IT-Standort München:Auf wackeligen Füßen

Die bayerische Landeshauptstadt spielt zwar immer noch in der Innovation-Champions-League. Doch wer genauer hinsieht, musss erkennen, dass auch hier längst nicht mehr alles rund läuft.

Von Hans-Herbert Holzamer

München spielt in der Champions League. Nicht nur auf dem grünen Rasen, sondern auch am runden Tisch der weltweit führenden IT-Standorte: Boston, Montreal, Tel Aviv, das englische Cambridge County und die südfranzösische Communauté d'Agglomération de Sophia Antipolis. Anfang Oktober erst trafen sich Vertreter dieser Regionen an der französischen Mittelmeerküste, um in einem "Memorandum of Understanding" eine "Innovation Champions League" ins Leben zu rufen. Für die bayerische Landeshauptstadt unterzeichnete Rudolf Hanisch, Präsident des Software Forums Bayern e.V. und Vorstand der Bayerischen Landesbank.

Das Beste in Europa

Der Standort München gehört zweifellos in die Champions League. Nach einer Studie der Boston Consulting Group ist er "einer der fünf interessantesten Standorte" dieser Erde, in Europa gar die Nummer eins. Doch was verbirgt sich hinter dem Ranking, und welche Impulse kann das gesamte Land von der Lokomotive an der Isar erwarten?

Die Münchner Elektronik-Unternehmen beschäftigen mehr als 155.000 IT-Experten. Und die Region Nürnberg, ein ebenfalls international bedeutender Standort, hat 51.000 Spezialisten vorzuweisen. 60.000 Studenten in Bayern bemühen sich zurzeit um eine Qualifikation in diese Richtung.

Hohe Zahl der Arbeitslosen

Mehr als 11.000 Start-ups haben in den letzten fünf Jahren im Freistaat staatliche Unterstützung bekommen. Doch wer genauer hinsieht, muss erkennen, dass auch in der Münchner Region nicht alles rund läuft. Auf der Computermesse Systems 2003, die vergangene Woche in München zu Ende ging, berichtete der neue Direktor des Münchner Arbeitsamtes, Hans Werner Walzel, von 3700 ehemaligen Mitarbeitern der Informations- und Kommunikations-Industrie (IuK), die auf Angebote warteten - bei 300 ausgeschriebenen Stellen.

In ganz Bayern gab es nur 1411 offene Stellen, im Vergleich zu 3244 im Vorjahr. In Deutschland gelangten in den ersten neun Monaten 11.000 Angebote in die Zeitungen. Im Vorjahr waren es noch 20.000. Am härtesten traf es mit einem Minus von siebzig Prozent Angebote für Netz- und Internet-Experten. CAD/CAM-Spezialisten haben da noch am ehesten Chancen, bei einem Rückgang von nur 35 Prozent. Selbst in NRW gibt es mehr Angebote als in Bayern. Ist die hiesige IuK-Industrie in der Krise? Gut geht es ihr jedenfalls nicht.

Quereinsteiger nicht mehr gefragt

Aber die wenigen Stellenangebote verrieten nicht die ganze Wahrheit, betonen Hans Werner Walzel und auch der Vize-Präsident der Technischen Universität München, Professor Arndt Bode. Man müsse sich genau anschauen, was die Bewerber zu bieten hätten. Die Arbeitslosigkeit habe vor allem diejenigen getroffen, die als Quereinsteiger vor zwei Jahren für Schlagzeilen gesorgt hatten, auch solche, die sich aus den Hörsälen locken ließen, ohne ihren Abschluss zu machen. "Der Anteil der Arbeitslosen mit unzureichender Qualifikation ist besonders hoch", sagt Walzel. - "Zurück in die Qualifikation", fordert deshalb Bode.

Für den IT-Experten ohne Arbeit ist das ein geringer Trost, denn viele Startups, die einst hervorragende Leute beschäftigten, sind nicht mehr am Leben. Dabei sind sie oft gar nicht an ihren Ideen, sondern an mangelhaften Kenntnissen in Betriebswirtschaft oder Marketing gescheitert.

Verlangsamter Niedergang

Tröstend für sie und die übrigen mag sein, dass sich der Niedergang der Informations- und Kommunikations-Industrie in Deutschland verlangsamt. Und für Westeuropa prognostiziert das European Information Technology Observatory (Eito) sogar "wachsende Umsätze" von einem Prozent in diesem Jahr und 3,1 Prozent für 2004 auf dann 609 Millionen Euro. Auf dem Weltmarkt werden nach Eito in diesem Jahr etwa 2,21 Milliarden Euro umgesetzt.

Auch Gartner Inc., eine der führenden Forschungs- und Beratungsfirmen der Informationstechnologie, erwartet für das Jahr 2004 Impulse für den Arbeitsmarkt und bessere Zahlen, so Vorstandsvorsitzender Michael Fleisher. Auf der Systems 2003 und an den Tagen danach wurden durchaus positive Zeichen gesetzt, jedenfalls was die Entwicklung außerhalb Deutschlands angeht.

Fit for Future

Um weltweit mitspielen zu können, ist München sicherlich gut beraten, mit der Innovation Champions League im Rücken anzutreten. Die Messlatte liegt hoch. Aber man hat auch einiges zu bieten. So stellte das Bayerische Wirtschaftsministerium auf der Systems eine neue Plattform für den Aufbau internationaler Kooperationen im Software-Bereich vor: die Initiative CEE - Fit for Future (Central and Eastern Europe). Andere Aufgabenstellungen wurden dagegen in der Vergangenheit vernachlässigt, etwa das E-Government. Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Playern war oft schlecht, was auch mit unterschiedlicher Anbindung an Fachressorts der Regierung zusammenhing.

Auf der Systems präsentierte sich der IT-Standort München mit mehreren Ständen, verstreut zwischen Ausstellern wie Armenien oder Bulgarien. Das soll 2004 anders werden: Das Wirtschaftsministerium wird sich wieder um das Thema IT kümmern, das Software Forum Bayern e.V. feilt in diesen Wochen an der richtigen Aufstellung und an einer Strategie, die Empfehlungen des Wissenschaftlich Technischen Beirats der Landesregierung in die Tat umzusetzen. Und die sind bereits konkret genug.

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