Jobwelt der Zukunft:Einmal an der Uhr gedreht

Weiblicher, flexibler, anstrengender: In 20 Jahren wird die Arbeitswelt kaum wiederzukennen sein. Wer gewinnt, wer verliert - und wer keine Chance mehr hat.

Viola Schenz

Für Max Planck wäre die Veranstaltung wohl ein Graus gewesen. Der Physiker hielt weibliche Neigung zur Wissenschaft für "widernatürlich", Frauen duldete er nur ausnahmsweise in seinen Vorlesungen. Und jetzt blickten ausgerechnet Frauen in seinem Namen in die Zukunft der Arbeit, ins Jahr 2030. Eingeladen nach Berlin-Dahlem hatten die Max-Planck-Gesellschaft und die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wissenschaft (EAF), eine gemeinnützige Organisation, die sich der Chancengleichheit verschrieben hat. Die Kernfragen der Konferenz: Wer wird 2030 welcher Arbeit nachgehen? Wie verändern sich die Inhalte, Anforderungen, Qualifikationen? Wird es genug Jobs für alle geben oder gar zu viele? Gefühlte 95 Prozent der Teilnehmer waren weiblich - die meisten in leitender Funktion in Wissenschaft und Forschung, Politik und Unternehmen. Universitäten waren ebenso vertreten wie Versicherungen, Banken und Verwaltungen. Nach zwei Tagen kristallisierten sich vier Szenarien heraus. Für manche sprechen beinharte Fakten, andere bewegen sich im Bereich frommen Wunschdenkens.

Uhr Zukunft

Die Zeit bleibt nicht stehen - und die Jobwelt verändert sich kontinuierlich.

(Foto: Foto: dpa)

Arbeit wird flexibler

Wir befinden uns im Übergang von der Industrie- zur globalisierten Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. Stechuhren kennt man nur noch aus Museen, Betriebszugehörigkeiten von 20, 30, gar 40 Jahren nur noch aus Ur-Opas Erzählungen. Die Arbeitgeber wechseln genauso häufig wie die Anstellungsmodi, die Arbeitszeiten und das Einkommen. Freiberuflichkeit und befristete Tätigkeiten gehen Hand in Hand. Besonders Männer müssen sich von ihrer Ernährerrolle verabschieden, weil jetzt beide Partner mal Voll-, mal Teilzeit arbeiten, auch weil ein Einkommen nicht mehr ausreicht.

Arbeit bietet mehr Chancen, aber auch mehr Risiken. Es wird mehr Arbeit nach Hause gebracht. Feierabend, Wochenende, Urlaub werden zu einer verhandelbaren Masse, "mit gravierenden Folgen für das Privatleben", warnt Karin Jurczyk, Leiterin der Abteilung Familienpolitik am Deutschen Jugendinstitut in München. Die neue Flexibilität richtet sich nicht nach den Bedürfnissen des Arbeitnehmers, Job und Familie unter einen Hut zu bringen, sondern nach den Bedürfnissen des Arbeitgebers, immer und überall auf seine Angestellten zugreifen zu können. 2030 heißt: mehr Dienstreisen, mehr Pendeln, längere Arbeitswege, aber auch mehr Home Office - mobil und multilokal eben.

Arbeit wird anstrengender

Allein der technologische Wandel macht Arbeit schneller, anspruchsvoller und kurzlebiger. Das Smartphone macht das Lieblingscafé zum Büroersatz. Aber Kunden - und Chefs - erwarten auch, dass man im Café stets zur Verfügung steht. Das Prinzip "anytime, anywhere" bestimmt die Arbeitswelt. "Wir wollen gar nicht 60 Stunden die Woche arbeiten, aber wir müssen", lautet schon heute eine gängige Klage unter Freiberuflern und Führungskräften. Mehr Frauen in Chefsesseln fordert daher Astrid Szebel-Habig, Professorin für Betriebswirtschaftslehre in Aschaffenburg, aus einem simplen Grund: Es führt zu kürzeren Arbeitswochen - für alle. "Sitzungen, die Frauen leiten, sind schneller zu Ende. Männer nutzen Meetings zu ausufernden Selbstdarstellungen, Frauen denken pragmatischer und arbeiten effizienter, schon deshalb, weil sie irgendwann nach Hause müssen, wo Haushalt und Familie warten", sagt Szebel-Habig.

Jobwelt der Zukunft: "Anytime, anywhere" - Arbeit wird anstrengender.

"Anytime, anywhere" - Arbeit wird anstrengender.

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Arbeit wird qualifizierter

Jobwelt der Zukunft: Um im Jobmarkt der Zukunft bestehen zu können, ist Weiterbildung ein Muss.

Um im Jobmarkt der Zukunft bestehen zu können, ist Weiterbildung ein Muss.

