Jugendarbeitslosigkeit in der EU:Jung, gut ausgebildet, schnell kündbar

Die Wirtschaftskrise in Europa trifft vor allem die Jugend: Selbst Akademiker werden nur noch befristet angestellt, stecken in Praktika fest oder finden erst gar keinen Job. In Deutschland ist die Jugendarbeitslosigkeit noch relativ gering. Aber wie lange noch?

Sibylle Haas

Die Jugend Spaniens ergreift jede Chance, um auf ihre schlechte Lage hinzuweisen. Vorige Woche hat sie sogar gegen den Papst demonstriert. Sie wollte nicht für die Kosten aufkommen, die sein Besuch zum Weltjugendtag in Madrid verursacht hat. Die jungen Leute wollen Arbeit statt Kreuze.

Jugendarbeitslosigkeit Europa

Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union: Klicken Sie in die Karte für eine vergrößerte Darstellung.

(Foto: SZ Grafik)

Der Protest ist verständlich. Nirgendwo sonst in Europa sind so viele Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren ohne eigenes Erwerbseinkommen wie in Spanien. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Situation der Jugend dort massiv verschlechtert. Denn seit Frühjahr 2008 hat sich die Jugendarbeitslosigkeit im Land auf heute 46 Prozent mehr als verdoppelt. Fast jeder zweite junge Spanier hat keine Arbeit. Sozialer Sprengstoff, den die Politikern nicht wahrzunehmen scheinen.

Seit Wochen belagern junge Spanier den Platz Puerta del Sol in Madrid. Auch in anderen Ländern der Europäische Union protestieren Jugendliche gegen Bildungsabbau und Sozialkürzungen. Oft wird der Aufstand als Randale abgetan. Doch es sind Sozialproteste, die sich hier äußern. Es sind nicht nur gewaltbereite Jugendliche - wie zuletzt in Großbritannien oder wie einst in den schwierigen Vorstadtmilieus französischer Großstädte - die ihre Wut nach draußen tragen. Diesmal ist es die Jugend aus der Mittelschicht, Menschen aus guten Verhältnissen, Studenten und Jugendliche mit gutem Schulabschluss, die es auf die Straßen treibt.

Sie alle fordern eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Es ist die Perspektivlosigkeit, die sie eint. Sie fühlen sich von ihren Regierungen im Stich gelassen. Viele Länder Europas sind hoch verschuldet und müssen sparen. Dies zeigt sich besonders bei der Bildung. Für viele junge Menschen agiert die Politik an deren Lebenswirklichkeit vorbei.

Die Wirtschaftskrise trifft die Jugend besonders hart. Wie Daten des Statistischen Bundesamts zeigen, ist die Jugendarbeitslosigkeit seit Frühjahr 2008 von 15 auf heute 20 Prozent gestiegen. In sämtlichen Ländern ist die Jugendarbeitslosigkeit höher als die Arbeitslosigkeit insgesamt. In Spanien ist sie sogar mehr als doppelt so hoch.

Gefährliche Trends in Deutschland

Auch in Deutschland ist die Situation junger Menschen am Arbeitsmarkt nicht gerade rosig. Doch mit einer Jugendarbeitslosigkeit von weniger als zehn Prozent sieht es hierzulande besser aus als im europäischen Durchschnitt. Die duale Berufsausbildung und die guten Startchancen von Akademikern wegen des Fachkräftemangels sind ein Grund dafür. Damit sei Deutschland in der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit "beispiellos erfolgreich", urteilt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Auch die allgemein positive Lage am Arbeitsmarkt sorge dafür, dass die Situation deutscher Jugendlicher besser sei als in anderen Ländern Europas.

Jugendarbeitslosigkeit in der EU: Düstere Zukunft: In Spanien sind inzwischen 45 Prozent aller Jugendlichen arbeitslos.

Düstere Zukunft: In Spanien sind inzwischen 45 Prozent aller Jugendlichen arbeitslos.

(Foto: AFP)

Dennoch gibt es auch in Deutschland Trends, die gefährlich werden können. Die befristeten Anstellungen junger Leute, die Aneinanderreihung von Praktika und das Hängenbleiben junger Menschen in der Leiharbeit - dies könnten Vorboten einer schwieriger werdenden Arbeitswelt sein. Die Statistiker des Bundesamtes zumindest weisen auf diese Entwicklung hin: Junge Deutsche sind öfter in "atypischen" Beschäftigungsverhältnissen angestellt. Das sind Jobs, die keine normalen Vollzeitstellen sind. Dazu zählen die Statistiker befristete Arbeitsverträge, Teilzeitarbeit bis zu 20 Stunden, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und Leiharbeit. Fast 37 Prozent der jungen Erwerbstätigen in Deutschland sind demnach "atypisch" - meist befristet - beschäftigt.

Es liegt an solchen Jobs, weshalb die Wirtschaftskrise in vielen Ländern besonders die Jugend getroffen hat. Denn während ältere Beschäftigte in festen Anstellungen mit teilweise langen Kündigungsfristen stecken, haben die Jungen prekäre Beschäftigungsverhältnisse - solche also, die meist schnell kündbar sind. Viele Firmen haben deshalb zuerst junge Mitarbeiter entlassen, als es in der Krise darum ging, Kosten zu senken und Stellen zu kürzen.

Der Volkswirt Claus Schäfer von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf fordert, befristete Arbeitsplätze stärker zu regulieren. Auch hält er einen gesetzlichen Mindestlohn für erstrebenswert und plädiert für bessere Angebote zur Kinderbetreuung. Eine der Ursachen für die gewaltsame Entladung des Frusts Jugendlicher wie in England sei die Auseinanderentwicklung von Arm und Reich. Hierzulande sei das Ost-West-Gefälle problematisch. So seien in Ostdeutschland die Löhne oft ein Viertel niedriger als im Westen. Deshalb könne man auch für Deutschland solche Konflikte nicht ausschließen.

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