Job-Rotation:Wollt ihr euch treu sein bis zur Rente?

Fluktuation in der Firma

Jedes Jahr wechselt rechnerisch knapp jeder Dritte den Job. In manchen Unternehmen will jedoch fast niemand gehen - das kann zum Problem werden.

(Foto: mauritius images/Caia Image)

In manchen Unternehmen geht fast niemand freiwillig. Doch zu viel Routine kann Motivation und Innovationen hemmen. Eine Lösung: die Job-Rotation.

Von Sigrid Rautenberg

Natürlich hat Sigrid Heudorf das Datum ihres ersten Arbeitstages parat: Am 11.11.1998 wurde sie Teil der Eisenbahnerfamilie, wie es bei der Deutschen Bahn heißt. Seitdem ist die Juristin ihrem Arbeitgeber treu geblieben. Aktuell ist sie Leiterin Beschäftigungsbedingungen, Sozialpolitik und Personal. Mit ihrem Team verhandelt sie beispielsweise mit den Gewerkschaften über neue Tarifverträge. Die Personalmanagerin hat nicht vor, die Bahn zu verlassen. Das hat sie mit den meisten ihrer Kollegen gemein: Die Fluktuation liegt bei gerade einmal fünf Prozent, ohne Pensionierungen sogar nur bei 1,3 Prozent.

Jedes Jahr wechselt rechnerisch knapp jeder dritte Arbeitnehmer in Deutschland den Job. Die Fluktuationsquote beträgt damit rund 30 Prozent, Pensionierungen werden grundsätzlich eingerechnet. Die Quote wird erhoben, indem das Mittel der in einem Jahr neu begründeten und beendeten Beschäftigungsverhältnisse ins Verhältnis zur durchschnittlichen Beschäftigtenzahl gesetzt wird.

Neben persönlichen Motiven hängt die Fluktuationsrate von weiteren Faktoren ab. So kündigen bei guter wirtschaftlicher Lage mehr Arbeitnehmer, um sich beruflich zu verbessern. Auch der Standort spielt eine Rolle, in manchen Regionen fehlen schlicht Jobalternativen. Zudem spielen Betriebsklima und Unternehmenskultur eine große Rolle.

So negativ eine hohe Fluktuation meist bewertet wird, so problematisch kann aber auch ein sehr niedriger Wert sein. Dann nämlich kommt kaum neuer Input von außen ins Unternehmen. Und auch für den Arbeitsmarkt insgesamt wäre es schlecht, wenn jeder sein ganzes Berufsleben lang an ein und demselben Job kleben würde. Außenstehende hätten kaum eine Chance, einen Fuß in die Firmentür zu bekommen.

Angst vor zu viel Routine

In ihrer fast zwanzigjährigen Betriebszugehörigkeit hat Heudorf häufig ihren Job gewechselt - innerhalb des Konzerns. Inzwischen ist es ihre siebte Station. Die Eisenbahnerin hat bei verschiedenen Tochtergesellschaften gearbeitet, unter anderem bei einem Güterterminal-Betreiber und im Fernverkehr, nun ist sie in der Konzernleitung. "Ich kenne viele andere Führungskräfte mit einer ähnlichen Biografie", sagt Heudorf. "Viele wechseln intern. Das ist natürlich der Versuch, Bewegung in den Konzern zu bringen." Denn die Furcht vor eingefahrenen Strukturen und fehlender Flexibilität treibt verantwortungsvolle Personaler um, gerade wenn die Fluktuationsrate im Unternehmen sehr niedrig ist.

Damit nicht alle im eigenen Saft schmoren, werden Programme für interne Jobrotation aufgelegt. Auch bei der Deutschen Bahn. Hier sollen Führungskräfte mindestens drei Jahre lang Erfahrungen auf einer Position sammeln, aber spätestens nach sieben Jahren wechseln. Das reicht nicht, findet Heudorf: "Wir stellen jedes Jahr Tausende neue Mitarbeiter und Führungskräfte ein. Wichtig ist uns eine gute Mischung."

