Jobvermittler in den Arbeitsagenturen:Headhunter für die Masse

Wieder einmal kursieren Gerüchte, dass Vermittler Jobsuchende so lange schikanieren, bis diese sich von allein aus dem Arbeitslosensystem verabschieden. Doch ganz gleich, ob das stimmt, Tatsache ist: Die Arbeitsvermittler müssen künftig individueller beraten, windige Fortbildungen endlich aussieben - und überzogene Erwartungen vieler Arbeitgeber bremsen.

Uwe Ritzer

Wenn es stimmt, wäre es ein handfester Skandal. Schon einmal geriet die Bundesagentur für Arbeit ihrer Statistik wegen in Verruf; damals hieß sie noch Bundesanstalt, und es ging um manipulierte und geschönte Vermittlungsstatistiken. Neun Jahre ist das her, und am Ende der Affäre musste Bernhard Jagoda als BA-Chef gehen, und der tiefstgreifende Umbau in der Geschichte der deutschen Arbeitsverwaltung begann.

Bekanntgabe der Arbeitsmarktdaten fuer Februar

Die Jobvermittler müssen umdenken - und Arbeitslose qualifiziert beraten. Sonst bleiben sie am Ende nur auf den Schwervermittelbaren sitzen.

(Foto: ag.ddp)

Aus dem Behördenmoloch sollte ein auf messbaren Erfolg und Effizienz getrimmter Dienstleister in staatlichem Auftrag werden. Nun allerdings werden neue Vorwürfe laut - wieder geht es um dubiose Zahlenspiele.

Arbeitsvermittler würden Erwerbslose so lange schikanieren, bis diese aufgeben und sich aus dem Leistungsbezug abmelden. Dadurch fallen sie aus dem System, tauchen in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr auf, und weil das fast überall so geschehe, werde die Situation auf dem Arbeitsmarkt geschönt. Sagen jedenfalls Vertreter von Erwerbslosenorganisationen.

Fakt ist: Allein im Oktober meldeten sich 200.000 Menschen in die Nichterwerbstätigkeit ab. Das mag verschiedene Gründe haben, aber die hohe Anzahl ist doch auffällig. Ob beziehungsweise wie viele der Betroffenen tatsächlich von Arbeitsvermittlern aus dem System geekelt wurden, kann niemand seriös belegen.

Sie haben es aber auch nicht leicht, die Jobvermittler in den Arbeitsagenturen. Nicht nur weil ihnen die BA in Zahlen fixierte Ziele abverlangt, wie viele Erwerbslose sie vermitteln müssen. Ihr eigener Job wird vor allem deshalb schwieriger, weil Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt immer schwerer in Einklang zu bringen sind. Anders formuliert: Es gibt tendenziell immer weniger Bewerber für qualifizierte Stellen. "Fachkräftemangel" klagt die Wirtschaft bereits, was so aber nicht stimmt. Noch nicht.

Gewiss, es gibt Engpässe, aber nicht flächendeckend. Bei genauer Betrachtung ist zu erkennen, dass es in einigen Berufsgruppen, Branchen und in wenigen Boomregionen tatsächlich einen Mangel an Fachleuten und speziell Akademikern gibt. So fehlt es beispielsweise an Maschinenbauingenieuren im Ballungsraum Stuttgart.

Überzogene Erwartungen der Arbeitgeber

Auch wenn manche Klage über Fachkräftemangel aktuell überzogen ist - dauerhaft wird er in jedem Fall kommen. 2020 werden nach einer Erhebung des Instituts zur Zukunft der Arbeit 240.000 Ingenieure fehlen. Das Arbeitskräftepotential hierzulande wird sich allein aus demographischen Gründen bis 2025 um 6,5 Millionen Personen verringern.

Alle am Arbeitsmarkt werden umdenken und sich darauf einstellen müssen. Die Unternehmen täten gut daran, dies schnell zu tun. In vielen Fällen sind die Erwartungen der Arbeitgeber an künftige Mitarbeiter weit überzogen. Man gibt sich nicht nur mit der guten Lösung zufrieden, man fordert vom Vermittler die perfekte.

Es gibt Handwerksbetriebe, die vom künftigen Azubi einen guten Realschulabschluss verlangen. Dabei täte es der entwicklungsfähige, praktischer veranlagte und genauso zuverlässige Hauptschüler oft wahrscheinlich sogar noch besser.

Noch schlimmer ist es in Teilen der Gastronomie. Sogar mit vielen Sternen gesegnete Hotelketten stellen mancherorts doppelt so viele Azubis ein, wie sie benötigen. Wohl wissend, dass nicht der unattraktiven Arbeitszeiten als vielmehr der vorsintflutlichen Umgangsformen und der Brüllkultur im eigenen Haus wegen die Hälfte der jungen Leute ohnehin bald abspringen wird.

Diese falsche Erwartungshaltung einerseits, die schrumpfenden Bewerberzahlen und der absehbare Fachkräftemangel andererseits stellen auch die Arbeitsvermittler vor neue Herausforderungen. Ihr Job wird anders werden. Die Machtverhältnisse ändern sich gerade. Und zwar zugunsten derer, die eine Ausbildung oder eine neue Beschäftigung suchen. Ein Bewerbermarkt entsteht.

