Karriere in der Politik:"Lass dich doch von denen vögeln"

Karriere in der Politik: Katrin Albsteiger (l.) und Luise Amtsberg lassen sich durch dumme Sprüche nicht von einer Karriere in der Politik abhalten.

Katrin Albsteiger (l.) und Luise Amtsberg lassen sich durch dumme Sprüche nicht von einer Karriere in der Politik abhalten.

(Foto: Silke Weinsheimer)

Als junge Politikerin kann man etwas verändern. Reich wird man allerdings nicht - und oft beschimpft.

Von Ulrike Schuster

Menschen gehen in die Politik, weil sie die Welt verändern wollen. Katrin Albsteiger nicht. "Ich dachte nie: Da läuft was schief, und du musst das jetzt richten", sagt die 33-jährige CSU-Abgeordnete aus Neu-Ulm. Sie wollte das, was morgen ist, gestalten. Dabei zu sein und mitzumachen ist für sie der Motor aller Mühe.

Seit früh um 7 Uhr sitzt sie an ihrem Schreibtisch in Berlin. An der Wand hinter ihr hängen zwei Dutzend Fotos. Albsteiger strahlend mit den Klitschkos, strahlend mit der Kanzlerin, strahlend mit Bundespräsident Gauck. Andere setzen die frohe Miene für die Kamera auf, Albsteiger ist auch ohne Blitzlicht guter Laune. "Ich bin ein positiver Mensch." Kurz vor ­Mitternacht glaubt man ihr. Nach einem Tag voller Termine klagt sie nicht, sie lächelt.

Albsteiger ist ein Alphatier, eine Frau für die erste Reihe. Eine,­ die sich die Bühne nimmt. Auf dem Parteitag 2010 schimpfte sie auf die parteiinterne Quote als "Herabwürdigung der Frau". Das war frech genug, um die Partei "für Stunden in Wallung" zu versetzen; sittsam genug, um dem Chef die Quotenmehrheit zu lassen und clever genug, um mit 26 Jahren aufzufallen. Am Ende sagte Seehofer zu ihr: "Sie waren gar nicht schlecht." Für Albsteiger die Aufforderung besser zu werden.

Sie ackert, ihr Fuß klebt am Gaspedal. 40 Stunden die Woche investiert sie ehrenamtlich in die CSU - neben ihrem Vollzeitjob bei den Stadtwerken. Im Ortsverband macht sie alles mit: das Maultaschenessen, das Singen unter dem Christbaum, den Faschingsnachmittag. 2011 wird sie Vorsitzende der Jungen Union Bayern, die erste Frau in diesem Amt, 2012 wählt sie das Magazin Politik & Kommunikation zur "Nachwuchspolitikerin des Jahres". Albsteiger läuft in der Partei unter dem Label "Shootingstar". Den meisten Druck macht sie sich selbst. Albsteiger redet nicht von Macht, aber sie weiß, dass sie am Schaltknüppel sitzen muss, um zu wirken. 2013 klettert sie in den Bundestag.

Albsteiger macht Karriere - für ihre Tochter

8 Uhr, erster Termin. Der Ausschuss "Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung", ihr Themengebiet in Berlin. 17.30 Uhr der Treff mit den Familienunternehmern. Viele schwäbische Geschäftsleute aus der Heimat sind am Pariser Platz, ihre Wähler. Sie schüttelt Hände, sendet und empfängt, es sind immer herzliche Sätze, sie lächelt; man schwimmt auf der gleichen Werte-Welle. Das sei für sie der Lohn der Politik: jeder Tag anders, täglich interessante Menschen, "unbezahlbar".

Immer noch Mittwoch, 22.30 Uhr, Abendessen im Lokal. 14 Stunden dauernd in Funktion haben bei Albsteiger keine Spuren hinterlassen, das "Adrenalin der Umtriebigen". Gleich muss sie los, noch zwei Verabredungen am Tresen, "Hintergrundgespräche". Ins Bett fällt sie um zwei Uhr nachts, mit viereinhalb Stunden Schlaf komme sie aus.

Erholung gönnt sie sich während monotoner Redezeiten anderer, auf dem Klo oder dem Beifahrersitz. Dann ist auch Zeit für bedingungslose Liebe - via Video-Chat. "Das neunte Bussi heute!" Seit einem Jahr ist Albsteiger Mutter einer Tochter. Die ist in Neu-Ulm bei Ehemann Tobias. Er macht den Hausmann und als Gesamtschullehrer Pause. "Nur die sich ­ergänzende Beziehung funktioniert", ist Albsteiger überzeugt, also macht sie Karriere und er alles zu Hause. Das letzte echte Bussi, bevor sie Montag früh in den Flieger nach Berlin steigt, sei "emotionale Folter".

