxisorientierter und zu einer echten Alternative zur Realschule werden. Auch am Namen wird gefeilt. Ein Vorschlag: Berufsmittelschule.

Birgit Taffertshofer

Die CSU erwägt die Abschaffung der Hauptschule in ihrer jetzigen Form. Sie soll durch eine zehnstufige "Sekundarschule" ersetzt werden, in der die praxisorientierte Bildung ein starkes Gewicht erhalten soll. Das geht aus einem Positionspapier der CSU-Fraktion hervor, das der SZ vorliegt. Darin heißt es, die Hauptschule sei eine von der Bevölkerung nicht mehr akzeptierte Schulform.

Mehr Wirtschaft, mehr Technik: Auch der Lehrplan soll sich ändern. (Foto: Foto: AP)

Eine Expertengruppe der Fraktion zieht in dem Papier eine schonungslose Bilanz: "Es hilft dieser Schulart nicht, wenn man unflexibel an alten Hauptschulvorstellungen festhält." Für viele Jugendliche sei das Zeugnis eines Hauptschulabschlusses wenig wert. Denn die Möglichkeit, damit einen Ausbildungsplatz zu bekommen, sei in der heutigen wirtschaftlichen Situation "eher gering".

Besonders die Einführung der sechsstufigen Realschule habe zu einer "gravierenden Verlagerung" des bislang ausgeglichenen dreigliedrigen Schulsystems in Bayern geführt. Der Übertritt in die Hauptschule habe "dramatisch abgenommen". Auch die Einrichtung des M-Zuges zur Mittleren Reife habe diese Nachteile nicht ausgeglichen. "Es reicht nicht mehr, nur kleine Anpassungen zu erfinden", resümiert die Arbeitsgruppe "Grund- und Hauptschule" der CSU-Fraktion, ein Gremium aus Praktikern und Wissenschaftlern, und fordert "die große Lösung" als einzig möglichen Weg.

Eine Schule mit Imageproblem

Für die Experten steht laut Positionspapier fest, dass die zirka 1000 verbliebenen Hauptschulen in ihrer Größe nicht mehr zu halten sind. Zum einen sinke die Schülerzahl wegen des demografischen Wandels, zum anderen gebe es aber auch immer weniger Kinder, die diese Schulart freiwillig besuchten.

Als Grund für das schlechte Ansehen der Hauptschule wird in dem CSU-Papier neben dem geringen Stellenwert des Abschlusses auf dem Arbeitsmarkt auch das Imageproblem genannt. Eltern seien wegen des hohen Migrantenanteils und schwieriger Schüler zunehmend besorgt. Teilweise hätten sie "panische Angst", nicht mehr das Beste für ihre Kinder zu erreichen.

Nach Berechnungen des Kultusministeriums, die in dem Papier aufgeführt werden, soll die Zahl der Hauptschüler von heute etwa 280 000 auf 197 000 im Jahr 2020 zurückgehen. Für Regierungsbezirke wie Ober- und Unterfranken wird ein jährlicher Schülerrückgang von mehr als elf Prozent prognostiziert. Lediglich in den Ballungszentren Oberbayerns schreite diese Entwicklung langsamer voran.

CSU will neue Schwerpunkte im Lehrplan

Von einer Verbindung von Haupt- und Realschule, wie sie die SPD am Mittwoch abermals forderte, wird in dem Positionspapier abgeraten. Vielmehr müsse eine echte Alternative zur Realschule mit einem "sehr starken Praxisanteil" entstehen. Auch regionalbezogene Lösungen seien notwendig.

Die Arbeitsgruppe schlägt unter anderem neue Schwerpunkte im Lehrplan vor: Betriebswirtschaft, Rechnungswesen, Buchführung und technische Fächer müssten im Vordergrund stehen. In den oberen Klassen sollten Jahrgangsstufen aufgelöst werden. Sie sollen durch Pflicht-, Wahlpflicht- und freiwillige Module ersetzt werden. Die Schüler sollten durch mehr Praktika und Übungsfirmen in den Schulen die Gelegenheit erhalten, Theorie und Praxis zu verbinden.

Über das Positionspapier wird der Vorstand des Arbeitskreises voraussichtlich am 19. November endgültig beschließen. Derzeit wird noch an Formulierungen gefeilt. Die CSU diskutiert momentan auch noch über den Namen der neuen Schulform. Zur Debatte stehen neben Sekundarschule beispielsweise auch Berufsmittelschule. Im Gespräch ist auch, ob die Landkreise die Kosten für den Schülertransport übernehmen sollen. Bislang zahlen die Kommunen.

Grüne: "CSU ist Totengräber der Schulen auf dem Land"

Die Grünen-Bildungspolitikerin Simone Tolle sagte im Landtag, das Papier stünde im Widerspruch zu offiziellen Verlautbarungen der Staatsregierung. Jahrelang habe die CSU die Hauptschulen vernachlässigt und sie zu einer "Schule der vergessenen Kinder" gemacht. "Die CSU ist der Totengräber der Schulen auf dem Land."

Tolle schlug vor, die Regionen sollten selbst darüber entscheiden können, welche Schulform zu ihnen passt. Der SPD-Bildungsexperte Hans-Ulrich Pfaffmann sagte, die CSU schließe durch ihre Schulpolitik Kinder von Bildungs- und Zukunftschancen aus. Die Staatsregierung wolle zwar wohnortnahe Schulen erhalten, schließe aber gleichzeitig 472 Teilhauptschulen in Bayern. "Das ist Heuchelei", sagte Pfaffmann.

© SZ vom 19.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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