Reform der Jobvermittlung notwendig

Dieser Paradigmenwechsel ist mental noch nicht bei allen Arbeitgebern angekommen. Sie geben den Druck an die Vermittler in den Arbeitsagenturen weiter, die aber längst nicht mehr aus dem Fachkräfte-Reservoir schöpfen können wie noch vor wenigen Jahren. Und die vor allem damit zu kämpfen haben, dass die Klientel auf der Bewerberseite anspruchsvoller und in Teilen schwieriger geworden ist.

Das bedeutet einen Mehraufwand in der täglichen Vermittlung ebenso wie bei der Weiterqualifizierung der Arbeitslosen. Manches von dem, was da an sogenannter arbeitsmarktpolitischer Qualifikation angeboten wird, entspricht nicht den tatsächlichen Erfordernissen. Was für die privaten Bildungsträger ein gutes Geschäft ist, ist für viele Betroffene verlorene Zeit.

Man hört von EDV-Kursen an hoffnungslos veralteten Computern oder von Akademikern, die bei ihren Umschulungen über sinnentleerte Beschäftigungen klagen, anstatt wirkliche Fortbildung zu erleben. Künftig werden die Vermittler da genauer hinschauen müssen - und nicht mehr nur froh sein können, dass ein Erwerbsloser in einer Weiterbildungsmaßnahme als Scheinversorgter erst einmal aus der Statistik ist und keine (Vermittlungs)arbeit mehr macht.

Ohne Zweifel ist vieles besser geworden, seit die Arbeitsverwaltung sich als dienstleistende Agentur und nicht mehr als Behörde versteht. In alten Anstaltszeiten waren Vermittler auf beiden Seiten unterwegs: Sie waren für die Arbeitgeber da und jene, die eine Anstellung suchten. Das bedeutete in der Praxis: Lange Bewerberschlangen vor der Tür, keine Zeit für den Einzelfall, geschweige denn für Außendienst beim Unternehmen, um dort präziser zu eruieren, welchen Zuschnitt der neue Mitarbeiter haben muss.

Das hat sich geändert. Die Jobvermittler wurden aufgesplittet: Die einen betreuen die Unternehmen, die anderen kümmern sich um die Arbeitssuchenden. Die kommen nicht mehr aufs Geratewohl, sondern vereinbaren vorher Termine. Der Vermittler kann sich besser vorbereiten, und er soll sich mehr Zeit nehmen. So sollte es zumindest sein.

Jobsuche endet im eigenen Agenturbezirk

In der Hälfte der Fälle würde dies auch ganz gut klappen, sagen Vermittler hinter vorgehaltener Hand. Vieles aber läge noch im Argen. In der Kommunikation mit den unmittelbar Beteiligten, aber auch innerhalb des weit verzweigten BA-Netzes. Bundesweit einheitliches EDV-System hin oder her - wenn ein Betrieb in Süddeutschland Schweißer sucht, bedeutet das noch lange nicht, dass der Vermittler sie unter arbeitslosen Werftarbeitern an der Nord- oder Ostseeküste sucht.

Oft endet die Suche im eigenen Agenturbezirk, bestenfalls noch bei den angrenzenden Nachbarn. Alles andere nämlich wäre aufwendig. Was aufwendig ist, kostet Zeit, und was Zeit kostet, gefährdet die eigene Zielvereinbarung. Nämlich möglichst viele Kunden in Arbeit zu vermitteln.

Es wird daher eine Reform der Jobvermittlung brauchen. Sie wird künftig mehr denn je qualitativ arbeiten müssen. Ausgerichtet nicht auf möglichst viele und schnelle statistische Erfolge; sondern sie wird individueller, maßgeschneiderter und intensiver werden müssen. Das ist eine Konsequenz aus jenen Handlungsfeldern, die Arbeitsmarktforscher längst definiert haben, um Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Demnach müssen die Zahlen der Schulabgänger ohne Abschluss, der Ausbildungs- und der Studienabbrecher reduziert werden. Potentiale bei Menschen über 55 Jahren und bei Frauen ohne Erwerbstätigkeit (der Klassiker ist die alleinerziehende Mutter, die trotz guter beruflicher Perspektiven mangels Unterstützung zu Hause bei ihren Kindern bleibt) müssen gehoben werden. Und der Fachkräftezuzug muss gesteuert werden.

Dies setzt voraus, dass Jobvermittler intensiver als bisher am Bedarf arbeiten. Dass sie Betriebe von flexiblen Arbeitszeitmodellen und mehr Qualifikationsangeboten für ihre Mitarbeiter überzeugen müssen. Dass sie Jobsuchende aber auch individueller werden beraten und unterstützen müssen.

Konkurrenz von privaten Vermittlern

Sprich: Die reine "Einweisung" in eine Qualifizierungsmaßnahme nach Schema F wird nicht mehr reichen. Jobvermittler müssen sich künftig als Headhunter verstehen, die für einen Kunden auf Unternehmensseite den bestmöglichen Mitarbeiter auswählen.

Wenn sich das Vermittlungssystem in den Arbeitsagenturen auf all das nicht einstellt, könnte es gut sein, dass private Vermittler bald die attraktivsten Kunden wegschnappen. Angefüttert von Vermittlungsprämien der BA tummeln sich allerhand unseriöse Anbieter in dem Markt.

Im Bereich von Akademikern aber gibt es erfolgreiche Beispiele privater Vermittler, die durch spezialisierte und passgenaue Vermittlung von Topleuten sehr erfolgreich sind. Sie könnten künftig auch den Fachkräftemarkt für sich entdecken. Je eher sich die Agenturen darauf einstellen, umso besser. Denn sonst blieben ihnen am Ende nur die Schwervermittelbaren.

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