(Foto: Foto:)

Derzeit gibt es 44 Millionen Erwerbstätige in Deutschland, im Jahr 2030 werden es je nach Prognose zwischen 37,5 und 39,4 Millionen sein. Gleichzeitig wachsen die Anforderungen an die Mitarbeiter: Sie müssen bereit sein zu lebenslangem Lernen. Schon jetzt herrscht in vielen Branchen Fachkräftemangel (zum Beispiel im Ingenieurwesen und in der IT), während Geringqualifizierte kaum noch zu vermitteln sind. Früher fanden selbst Hauptschulabbrecher noch einfachste Jobs, inzwischen werden auch von Aushilfskellnern und Lageristen Computerkenntnisse verlangt.

Der Arbeitsmarkt wird sich weiter spalten in Unqualifizierte ohne Aufstiegschancen und begehrte Fachkräfte. Weil wegen des demographischen Wandels aber immer weniger Mitarbeiter zur Verfügung stehen, müssen diese nicht nur länger arbeiten (Rente mit 70?!), sondern sie können ihren Arbeitgebern auch mehr abverlangen: Kaffeeservice am Schreibtisch etwa, kostenlose Massagen, Kinderbetreuung, ein Verwöhnwochenende im Wellnesshotel - Dinge, die führende Hightech-Firmen schon längst im Programm haben. "Nur Unternehmen, die bei ihren Mitarbeitern für die richtige Work-Life-Balance sorgen, haben eine Chance, geeignete Mitarbeiter zu finden", sagt Szebel-Habig voraus.

Arbeit wird weiblicher

Jobwelt der Zukunft: Firmen mit einem höheren Frauenanteil im Top-Management schneiden besser ab - ob deswegen auch mehr Frauen in Führungspositionen arbeiten werden?

Firmen mit einem höheren Frauenanteil im Top-Management schneiden besser ab - ob deswegen auch mehr Frauen in Führungspositionen arbeiten werden?

(Foto: Foto: iStock)

Wäre die Schicksalsbank Lehman Brothers auch dann an jenem unheilvollen 15.September 2008 zusammengebrochen, hätte sie Lehman Brothers & Sisters geheißen? In anderen Worten: Wäre die Finanzkrise glimpflicher ausgefallen, würden mehr Frauen Banken und Firmen führen? Ja, meint Linda Basch, Präsidentin des National Council for Research on Women, einem Netz von gut 100 amerikanischen Forschungszentren, und nennt Studienergebnisse: "Frauen meiden volatile Investitionen, sie planen lang- statt kurzfristig und wägen mehr Faktoren gegeneinander ab." Das zeige auch die Bilanz der Finanzkrise 2008, so Basch: "Je mehr Frauen im Management einer Firma saßen, desto geringer fiel der Aktienkurs."

Das bestätigt der Marktbeobachter Hedge Fund Research Incorporated: Die Fonds, die Frauen managten, legten zwischen 2000 und 2009 um durchschnittlich neun Prozent zu, Männer-Fonds nur um sechs Prozent. Während der Finanzkrise 2008 stürzten die Männer-Fonds 19 Prozent ab, die der Frauen lediglich zehn Prozent. Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey stellte 2007 fest, dass Firmen mit einem höheren Frauenanteil im Top-Management besser abschnitten und einen höheren Börsenwert erzielten als der Industriedurchschnitt.

Frauen können besser mit Geld umgehen

Die Erkenntnis, dass Frauen besser mit Geld umgehen, setzt sich auch in Entwicklungshilfeministerien durch. Finanzhilfen zielen vermehrt auf Frauen in der Dritten Welt, weil die Gelder nachhaltig investieren, Saatgut kaufen oder die Schulgebühren der Kinder bezahlen, während Männer und Väter es lieber verprotzen und versaufen.

Man kann es also als Zeichen der Zeit sehen, dass in Norwegen 40 Prozent der Vorstandsposten von Aktienunternehmen inzwischen von Frauen eingenommen werden müssen. Oder dass die konservative Partei UMP von Nicolas Sarkozy ein Gesetz vorgeschlagen hat, wonach die Hälfte solcher Vorstandssitze in französischen Unternehmen bis 2015 weiblich besetzt sein soll.

Das Phänomen der Leaking Pipeline

Nachwuchs gäbe es auch in Deutschland genug: Schon jetzt ist mehr als die Hälfte der Hochschulabsolventen weiblich. Selbst in "männlichen" Fächern holen die Damen auf: In den Rechts- und Sozialwissenschaften, den Ingenieurwissenschaften, den Naturwissenschaften und der Mathematik stellen sie inzwischen im Schnitt knapp die Hälfte der Studenten, in der Medizin bereits 70 Prozent.

Vernunft und Fakten sprechen also dafür, dass Frauen bis 2030 gehörig Karriere machen. Doch all den eindeutigen Zahlen steht das Phänomen der sogenannten Leaking Pipeline im Weg: Je weiter die Karriere schreitet, desto häufiger bleiben Frauen auf der Strecke: Frauen machen zwar 56 Prozent der Abiturienten aus, die Hälfte der Uni-Absolventen, 43 Prozent der Promovierten, aber nur 16 Prozent der Professoren und kaum nennenswerte 1,3 Prozent der Vorstandsposten in den 100 größten Unternehmen.

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