Jobwechsel:Puppen statt Paragrafen

Jobwechsel: Puppenspieler mit Staatsexamen in Jura: Jörg Baesecke - hier bei einer Preisverleihung - hat eine Beamtenlaufbahn gegen die Bühne eingetauscht.

Puppenspieler mit Staatsexamen in Jura: Jörg Baesecke - hier bei einer Preisverleihung - hat eine Beamtenlaufbahn gegen die Bühne eingetauscht.

(Foto: Robert Haas)

Radikale Berufswechsel sind in Deutschland die Ausnahme. Sechs Menschen erzählen, warum sie es gewagt haben.

Von Viola Schenz

Die Beliebtheit der amerikanischen Restaurant-Kette "TGI Fridays" hat auch mit ihrem Namen zu tun. Thank Goodness It's Friday ("Gott sei Dank, es ist Freitag") ist genauso genial wie einprägsam, und es spricht den vielen Menschen aus dem Herzen, die schon am Montag das Wochenende herbeisehnen. Das Hadern mit dem Job kann viele Ursachen haben: Arbeit dröge, Kollegen nervig, Chef cholerisch, Lohn gering, Karriereleiter besetzt. Menschen mit zu vielen TGI-Fridays-Momenten wechseln irgendwann den Arbeitgeber.

Und wenn es das auch nicht besser macht, denken sie über einen Berufswechsel nach. Nicht immer ist Frust das Motiv. Manche wechseln unfreiwillig, etwa weil der Partner in eine andere Stadt versetzt wird und sie mitziehen. Manche wechseln, weil der neue Job einen Traum erfüllen soll. Er soll dem Leben Sinn geben, er soll glücklich machen.

Die Ansprüche an den Beruf wachsen nämlich: In Zeiten, in denen sich immer weniger Menschen in Kirchen, Parteien oder Sportvereinen engagieren, rückt der Job in den Mittelpunkt. Frühere Generationen machten es sich leichter: Da war Arbeit bloß Broterwerb, oft anstrengend und lästig, aber nicht Teil einer Sinnsuche. Es ging nicht um Work-Life-Balance, nicht darum, etwas zu tun, was man ausschließlich gerne und gut tut, was einen beglückt. Eine niedrige Erwartung ersparte eine spätere Ernüchterung.

In Deutschland gilt ein Berufswechsel als radikaler Schritt. Hier dauern Ausbildung und Studium vergleichsweise lange, danach folgt, nach einer oft nervenaufreibenden Bewerbungsphase, die Ochsentour durch eine Firma. All diese Errungenschaften aufgeben und etwas völlig anderes starten? Das wagen wenige. "In Deutschland wird man in eine Schublade gesteckt, und aus der kommt man nur schwer wieder raus", sagt Goran Barić, Geschäftsführer der Personalberatung Michael Page. Andere Nationen sind risikofreudiger, da hängt man einen Beruf bei Nichtgefallen mal eben an den Nagel - ohne dass Familie und Kollegen bedenkenvoll das Haupt wiegen. In Australien etwa trifft man Menschen, die früher Buschpiloten waren, dann einen Catererdienst betrieben und jetzt Swimmingpools bauen. Auch Amerikaner sind fleißige Jobhopper - ohne dass das einen Makel hat.

"Deutschland ist da deutlich konservativer", sagt Baric, "das ändert sich aber gerade, auch mit einer jungen Generation, die im Ausland studiert hat und nicht so an Sicherheit hängt." Auch innerhalb Deutschlands gebe es durchaus Unterschiede. "Ein typischer Frankfurter verhält sich anders als ein typischer Stuttgarter. Wenn Letzterer einen guten Job in einem der großen schwäbischen Unternehmen hat, wird er den nicht aufs Spiel setzen. Frankfurt ist internationaler geprägt, auch mehr von Dienstleistung als von Industrie, da ist man wechselwilliger."

Lohnt sich ein Berufswechsel? Gibt es Jobs, die einen ausrufen lassen: "Schade, dass schon Freitag ist"? Wir haben mit sechs Menschen gesprochen, die mitten im Leben umsattelten.

