Jobcenter in Berlin:Ein Platz für kleine Erfolgserlebnisse

Arbeitssuche im Problembezirk: Wie überlastete "Fallbetreuer" versuchen, Hartz-IV-Empfängern eine Stelle zu vermitteln. Zu Besuch in einem großen Berliner Jobcenter.

Thomas Öchsner, Berlin

Wer das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg betritt, stößt als Erstes auf einen Wachmann in dunkelblauer Uniform. Sicher ist sicher, es könnte ja mal einer der Besucher die Nerven verlieren. Trotzdem wird hier keiner, so wie dies in manchen Ämtern vorübergehend der Fall war, nach Waffen abgetastet.

Die Sicherheitsleute am Eingang grüßen freundlich, fragen, was die Kunden - so heißen Hartz-IV-Empfänger in der Amtssprache wirklich - wollten und lassen solche mit einem Gesprächstermin mit dem Aufzug nach oben fahren. Unten reihen sich diejenigen ohne Termin in die Schlange ein, die sich an diesem Montagmorgen in der Anmeldung gebildet hat. Die Schlange windet sich in Serpentinen von der Eingangstür bis zu einer Reihe mit Schaltern. Leuchtet an einem der sieben Pulte eine grüne Lampe auf, darf der Nächste zur Sachbearbeiterin vortreten, wie im Reisezentrum der Bahn, nur muss niemand eine Nummer ziehen.

Bis zu 1000 Menschen kommen pro Tag in das drittgrößte Berliner Jobcenter. Die Zeiten, in denen die Berliner Lokalpresse nach der Einführung der Hartz-Reformen von der "Schlange der Schande" berichtete, sind aber längst vorbei. Keiner muss mehr auf der Straße warten. Es gibt ein "Kundensteuerungssystem", so nennt es der Chef des Amtes, Stephan Felisiak. "Hier wird niemand nach Hause geschickt", sagt er.

Berlin-Friedrichshain ist das, was Soziologen als Problembezirk bezeichnen. Die Arbeitslosenquote ist mit 16,6 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in ganz Deutschland. Jeder Fünfte zwischen 15 und 20 Jahren ist auf Jobsuche, das ist selbst für Berliner Verhältnisse übermäßig viel. Von den etwa 270.000 Einwohnern im Bezirk leben mehr als 60.000 Erwachsene und Kinder von der staatlichen Grundsicherung (Hartz IV). Gut ein Drittel ist länger als ein Jahr arbeitslos. Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen hat keine Berufsausbildung. Bei den ausländischen Erwerbslosen, die etwa ein Drittel ausmachen, sind es sogar 80 Prozent. In der Schlange vor den Meldeschaltern sprechen viele kein Deutsch. Einige Eltern haben ihre Kinder mitgebracht, um einen Übersetzer zu haben.

Im achten Stock sitzt Jobcenter-Leiter Felisiak im Besprechungsraum und denkt über seine Kunden nach. Ein drahtiger Mann von 49 Jahren, weißes Hemd, schwarzer Anzug, ohne Krawatte, seit mehr als sechs Jahren der Chef hier. Er sagt, "dass die Hartz-Reformen Bewegung ins System gebracht haben". Trotzdem sind die Erfolgsquoten eher bescheiden: In diesem Jahr soll Felisiak es schaffen, dass 21,3 Prozent aller Hilfsbedürftigen in Friedrichshain-Kreuzberg einen Job aufnehmen, sich selbständig machen oder eine Ausbildung beginnen. Für die Kontroller in der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg ist das die "Integrationsquote". Die Chancen sind dafür 2011 besonders gut, weil die Wirtschaft besser als erwartet läuft. Felisiak weiß aber auch: "Diejenigen, die innerhalb kürzester Zeit keine Arbeit finden, sind immer schwieriger unterzubringen."

