Karrierewege:Mit dem Nachtbus in die große Politik

Christoph Gottschalk war Berater des französischen Premierministers. Ein Gespräch über Studium, Macht und Möglichkeiten.

Als er im Sommer 2003 für seinen neuen Job nach Paris zieht, ist Christoph Gottschalk der erste ausländische Berater eines französischen Premierministers. Gleichzeitig ist der 26-Jährige der Jüngste im Beraterkabinett des damaligen Premiers Jean-Pierre Raffarin.

Karrierewege: "Je mehr man nachdenkt, desto weniger weiß man am Ende. Heute denke ich: Es ist besser, einfach zu machen": Christoph Gottschalk.

"Je mehr man nachdenkt, desto weniger weiß man am Ende. Heute denke ich: Es ist besser, einfach zu machen": Christoph Gottschalk.

(Foto: Foto: Sybille Fendt)

Christoph wuchs im hessischen Kronberg auf, war Bassist der Band "Georgia Jukin"" und trug nach eigenen Angaben "Dreadlocks bis zur Hüfte". Er absolvierte ein Studium Generale in Tübingen, studierte Politik an der Freien Universität Berlin und in Aix-en-Provence, organisierte über Jahre hinweg Jugendkonferenzen und -begegnungen in ganz Europa.

Nach dem achten Semester beginnt sein Job in Paris. Als die Franzosen sich 2005 gegen die EU-Verfassung aussprechen, muss der Premier gehen. Christoph geht auch. Er nimmt sich eine Auszeit, lässt die Erlebnisse Revue passieren, führt Gespräche und orientiert sich gerade neu. Im Interview blickt er auf seine Zeit als Berater zurück, spricht über Macht als Droge, über die Unterschiede zwischen der Jugend in Deutschland und Frankreich, über die Studentenproteste in beiden Ländern und darüber, was "Studieren" in seinen Augen bedeutet.

jetzt.de: Du hast im April 2005 den Vortrag zur Immatrikulationsfeier an der FU Berlin gehalten - das gleiche haben vor dir Joschka Fischer oder Kofi Annan gemacht. Was hast du erzählt?

Christoph Gottschalk:Ich habe mich gefragt: Aus welchem Grund kann man diesen Studenten gratulieren, sich an einer gigantisch großen, unterfinanzierten Uni in Berlin immatrikuliert zu haben?

jetzt.de: Deine Antwort?

Gottschalk: Ich bin auf die Freiheit des deutschen Bildungssystems eingegangen, wie wir sie bisher hatten, wie wir sie bewahren müssen. Dass du die Wahl hast, dich zu entscheiden: Ein Semester aussetzen und beim Aufbau nach dem Tsunami helfen oder zügig das Studium vorantreiben. Dass ist die Freiheit, die die Uni in Deutschland uns zumutet. Aus der Freiheit entsteht Vielfalt und vor allem Verantwortung. Ich wollte den Erstsemestern sagen: Wenn Ihr nur wegen der Wissensvermittlung an der FU seid, dann bitte ich Euch, wieder zu gehen. "Bildung" ist etwas anderes.

jetzt.de: Was ist das für ein Gefühl, zu sehen, dass die eigene Stimme was bedeutet?

Gottschalk: Es ist befremdlich. Ich hatte Angst vor dem Vortrag. Aber irgendwie dachte ich: Ich habe dazu eine Meinung. Und die vertrete ich jetzt.

jetzt.de: Bist du deswegen Berater des französischen Premierministers geworden?

Gottschalk: Geschadet hat dieser gewisse Mut, den Mund aufzumachen sicherlich nicht. Im Januar 2003 feierten Deutschland und Frankreich 40 Jahre Elysée Vertrag - mit diesem Vertrag söhnten Adenauer und de Gaulle 1963 die "Erzfeinde" aus. Raffarin verkündete in dem Rahmen, er wolle einen deutschen Berater in die Regierung nehmen. Er hat dann zwei Profile suchen lassen: Den Typ Ex-Botschafter, der in Frankreich viel gemacht hat - und einen Gegenentwurf, der aus der Zivilgesellschaft kommt und jung ist.

jetzt.de: Hattest du dich beworben?

Gottschalk: Um Gottes Willen: Nein!

jetzt.de: Woher kannten die Franzosen dich?

Gottschalk: Mit einigen seiner Berater war ich schon vorher bekannt, zusäzlich hatten sie wohl die Debatte zwischen Chirac, Schröder und dem deutsch-französischen Jugendparlament im Rahmen der Elysée-Vertragsfeiern verfolgt. Ich war der Moderator.

jetzt.de: Gab es ein Vorstellungsgespräch?

Gottschalk: Anfang Mai 2003 kam ein Anruf aus Paris. Der Premierminister habe meinen Lebenslauf gesehen und Interesse an einem Gespräch. Eine Woche später bin ich für 50 Euro mit dem Nachtbus nach Paris gefahren.

Mit dem Nachtbus in die große Politik

jetzt.de: Wie war das Treffen mit ihm?

Gottschalk: Es war eher ein "Bonjour", im Vorübergehen. Er hat mir auf die Schulter geklopft und gesagt: "Schön, dass Sie da sind!" Vielleicht wollte er sehen, dass ich mir eine Krawatte binden kann. Vor und nach der Begegnung mit dem Premier hatte ich ausführliche Gespräche mit dem diplomatischen Chefberater und dem Kabinettsdirektor. "Vielen Dank, dass Sie da waren", hieß es danach, "es kann einige Wochen dauern, ehe wir uns melden." Ich bin aus dem Hotel Matignon, der Residenz des Premiers, rausgekommen und habe gleich Freunde angerufen. Nach einer halben Stunde bekam ich einen Anruf: "Herr Gottschalk, der Premierminister wird Sie in einer dreiviertel Stunde der versammelten Presse vorstellen."

jetzt.de: Woher die Eile?

Gottschalk: Vermutlich hat mein Profil einfach gepasst. Außerdem gab es einen passenden Anlass: Es war der 9. Mai, Europatag. Am Abend wollte der Premier eine Grundsatzrede zu Europa halten. Er dachte wohl: "Meine Berater fanden den Gottschalk gut und es gibt doch nichts Besseres als heute mein neues Kabinettsmitglied aus Deutschland vorzustellen!" Ich stand auf dem Podium und war restlos in Trance. Neben mir standen die Verteidigungsministerin, der Jugendminister, der Erziehungsminister . . .

jetzt.de: Du musst unter den Kandidaten hervorgestochen sein.

Gottschalk: Naja, was heißt vorgestochen. Ich habe immer sehr viel mit Europa gemacht und war zum Beispiel direkt vorher neun Monate beim deutsch-französischen Jugendwerk persönlicher Referent der Generalsekretärin. Dort habe ich unter anderem das Treffen des deutsch-französischen Jugendparlaments zum Elysée Vertrag und die Chirac-Schröder-Diskussion organisiert. Und schon früher war ich Präsident des europäischen Jugendparlaments, habe Konferenzen organisiert, bei denen es immer um die Frage ging: Wie kann ich den europäischen Gedanken an junge Menschen bringen?

jetzt.de: Wie kommst du dazu, den "europäischen Gedanken" vermitteln zu wollen?

Gottschalk: Per Zufall. In der elften Klasse habe ich mit Freunden an einem Wettbewerb des europäischen Jugendparlaments teilgenommen. Seitdem habe ich viel für das Parlament gearbeitet. Die Leute, die wie ich dort über Jahre eine kleine Karriere gemacht haben - das hat unser Leben verändert! Es hört sich jetzt nach Blabla an, aber: Debattieren lernen, einen Standpunkt vertreten, den Mut haben, ihn zu verteidigen, Konflikten nicht aus dem Weg gehen und lernen, die Sache von der Person zu trennen - wir waren hungrig darauf, das zu lernen.

jetzt.de: Woher der Hunger?

Gottschalk: Ich würde sagen, dass vor allem mein Vater mich sensibilisiert hat. Ein sehr alter Vater, der vom Widerstand gegen Hitler geprägt war. Bei ihm war immer das Thema Courage präsent, weil er im Krieg mit Leuten zu tun hatte, die sich um Juden gekümmert haben. Er sagte: "Du darfst mit schlechten Noten nach Hause kommen, aber wenn ich höre, dass Du Deinem Lehrer nicht die Meinung gesagt hast, wenn der ungerecht zu anderen war, dann kriegst Du ein Problem mit mir!" Er starb, als ich 14 war.

jetzt.de: Vergangenes Jahr hat die Ehrlichkeit der Franzosen Jean-Pierre Raffarin den Job gekostet: Fast 55 Prozent der Franzosen stimmten in einem Referendum gegen die EU-Verfassung. Warst du entsetzt?

Gottschalk: Ich habe mit einem Nein gerechnet und bin trotzdem stinksauer, dass wir die Vorteile der Europäischen Verfassung nicht vermitteln konnten. Ich war ein großer Verfechter von Referenden. Die Bürger müssen abstimmen können. Aber dann habe ich aus der Regierungsperspektive die Schwierigkeiten erlebt, solch eine Debatte hin auf das eigentliche Thema zu steuern. Beim Referendum wurde leider mehr über Innenpolitik abgestimmt und nur bedingt über Europapolitik.

jetzt.de: War das Referendum das wichtigste Ereignis deiner Amtszeit?