Warum sie sich den Knochenjob antut? - Sie weiß es nicht. Sie habe sich diese Frage noch nie gestellt. "Zum groß Nachdenken fehlt mir die Zeit." Blickt sie auf die Tochter, weiß sie, warum sie sich um die Zukunft kümmert. Aber Albsteiger betreibt Politik pragmatisch. Sie sieht, was die Realität hergibt, beißt sich nicht an Idealen fest. Deshalb wird sie auch nicht müde. Frustriert hat sie der Berliner Politikbetrieb noch nie, mit zähen Debatten, langen Tagen und dicken Aktenstapeln habe sie gerechnet. Sie wollte einfach mitmachen, Teil von etwas Wichtigem sein, das ist alles.

Eine Abgeordnete wird gefragt und gehört

Luise Amtsberg steckt sich eine Zigarette an und sagt: "Reden halten macht mich immer noch nervös." Die 32-Jährige ist flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen aus Schleswig-Holstein, trägt Lederjacke und Stretch-Mini. Es gehe ihr um Gerechtigkeit sagt sie, deshalb sei sie hier.

Wenn sie am Pult vor dem großen Bundesadler gegen die Sammelabschiebungen von Afghanen spricht, blickt sie nicht dorthin, wo sowieso genickt und geklatscht wird. Amtsberg lenkt ihre Worte zum politischen Gegner, der CDU. "Der ­Bundesinnenminister hat die Abschiebung als 'richtig', '­verantwortungsvoll' und 'behutsam' betitelt." Dann dreht sie sich zu ihm um, Thomas de Maizière sitzt hinter ihr auf der Regierungsbank: "Ich frage Sie, Herr Minister, sprechen wir von demselben Vorgang?" De Maizière schaut von seinem Smartphone auf, wenigstens für ein paar Sekunden.

Misst man Amtsberg an der üblichen Konfektionssprache von Politikern, redet sie ungeschliffen. Sie wehrt sich bis ­heute gegen den Rhetorikkurs, zu viele Teilnehmer hat sie "komisch wieder rauskommen sehen". Wird sie an einem afghanischen Schicksal konkret, vergaloppiert sie sich schon mal mit Formulierungen. Erzählt sie auch zum hundertsten Mal von der Begegnung mit der syrischen Flüchtlingsfamilie auf Idomeni, füllen sich ihre Augen jedes Mal wieder mit Tränen. Man nimmt ihr ab, dass sie "die Menschen", von denen Politiker immer sprechen, tatsächlich meint.

Dafür ging sie zu Illner, zu Will und Plasberg - Bühnen, für die sie allen Mut sammeln musste. Die Scheinwerfer sind nicht ihr Ding, der große Druck vor öffentlichen Auftritten auch nicht. "Das darfst du jetzt nicht versauen, Millionen Menschen schauen zu", ging es ihr nachts durch den Kopf, als sie nicht einschlafen konnte.

Nach den Auftritten hagelte es Post von besorgten Frauen. Amtsberg sehe doch gut aus, scheine nicht ganz dumm, wa­rum kümmere sie sich denn nicht lieber um ihren Mann? Die zornigen, weißen Männer drohten lieber. Am Laternenpfahl solle man sie aufhängen. Mache sie so weiter, werde man sie tot am Rande eines Kornfelds finden. Und manche machten die Ideengeber: "Wenn du die Marokkaner alle so toll findest, dann lass dich doch von denen vögeln." Wählerfeedback kennt keinen Knigge. Doch der Hass und die Verachtung machen sie nur sicherer, auf der richtigen Seite zu stehen. Für Angst ist kein Platz.

"Das geht nur in meiner Funktion"

Für Familie schon. Seit einem Jahr ist Amtsberg Mutter, seitdem macht sie nur noch zwei Abendtermine die Woche, beim Frühstück zwischen 8 und 9 Uhr ist das Handy aus; das Wochenende gehört der Familie. Ein schlechtes Gewissen, weswegen? Der Beruf ist wichtig, aber nicht alles in ihrem Leben. Sie weiß, dass sie damit nicht zur Frontfrau taugt, aber der Sitz auf der Hinterbank gefällt ihr, sie will nicht zu allem etwas ­sagen müssen. Lieber stellt sie den Fokus auf ein Thema, ihr Engagement für Flüchtlinge.

Nach der Rede gegen die Sammelabschiebungen, ruft eine junge Afghanin an und sagt: "Danke, dass du für meine Landsleute gesprochen hast." Das Gleiche tat ein Professor aus ­Istanbul. Ihm hilft sie im Rahmen des Programms "Parlamentarier schützen Parlamentarier", das sich international für verfolgte Politiker und Intellektuelle einsetzt. "Das geht nur in meiner Funktion." Als Abgeordnete wird sie gefragt und ­gehört. Ihr Handeln hat Wirkung.

Diese kleinen, unscheinbaren Erfolge geben Amtsberg das Gefühl, sie mache einen Unterschied, der wichtig ist. Manchmal profitieren davon nur wenige, manchmal ist es nur ein ­einziger Mensch - für Luise Amtsberg ist das kein "nur".

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