Vom Politologen zum Infrastrukturmanager

Daniel Kerscher, 39, München: "In meinem alten Job wurde relativ früh klar, dass er nicht allzu viele Herausforderungen bereithalten würde. Ich war für eine politische Stiftung tätig, relativ schnell auch in leitender Funktion, und eigentlich klang deren Beschreibung recht spannend. Dennoch kam sehr bald Routine auf, und für so was war ich einfach noch zu jung.

Ich hatte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert, dann Politikwissenschaft, Informationswissenschaft und Geschichte studiert und in Politologie meinen Doktor gemacht. Das Studium passte also gut zur Arbeit in einer politischen Stiftung. Trotzdem kam mir das Angebot für einen neuen Job kurz nach meinem 33. Geburtstag gerade recht.

Inzwischen arbeite ich in einem völlig anderen Bereich: Ich leite die Rechts- und Strategieabteilung bei einem Infrastrukturdienstleister für die Eventbranche, den Bausektor und die öffentliche Hand. Das klingt erst mal abstrakt, aber meine Arbeit ist unglaublich vielfältig, dynamisch, spannend, und genau wegen all ihrer überraschenden Momente schätze ich sie. Wir managen zum Beispiel die gesamte Infrastruktur bei Rockfestivals oder ähnlichen Großveranstaltungen, von den Absperrungen bis zum VIP-Catering.

Wir organisieren auch komplexe internationale Großtransporte, die ad hoc erfolgen müssen, oder wir müssen an entlegenen Orten der Welt vorübergehend eine funktionierende Großküche auf die Beine stellen. Da kann man sich in etwa vorstellen, mit wie vielen Problemen man von heute auf morgen zu tun bekommt, die schnelle, flexible Lösungen erfordern. Daneben müssen rechtliche Fragen geklärt werden. Aber genau diese ständigen neuen Herausforderungen machen mir Spaß, und bei all den unterschiedlichen Tätigkeiten kommt mir mein Studium abermals zugute.

Natürlich musste ich mir all das Multitasking, das dieser Job erfordert, erst aneignen, natürlich war es anfangs schwierig, von einer stark strukturierten Tätigkeit in eine per se unstrukturierte zu wechseln. Ich komme viel herum in der Welt, lerne dabei alle möglichen Menschen kennen - und erfahre immer wieder aufs Neue, wie wenig Zeit 40 Stunden in der Woche sein können."

Von der Diplomatin zur Schauspielerin

Karin Rosnizeck, 49, Washington: "Ich habe fast zehn Jahre im amerikanischen Generalkonsulat in München gearbeitet, war dort für internationalen Kulturaustausch zuständig. Über meine Arbeit habe ich meinen Mann, einen Amerikaner, der auf Vortragsreise in Deutschland war, kennengelernt - und nach langer Überlegung den Sprung ins kalte Wasser gewagt: Ich habe meine Stelle im Konsulat gekündigt, geheiratet und bin in die USA gezogen.

Ich hatte Anglistik und Romanistik studiert, und mein Plan war, mich an Unis als Dozentin zu bewerben, im Bereich International Studies oder Kulturmanagement. Da ich aber die ersten Monate noch keine Arbeitserlaubnis hatte, habe ich Schauspielklassen besucht und wieder Blut geleckt. Denn ich hatte bereits in Theatergruppen am Gymnasium und an der Uni gespielt, später dann auf Amateurbühnen.

Viele haben mich zu meinem Schritt ermuntert, andere waren skeptisch und haben mich gewarnt à la: brotlose Kunst, zu später Einstieg. Aber ich habe es geschafft und bin inzwischen festes Mitglied an zwei Theatern in Washington. Die höchste Hürde war wohl der Alltag als Freischaffende ohne vorgegebene Struktur. Man muss sich sein Leben ganz neu und vor allem selbst gestalten. Und man muss lernen, Rückschläge zu überstehen. Für jede Rolle und Saison muss ich vorsprechen und Casting-Runden durchhalten. Als Schauspielerin mit deutschem Akzent bin ich nicht für alle Rollen einsetzbar, daher arbeite ich auch als Dialekt-Coach oder als Beraterin für deutsche Stücke.