Gottschalk: Es war der Tiefpunkt. Wenn das schief geht, das wussten wir, ist es auch für uns vorbei. Insofern war die Nacht, als diese Ergebnisse eintrudelten - wir waren alle versammelt beim Premierminister, 45 Berater mit ihren Frauen und Männern - eine sehr intensive, alkoholische Nacht, in der sofort die ersten Gerüchte aufkamen, dass wir wohl zügig unsere Kisten packen können. Als ich am nächsten Morgen ins Büro kam, standen dort Umzugskisten. Wir hatten 24 Stunden, um alles zu räumen.

Mit dem Nachtbus in die große Politik

jetzt.de: Wie funktioniert "beraten"?

Gottschalk: Raffarin hat sich vor allem gewünscht, dass ich mit einer nicht-französischen Perspektive die französische Politik berate. Er hat immer gesagt, ich sei sein "deutsches Auge". Zum Beispiel soll in der Nationalversammlung der Beitritt der Türkei zur EU besprochen werden. Wie verhält sich Frankreich dazu? Dann weise ich darauf hin, dass wir die Debatte in Deutschland auch sehr intensiv führen und erkläre die deutsche Diskussion. Später fragt dann der Redenschreiber: "Hast Du noch ein paar Ideen für die Rede zur Türkei?" Oder, ein anderes Beispiel, der Premier fragt in einer Arbeitssitzung: "Worum geht es in der Agenda 2010 von Gerhard Schröder? Christoph, ich brauche das bis morgen Mittag."

jetzt.de: Dazu musstest Du ein Dossier erstellen?

Gottschalk: Einerseits musste ich die Fakten und andererseits eine Einschätzung liefern. Dazu musst du, das war die goldene Regel, den kompliziertesten Sachverhalt auf eine Seite bringen.

jetzt.de: Die Agenda 2010 auf einer Seite?

Gottschalk: Ja. Da bekommst du den Schweissausbruch deines Lebens.

jetzt.de: Du wirst zur Recherche wahrscheinlich nicht Wikipedia aufgerufen haben.

Gottschalk: In der Position baust du schnell ein Informationsnetzwerk auf, mit dem du durch wenige Anrufe die Sachen beisammen hast. Du rufst einen Pressesprecher dort an, du rufst die Opposition an, du rufst beim Verband an, du rufst jemanden an, der dir vertraulich erzählt, wer die Idee eigentlich hatte und du rufst den Marketingexperten an, der dir sagt, ob die Agenda 2010 gut vermarktet ist. Du musst die Informationen schnell vernetzen und überlegen: Was ist für den Chef jetzt wichtig? Das ist eine der Standardaufgaben eines Beraters. Im Haus und in den französischen Ministerien wird den Beratern sehr gründlich zugearbeitet.

jetzt.de: Du durftest Aufgaben delegieren und in der Hierarchie über dir war fast nur noch der Premier. Ist es dir schwer gefallen, dich auf diese Arbeit einzustellen?

Gottschalk: Oh ja! Du arbeitest für den Premier, du sprichst für den Premier. Er muss sich zu 100 Prozent auf die Einschätzung seiner Berater verlassen können. Manchmal hat mich dieser Druck fast zugeschnürt! Du kannst jeden Moment einen Anruf kriegen: Das und das ist passiert, wir brauchen eine Einschätzung. Der und der ist gestorben, wir brauchen einen Nachruf. Viel arbeiten ist ja nicht das Problem, aber die Verantwortung und die panische Angst, es falsch gesagt oder empfohlen zu haben - das hat mich während der ganzen Zeit in Paris nie richtig losgelassen.

jetzt.de: Hat dir Raffarin geholfen?

Gottschalk: Ja. Ich hatte einen sehr angenehmen Kontakt zu ihm und er war immer sehr . . . schützend. Er hat gemerkt, dass das alles für mich am Anfang nicht so einfach war.

jetzt.de: Wenn man dich reden hört. . . Du wirkst euphorisch. Hat dir der Druck eine Art Kick gegeben?

Gottschalk: Absolut. Das war es. Der Einfluss und das Umfeld der Macht kann wie eine Droge sein. Es kann passieren, dass ich dem Premier etwas vorschlage, und das steht dann am nächsten Tag in der Zeitung. Manchmal wird sogar ein Gesetz draus. Aber ich muss auch sagen: Alle hohen Beamten, die ich getroffen habe, glauben fest an bestimmte Dinge. Sie sind der festen Überzeugung, das Leben erträglicher zu machen.

jetzt.de: Was hast du bewegt?