Beim Chemiekonzern BASF hingegen setzt man auf neue Impulse und Ideen allein durch interne berufliche Entwicklung. In der Aniliner-Familie, wie sich die BASF-Mitarbeiter nennen, kündigt man nicht, sondern bleibt bis zur Rente. Wer zur Familie gehören will, muss als Azubi oder Hochschulabsolvent anfangen. Spätere Einstellungen von Externen gibt es kaum.

"Vier bis sechs Jahre sind eine gute Zeit für eine Aufgabe"

Die Zahl der "ungewollten Abgänge", also die Zahl der Mitarbeiter, die von sich aus vor ihrer Pensionierung gehen, liegt bei 0,2 Prozent im Jahr, sagt Hans Oberschulte. Er ist Personalleiter Deutschland und selbst schon seit 22 Jahren dabei. Auch wenn überhaupt niemand freiwillig ginge, findet er, sei das für ihn in Ordnung. "Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch Austausch brauchen. Nur wollen wir das nicht über ungewollte Abgänge machen, sondern vor allem über die Pensionierungen."

Auch wenn das Klima durch einige Umstrukturierungen in den letzten Jahren ungemütlicher geworden ist, herrscht bei der BASF eine Kultur des Bleibens. Bei den jährlichen Jubilarfeiern werden Mitarbeiter mit langer Betriebszugehörigkeit geehrt. Doch auch bei der BASF ist man darauf bedacht, durch interne Jobwechsel zumindest das Management vor zu viel Routine zu bewahren.

"Regelmäßige Wechsel sind normal im Laufe eines Berufslebens", sagt Oberschulte. Für mehr als 80 Prozent der Manager schließt das einen Auslandsaufenthalt ein. Auch er hat häufig gewechselt und war unter anderem vier Jahre in Asien. "Vier bis sechs Jahre sind eine gute Zeit für eine Aufgabe. Danach verfällt man leicht in zu viele Gewohnheiten und Routine", sagt er. "Weil bei uns nur wenige Mitarbeiter kündigen, ist die interne Rotation enorm wichtig."

Bei Mitarbeitern im Labor oder in der Produktion geht das meist aber nicht. Immerhin können sie sich im Intranet durch 1200 offene Stellen allein für den Standort Ludwigshafen klicken. Oberschulte möchte ebenfalls bis zur Rente bleiben. Anstrengende Phasen und schwierige Vorgesetzte habe natürlich auch er gehabt: "Kündigt man wegen eines schwierigen Chefs, rennt man nur der Situation davon. Mein Arbeitgeber war auf jeden Fall ein guter Griff."

Gute alte Kollegen sind gute neue Kunden

Das findet auch Susanne Ahrend. Die Steuerberaterin hat einen Arbeitgeber, bei dem ein gewisser Durchlauf sogar gewollt ist. Auch sie selbst hat öfters das Unternehmen gewechselt. Ahrend, die in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt, ist seit einem halben Jahr Partner bei einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und hat damit unterhalb des Vorstands die höchste Karrierestufe erreicht.

Auch wenn die 47-Jährige jetzt das Gefühl hat, angekommen zu sein: Eine lange Verweildauer in ein und demselben Unternehmen, glaubt sie, hemme die Motivation. Zudem könnten viele Arbeitgeber ihren Mitarbeitern gar keine passenden Karrierewege anbieten. "Die Leute beschweren sich, bleiben aber trotzdem", so Ahrends Erfahrung.

Bei ihrem jetzigen Arbeitgeber gefällt ihr das lockere Betriebsklima, das projektbezogene Arbeiten und das junge Team. Denn wie bei allen großen Wirtschaftsprüfungen und Beratungsunternehmen werden laufend Hochschulabsolventen eingestellt. Doch nur für die Besten gibt es interne Aufstiegsmöglichkeiten, nach drei bis fünf Jahren gehen viele wieder. Die Arbeitgeber lassen sie gerne ziehen. Denn damit hat man bei potenziellen Kunden gleich einen verständnisvollen Ansprechpartner sitzen. Fluktuation kann also auch ein Instrument der Akquise sein.

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