Das amerikanische Theater- und Kulturverständnis unterscheidet sich in vielem vom deutschen. Kulturpolitik im europäischen Sinne gibt es fast nicht, oder aber sie beschränkt sich auf sogenannte "grants", also Zuschüsse von Organisationen. An solche Bedingungen muss man sich, wenn man in Deutschland mit großzügigen staatlichen Kultursubventionen gelebt hat, erst gewöhnen. Außerdem muss man üben, üben, üben. Das Lernen geht nie vorbei, zwischendrin sollte man daher immer wieder Schauspielunterricht nehmen. Na ja, und in manchen dieser Warteschleifen vermisse ich München schon sehr."

Vom Feuerwehrmann zum Piloten

Björn Walser, 39, München: "Dieses Jahr kann ich einiges feiern: Meinen ersten Job als Pilot habe ich an meinem 30. Geburtstag erhalten und im Juni 2008 angetreten. Ich bin Pilot bei Virgin Atlantic, genauer gesagt Senior First Officer und damit der Zweitranghöchste an Bord, nach dem Kapitän. Ursprünglich hatte ich eine Lehre als Energieanlagenelektroniker am Frankfurter Flughafen absolviert, dann bin ich zur Flughafenfeuerwehr gewechselt und wurde dort zum Berufsfeuerwehrmann ausgebildet. Später bin ich zur Berufsfeuerwehr München gegangen und dort noch Rettungsassistent geworden.

Pilot ist mein Traumberuf, ebenso wie Feuerwehrmann. Meine damalige Frau hat mich zu der sehr umfangreichen Ausbildung motiviert und in allem unterstützt. Eltern und Großeltern fanden es toll und sind bis heute stolz darauf. Insgesamt hat die Ausbildung zum Piloten zweieinhalb Jahre gedauert - neben meinem Beruf als Feuerwehrmann. Leider hat die Branddirektion nicht genehmigt, dass ich beides ausübe; ich musste mich also entscheiden.

Der Weg zum Piloten war hart und mit sehr viel Lernen und Prüfen verbunden. Das Schwierigste war das Englischlernen, die gesamte Theorie ist in Englisch. Ich habe jeden Abend anderthalb Stunden gepaukt - den Stoff und die Sprache. Aber ich wollte mehr Verantwortung übernehmen und nicht mehr in der Hierarchie ganz unten stehen. Auch die Gehaltsperspektiven als Pilot sind verlockend. Pilot ist dann doch der größere Traum. Ich bin immer wieder überrascht, wie komplex der Beruf ist - und wie viel Spaß er mit sich bringt. Einige neue Kollegen konnten allerdings nicht verstehen, wieso ich den Beamtenstatus aufgebe - verständlich.

Ich denke, beide Berufe haben sehr viel gemeinsam: Man muss in Stresssituationen einen klaren Kopf bewahren, Entscheidungen treffen, Risiken abwägen. Das habe ich bei der Feuerwehr und als Rettungsassistent gelernt, und das kommt mir heute noch zugute. Gott sei Dank habe ich es bisher nur im Simulator gebraucht. Was ich im neuen Beruf zusätzlich gelernt habe? Dass Piloten auch nur Menschen sind, und keine Halbgötter."

Vom Juristen zum Puppenspieler

Jörg Baesecke, 63, Pullach: "Das Theater ist seit 30 Jahren unser ganzer Stolz. Wir haben es 'Die kleinste Bühne der Welt' genannt. Aber ob die Bühne wirklich die kleinste ist? Keine Ahnung, spielt auch keine Rolle. Angefangen haben meine Frau und ich als Straßentheater in Hamburg. Erst gab es ein Koffertheater, später ein Laternentheater, einen Tisch mit belebtem Tischtuch, ein Papiertheater und eigene Bühnen-Bilder-Bücher. Wir spielen in und um München, geben auch weltweit Gastspiele.