Gottschalk: Es war für viele Dinge sicher nicht von Nachteil, dass ein Deutscher im Matignon saß. Einmal habe ich den Premier gefragt, ob er sich nicht vorstellen könne, aus symbolischen Gründen einen Teil einer Rede auf Deutsch zu halten. Er spricht heute kaum Deutsch, hatte das aber mal in der Schule. Er sagte: "Machen wir!" Ich habe dann die Rede erarbeitet und bin sie immer wieder mit ihm durchgegangen, auch wegen der Betonung. Wenn dann am Ende ein Regierungschef vor den Kameras steht und der hat die Frechheit, auf Deutsch zu reden - das ist sensationell. Soviel zum Thema Droge: Da hast du kleiner Pimpf den Regierungschef dazu gebracht, dass er sich durch deutsche Sätze kämpft.

jetzt.de: Du bist 2005 vor den Bundestagswahlen zurück gekommen. Jetzt gibt es in Deutschland eine große Koalition. . .

Gottschalk: . . die in Frankreich unvorstellbar ist. Jeder Franzose weiß von sich, ob er entweder links oder rechts ist. Die Jugendlichen wissen voneinander: Bist Du UMP (Union pour un Mouvement Populaire, Anm. d. Red.) oder PS (Parti Socialiste)? Die Lager sind getrennt und es gibt kein zwischendrin.

Mit dem Nachtbus in die große Politik

jetzt.de: Sind die französischen Jugendlichen politisch interessierter?

Gottschalk: Sie sind auf jeden Fall entschlossener in ihrem Urteil. Schau dir die Studentenproteste an. Die gehen mit einer ganz anderen Rage vor sich. Sind die Jugendlichen nun politischer oder einfach schmerzfreier? Vor allem, denke ich, glauben die französischen Jugendlichen an die Kraft ihrer Stimme.

jetzt.de: In die deutschen Studentenproteste in diesem Frühjahr sollte dieser Glaube, diese Energie reingetragen werden. Die Veranstalter warben mit "Amelie - die fabelhafte Welt des Widerstands".

Gottschalk: Die französischen Studenten wirken entschlossener, weil in Frankreich der Feind besser zu erkennen ist. Es geht um Paris und einen Minister. Ich als deutscher Student weiß gar nicht: Bin ich jetzt auf Wowi sauer oder, warte mal, Schavan? Ach, die hat ja damit gar nichts zu tun. In Frankreich ist das ganz klar: Villepin kappte den Kündigungsschutz. Außerdem gibt es in Frankreich sowieso eine regelrechte Revolten-Kultur.

jetzt.de: Das ist in Deutschland anders.

Gottschalk: Das ist hier besser. Bei uns werden Interessensvertreter frühzeitig bei Änderungen eingebunden. In den Medien wird noch differenzierert berichtet. Selten finden sich Konflikte, die so heftig sind, dass man sagen kann: Jetzt gehen die Massen auf die Straßen!

jetzt.de: Welches Regierungssystem findest du spannender?

Gottschalk: Nach meiner Erfahrung in Paris eindeutig das deutsche System.

jetzt.de: Weil es durchschaubarer ist?

Gottschalk: Weil es vielfältiger ist. Es gibt durch den Föderalismus einen interessanten Wettbewerb zwischen den Bundesländern. Was ich dagegen in Frankreich mag: Dort ist es eine Ehre, für den Staat zu arbeiten. Sehr sehr viele Jugendlichen sagen in Frankreich auf die Frage nach ihrem Berufswunsch, sie möchten sich verbeamten lassen. In Frankreich gehen nur die Besten der Besten in den hohen Staatsdienst! In Deutschland hingegen gehen viele aus parteipolitischen Gründen gar nicht in die Politik.

jetzt.de: Woher kommt unsere Unlust?

Gottschalk: Bei den Jugendorganisationen der Parteien drehe ich mich in der Tür um. Diese Konformität und Angepasstheit ist nicht auszuhalten. Die Logik eines Parteiapparates auf Dauer zu akzeptieren, stelle ich mir hart vor. Ich glaube, dass es Denkverbote gibt. Und leider Gottes haben die Jugendparteien eine Karrierefunktion: Wer nach oben will, muss sich bei den Großen anbiedern. Diese Logik stinkt. Eine mögliche Lösung wäre sicherlich, offener gegenüber Quereinsteigern zu sein.

jetzt.de: Was hast du eigentlich gemacht, seit du wieder in Berlin bist?

Gottschalk: Viel Verschiedenes, vor allen Dingen aber wollte ich runterkommen und begreifen, was ich künftig machen will. Aber je mehr man nachdenkt, desto weniger weiß man am Ende. Heute denke ich: Es ist besser, einfach zu machen.

Interview: peter.wagner.jetzt.de

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