"Der will arbeiten"

Wer erstmals hierher kommt, wird genau durchleuchtet. Profiling nennen sie das in den 355 deutschen Jobcentern, wie bei der Kriminalpolizei. Alles soll möglichst auf den Tisch, die Vorgeschichte der Arbeitslosigkeit, die Ausbildung, Krankheiten, Suchtprobleme, bis ein Profil entsteht. Sechs Profile gibt es, drei für "marktnahe" und drei für "marktferne" Jobsuchende. Die Grenzen sind fließend. Die meisten hier sind "marktfern", man könnte auch sagen, sie haben mit einer richtigen Arbeit lange nichts mehr zu tun gehabt. Um besonders schwere Fälle, im Fachjargon die "mit multiplen Vermittlungshemmnissen", kümmern sich 20 Fallmanager. Einer von ihnen ist René Walther. Laut Gesetz dürfte er nicht mehr als 75 Langzeitarbeitslose betreuen. Tatsächlich sind es fast 100. Der Betriebswirt war früher Marketingleiter in einer EDV-Firma, bis er "bestimmte Dinge nicht mehr tun wollte". Heute sitzt der 37-Jährige im Raum 2059 und hat bei seiner Arbeit zumindest ein gutes Gewissen. Er erzählt, dass die Fälle mit psychischen Problemen wie Depressionen oder Sozialphobien erschreckend zugenommen hätten. Viele seien alkoholkrank oder von Betäubungsmitteln abhängig.

An diesem Vormittag hat bei Walther eine dürre Mittfünfzigerin einen Termin, die sich noch nicht aufgegeben hat. Helga Müller (Namen aller Arbeitslosen geändert) ist Mitte der neunziger Jahre arbeitslos geworden. Die gelernte Hotel- und Gaststätten-Kauffrau wurde zur Alkoholikerin, schaffte eine Entziehungskur, aber kein Wirt wollte sie mehr dauerhaft anstellen. "Die wollen keine älteren Leute. Außerdem kann ich wegen meiner Gesundheitsprobleme nicht länger als sechs Stunden pro Tag arbeiten", sagt sie. Walther hat für sie jetzt wieder einen Ein-Euro-Job, sie soll sich in einer gemeinnützigen Initiative vorstellen. Sie erklärt, dass sie das gerne tun werde. Es sei wichtig, "rauszukommen, damit einem die Decke nicht auf den Kopf fällt".

Sein Büro ist ein Reich für kleine Erfolgserlebnisse. Walther nennt seinen Job "eine Sisyphusarbeit". Ab und zu schafft einer der Hartz-IV-Empfänger den Sprung auf den ersten, ungeförderten Arbeitsmarkt. Nach spätestens drei Jahren sollen sie zumindest so weit sein, dass sie keinen Fallbetreuer mehr brauchen, sondern zu einem der 180 Vermittler wie Hartmut Wolfgramm gehen können. Der frühere Pädagoge ist ein Mann der eindeutigen Worte, kurz geschorenes Haar, sehr energisch, fast autoritär. Auf seiner Fensterbank steht eine Karte mit dem Spruch: "Manchmal reicht ein klärendes Gespräch." So geht er auch mit seinen Besuchern um. Vor ihm sitzt der 38-jährige Herr Thiel, der wegen einer Allergie nicht mehr als Maler und Lackierer arbeiten kann.

Hans Thiel hat noch zwei Probleme: Er ist ohne Führerschein und alleinerziehender Vater. Viele Stellen, über die Wolfgramm mit ihm redet, kommen deshalb gar nicht in Frage. Auch nicht die als Lagerarbeiter, obwohl sich Thiel dafür weitergebildet hat. "Arbeit in Schichten", liest der Vermittler vor und schiebt lakonisch hinterher: "Das war's." Später finden sie doch noch etwas. Thiel soll sich als Verkäufer in einer Bäckerei bewerben. Wolfgramm fragt, ob er das wolle. Die Antwort lautet knapp: "Natürlich."

Für den Arbeitsvermittler ist Thiel ein dankbarer Fall: "Der will arbeiten, wie der überwiegende Teil der Leute, die hierher kommen. Und der wird es auch irgendwann schaffen." Wolfgramm kennt auch die anderen: Diejenigen, "die sich hinter Krankheiten verschanzen". Die, denen er helfen muss, "aus ihrer Lethargie herauszukommen". Oder diejenigen, "die immer eine Ausrede haben und sich im Hartz-IV-Bezug eingerichtet haben". Er kennt auch die ausweglosen Fälle wie den 55-jährigen Maurer. "Den kriegen sie auf dem Bau nicht mehr unter, und den können sie auch nicht mehr umschulen", sagt er. Nur aufgeben will er keinen: "Ein Pädagoge", sagt Wolfgramm, "gibt keinen Menschen auf."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: