Jobsuche nach dem Studium:Auf und davon

Zuhause stapeln sich die Absagen, im Ausland die Stellenzusagen: Manchem deutschen Hochschulabsolventen wird anderswo der rote Teppich ausgerollt. Doch nicht alle sind so gefragt.

Nicola Holzapfel

Der Arbeitsvermittler schüttelt den Kopf. "Das ist nichts", sagt er. Er überfliegt ein Jobangebot nach dem anderen, aber für Helmut Schemm ist nichts Passendes dabei. Schemm ist bereit, nach Großbritannien oder Irland auszuwandern. Denn in Deutschland kann sich seit Monaten kein Arbeitgeber entscheiden, ihn einzustellen. Dabei hat der diplomierte Medienmanager alles, was in Stellenanzeigen so gerne verlangt wird: eine Berufsausbildung, Berufspraxis, einen Uni-Abschluss, Fremdsprachen, Auslandserfahrung, Computerkenntnisse.

Auf und davon: Deutsche Hochschulabsolventen zieht es zur Jobsuche ins Ausland. Doch nicht alle Abschlüsse sind gefragt.

Ausweg Ausland: Immer mehr Deutsche zieht es fort. Manche suchen eine Job, andere flüchten vor einem Gefühl der Perspektivlosigkeit, das sie in ihrer alten Heimat beschlichen hat.

(Foto: Foto: iStockphoto)

"Die berühmte Liste im Kopf", sagt Schemm, jeder Student würde sie für sich abhaken. Dass er trotzdem noch keinen Job gefunden hat, macht ihn ratlos. "Da fragt man sich, was man noch machen kann", sagt er und zuckt die Achseln. Nun sitzt er wie Hunderte vor ihm im Büro von Ramiro Vera-Fluixá vom Europa-Service der Arbeitsagentur in München. Hierher kommt, wer im europäischen Ausland arbeiten will. Und das werden immer mehr.

Etwa 100 Bewerber betreut der Jobvermittler zurzeit. Auch bei der Auslands-Hotline der Behörde steigen die Anfragen. In diesem Jahr haben sich schon mehr als 55.000 potentielle Auswanderer gemeldet. Denselben Ansturm melden die Auswanderer-Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände. Beim Raphaels-Werk sind die Anfragen im vergangenen Jahr bundesweit um fast zehn Prozent gestiegen. "Es kommen immer mehr Berufseinsteiger und sogar Studenten. Sie sind zum Teil desillusioniert und verzweifelt. Sie glauben, hier nichts werden zu können", sagt Monika Schneid vom Raphaelswerk in Hamburg. "Manche haben Angst, eines Tages zur Generation Praktikum zu gehören - ohne bislang je ein Praktikum gemacht zu haben."

Mancher setzt seine Hoffnung jedoch vergeblich aufs Ausland. Nicht alle haben Chancen auf einen Job, der ihren Qualifikationen entspricht. Vor allem gleich nach dem Studium ist es schwer, etwas zu finden. Vera-Fluixá durchforstet für seine Bewerber die Jobbörse der Bundesagentur und das Stellenportal Eures. Hier speisen europaweit alle staatlichen Arbeitsbehörden freie Stellen ein, auch Unternehmen können auf der Webseite direkt Positionen ausschreiben. Mehr als eine Million Jobs stehen im Dezember im Netz. Doch für die meisten Angebote wird Berufserfahrung von mindestens zwei Jahren vorausgesetzt.

Für Vera-Fluixás Klientel ist es nicht einfach: Er betreut die Orchideenfächer, Geistes- und Sozialwissenschaftler, aber auch Betriebswirte. Andere Fachrichtungen haben mehr Glück, etwa die Ingenieure und IT-Experten. "Ich selber bin Politologe. Da blutet mir ab und zu das Herz", sagt der Berater.

Immerhin, einen Renner hat er unter seinen Kunden: die Sozialpädagogen. Sie haben zurzeit gute Chancen, in England einen Job zu finden. Dort ist der Bedarf an Fachkräften so hoch, dass britische Rekruiting-Dienstleister in ganz Deutschland zu Jobmessen einladen. 30Bewerber auf einmal erreichte so die Rekruiting-Firma Jacaranda bei einer Veranstaltung im November in der Münchner Arbeitsagentur. Im 15-Minuten-Turnus führten die britischen Stellenhändler Vorstellungsgespräche.