Kaum zu glauben, dass ich eigentlich Jurist bin, mit erstem und zweitem Staatsexamen, und als solcher drei Jahre lang gearbeitet habe. Ich habe in Hamburg Jura studiert, war damals aber schon in der Theaterszene unterwegs, dort lernte ich auch meine Frau kennen. Dann kam für mich die Gelegenheit, in den gehobenen Beamtendienst einzutreten. Meine Frau meinte im Scherz: Wenn du hanseatischer Beamter wirst, trenne ich mich von dir! Ich habe mich also fürs Theater entschieden, mit 33 Jahren und dann doch freiwillig. Für einen Beruf, den meine Frau und ich gemeinsam entwickelt haben und immer noch weiterentwickeln.

Wir sind nicht nur Spieler auf der Bühne, wir texten selbst, bauen, zeichnen und gestalten - und entscheiden, was wir auf die Bühne bringen wollen. Wir können unsere Fähigkeiten zu einem Beruf bündeln, etwas Eigenes schaffen. Ich hatte vorher schon eine Zeit lang nebenbei als Schauspieler gearbeitet, vieles ist also autodidaktisch entstanden. Daran konnte ich anknüpfen. Manche Kollegen aus der Juristerei waren seinerzeit richtig neidisch. Jura ist und bleibt dennoch nützlich für mich, mit Paragrafen bin ich nicht so leicht einzuschüchtern. Anfangs lief aber das Umschalten von formalisierter auf poetische Sprache schwer.

Wir sind dann nach München gezogen, nach der Geburt unserer ersten Tochter war die ungesicherte Existenz schon eine Belastung. Immer wieder gab es Durststrecken, was ja durchaus normal ist in einem künstlerischen Beruf. Dann tauchte verlässlich die Frage auf: Hätte ich damals nicht doch Beamter werden sollen? Aber bereut habe ich den frühen Wechsel nie."

Von der Pressesprecherin zur Handelsvertreterin

Katrin Bernsmann, 41, Gelsenkirchen: "Meine vorherigen beruflichen Stationen waren wunderbar, ich habe viel gelernt, hatte tolle Kollegen und Freude an der Arbeit. Dennoch war ich auch unzufrieden - damit, ständig um die Verlängerung meiner Projektverträge bangen zu müssen, unabhängig von meiner Leistung. Auch nach neun Jahren in dem Beruf hatte sich daran nichts geändert, das lähmte mich.

Mein neuer Job kam 2014 durch pures Glück und Zufall daher. Erst in Form des Produkts, einer Küchenmaschine, dann als Angebot, diese Maschinen direkt zu vertreiben. Nie hätte ich gedacht, dass das so vielseitig sein kann. Kochvorführungen beim Kunden, Kundenservice, Moderation von Kochkursen, Ausbildung und Coaching neuer Mitarbeiter, Aufbau des Teams. Ich bin selbständig, das heißt, ich habe meinen Erfolg selbst in der Hand. Das ist für meine Motivation entscheidend: zu spüren, wie leicht sich die Erfolge einstellen, wenn ich tun darf, was ich besonders gut kann und wofür ich brenne.

In der Firma, für die ich arbeite, werden die Arme weit ausgebreitet für jemanden, der fleißig neue Ziele in Angriff nimmt. Wer mehr will, bekommt maßgeschneiderte Unterstützung: Coaching, Weiterbildung und Motivation. Und so ganz nebenbei kann ich mir meine Zeit flexibel einteilen - ideal für eine zweifache Mutter.

Als Teamleiterin wurde ich neun Monate geschult. Lebenslanges Lernen bleibt wichtig für meinen Job. Wer so flexibel agieren muss und so viele unterschiedliche Aufgaben erfüllen will, tut gut daran, in Bewegung zu bleiben. Dabei hilft mir mein alter Beruf sehr: Kommunikation, schriftlich wie mündlich, ist immens wichtig, und die Aufmerksamkeit anderer Menschen wecken zu können, hilft mir ebenfalls. Vorher etwas ganz anderes getan zu haben, macht einen außerdem gelassener und souveräner im Umgang mit Herausforderungen.

Selbständigkeit bringt allerdings eine neue Art der Selbstorganisation mit sich, auf die ich mich erst einstellen musste, vor allem beim Thema Versicherung und Steuern. Aber das habe ich gern in Kauf genommen, auch wenn das sicher nie der Lieblingsaspekt meiner Arbeit werden wird."

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