Auf und davon

Melanie Matthies ist guter Dinge. "Ich bin fest entschlossen zu gehen", sagt die Sozialpädagogin. Seit Wochen poliert sie zusammen mit elf anderen arbeitslosen Sozialpädagogen ihr Englisch auf. Gezahlt wird der Sprachkurs von der Arbeitsagentur.

Es ist nicht so, dass Matthies in Deutschland gar keine Chancen hätte. Aber die Briten legen sich ganz schön ins Zeug, sie für sich zu gewinnen. Zudem hat sie dort gute Aussichten auf eine Festanstellung. In Deutschland hangeln sich viele Kollegen von einem befristeten Job zum nächsten. "Für Sozialpädagogen ist es seltsam, wenn Arbeitgeber ihnen plötzlich den roten Teppich ausrollen", sagt Matthies.

Trotzdem schreckt manche Absolventen der bürokratische Aufwand. Deutsche können zwar innerhalb der Europäischen Union überall leben und arbeiten. In einigen Berufen muss man aber erst nationale Anerkennungsverfahren durchlaufen. Wer beispielsweise als Sozialpädagoge nach Großbritannien will, muss sich dort registrieren lassen - das kostet und ist mühsam. Zeugnisse wollen übersetzt, Bestätigungen eingeholt werden.

Bei Doris Ritzmann zieht sich die Registrierung nun schon seit Mai hin. Im Januar freute sie sich über die Zusage eines britischen Arbeitgebers. In Deutschland dagegen kam sie mit der Jobsuche nicht voran. "Ich musste mir bei Vorstellungsgesprächen eine Menge anhören, wegen meines Alters und weil ich Kinder habe..." Die 43-jährige Sozialpädagogin schüttelt den Kopf. In England sei das anders gewesen. "Da ging es allein ums Fachliche." Vor dem Schritt ins Ausland hat die dreifache Mutter keine Angst, im Gegenteil: "In Deutschland ist alles so negativ. Ich habe hier die Lust verloren. Ich will endlich arbeiten."

Wer mit Job-Suchenden spricht, spürt viel Enttäuschung über den deutschen Arbeitsmarkt. Starr sei er, die Arbeitgeber seien unflexibel, die Stellenausschreibungen unrealistisch. Antworten ließen Monate auf sich warten, Unterlagen würden nicht zurückgeschickt. "Die Unternehmen lassen einen spüren, dass es viele Bewerber gibt und sie in der besseren Position sind", sagt Medienmanager Schemm. Kein Absolvent könne die "exorbitanten Erwartungen" erfüllen. In vielen Fällen soll er das wohl auch gar nicht. Wie Auswertungen der Bundesagentur für Arbeit zeigen, wünschen sich die Unternehmen vor allem Bewerber, die passgenaue Erfahrung in exakt der ausgeschriebenen Tätigkeit mitbringen. Explizit an Absolventen richtet sich gerade mal ein Prozent der Ausschreibungen.

Sandra Müller ist dem deutschen Arbeitsmarkt entkommen. Seit einem Jahr arbeitet die 31-Jährige bei einer deutschsprachigen Zeitung auf Mallorca. "Ich bin froh, dass dieses Gefühl der Perspektivlosigkeit endlich weg ist", sagt sie. An ihren neuen mallorquinischen Bekannten sieht sie, dass es in Spanien viel leichter ist, den Job zu wechseln und etwas anderes zu machen als das, wofür man ausgebildet ist. "Der Arbeitsmarkt ist viel durchlässiger", sagt die Journalistin.

Ihren Kollegen am Nachbarschreibtisch hat es aus Paderborn auf die Insel verschlagen: Der Journalist Frank Feldmeier hatte nach dem Studium zwar eine Stelle in Deutschland gefunden, doch die war befristet und schlecht bezahlt. Mit dem Angebot aus Palma konnte sie nicht konkurrieren: "Ich habe meinen Traumjob gefunden. Es kommt mir so vor, als wäre meine ganze Ausbildung und alles, was ich bislang gemacht habe, genau darauf zugelaufen", sagt der 30-Jährige.

Den Begriff Traumjob nimmt Helmut Schemm nicht in den Mund, wenn er über seine Zukunft spricht. Noch hat er die Hoffnung nicht aufgegeben, zum neuen Jahr eine Stelle zu finden. Dann endet sein Praktikum. Acht Bewerbungen hat er zurzeit offen. Eine klingt vielversprechend, mehrere Runden hat er bereits geschafft. Der Job wäre in Dublin.

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